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Main-Radweg: Stille Biegung am Fluss

Rund 550 Kilometer lang ist der Main-Radweg. Er führt durch stille Auwälder, mittelalterliche Städte und stolze Weindörfer. Da machen Pausen Spaß.

Ein kurzer Aufstieg, denn mündet eine schön gepflasterte Altstadtstraße auf dem ungewöhnlich großen, dreieckigen Marktplatz. Eingerahmt wird er von beinahe kubischen Amts- und Bürgerhäusern mit einheitlichen rotbeziegelten Walmdächern. Ein Kellner im Straßencafé hält das Ensemble für „scho e weng was Besonderes". Ein typisch fränkisches Understatement! Der Marktplatz von Burgkunstadt ist eine echte Perle – authentisch, homogen, und vor allem nicht überlaufen.

Derartige Kleinode dürften nicht unwesentlich zum Erfolg des 550 Kilometer langen Radlerroute beigetragen haben. Laut ADFC, dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub, ist der Main- Radweg im vergangenen Jahr von Platz sechs auf Platz drei der Skala der beliebtesten Fernradelrouten Deutschlands hochgeschnellt. Die mittelalterlichen Ortsbilder sind so zahlreich, dass der mitgeführte Radreiseführer schon mal eines zu erwähnen vergisst.

Mit Schwung düsen wir in die grüne Talsohle zurück. 15 Kilometer nach dem Zusammenfluss des Weißen und des Roten Mains ist der wichtigste Nebenfluss des Rheins noch lächerlich klein, gelegentlich sogar weniger als zehn Meter breit. Eingebettet in dichtes Ufergehölz mäandert er eine ganze Weile am Waldrand entlang. Von Ahorn bis Weide sind die heimischen Baumarten in bunter Mischung vertreten, dazwischen wuchern Urwälder von japanischem Springkraut.

Der Radweg fügt sich dieser wildromantischen Szenerie bestens ein. Statt aus einem toten Teerstreifen, besteht er aus gut befahrbarem Kalkschotter, auf dem es windungsreich auf und ab geht. Das Obere Maintal ist noch nicht zur rückstandslos erschlossenen Freizeitlandschaft hochgerüstet worden – und man hofft, dass dies auch erstmal so bleibt.

Bis zur Weltkulturerbestadt Bamberg dominieren eher sanfte Landschaftsbilder – weite Talauen mit endlosen Wiesen, die von Kiesgrubenseen und Altarmen unterbrochen werden. Dann wechselt der Main seine Dimension. Das munter dahinströmende Flüsschen vereinigt sich mit dem Main-Donau-Kanal und wird zum Kunstprodukt einer ausgebaggerten Wasserstraße, auf der mächtige Frachtschiffe unterwegs sind. Vom Schwarzen Meer kommend, müssen sie zwischen Bamberg und Aschaffenburg 27 Staustufen überwinden.

Als Radler hat man freie Fahrt und braucht doch etwas Geduld. Bis Schweinfurth dümpeln wir durch eine offene und unspektakuläre Landschaft, flankiert vom schnurgeraden Bahndamm, der als Schallschutzmauer vor der Bundesstraße allerdings gute Dienste tut.

Aufatmen dann am nächsten Tag in der Volkacher Mainschleife: Der Fluss ist hier so windungsreich, dass die Hauptverkehrsachsen ins Hinterland gelegt werden mussten, selbst Brücken gibt es erstmal keine mehr. Ein Fährboot bringt uns für kleines Geld ans andere Ufer. Dort rollen wir durch ein grünes Universum von Auwäldern, aufgelassenen Streuobstwiesen und Main- Altarmen, in denen die Dorfjugend fröhlich badet. Magisch wird der Blick von kleinen Kapellen angezogen, die hier und da in sanft geschwungenen Weinbergen stehen.

Zuerst geht es durch das bezaubernde alte Fischer- und Winzerdorf Fahr, dann durch das herrlich kompakte Volkach, schließlich durch Sommerach, ein stolzes Weindorf mit Muschelkalk-Pflaster, schönen alten Steinhäusern und gemütlichen Lokalen mit Biergärten, in denen jedoch vor allem der Wein fließt. Um hier nicht auf ewig hängen zu bleiben, braucht man eine gehörige Portion Selbstdisziplin!

Sehens- und bemerkenswert sind auch die zahllosen Bildstöcke, die sich nicht nur an den Hauptwegen, sondern auch versteckt an den Rebhängen finden. Sie sind Zeugen der tiefen Religiosität der Franken. Wer irgendwann mal in Lebensgefahr geriet und mit einem blauen Auge davon kam, stiftete eine dieser Bet-Stationen. Die prominenteste steht heute in die Sommeracher Friedhofskapelle. Weil das drei Meter hohe und eineinhalb Tonnen schwere Werk von Tilman Riemenschneider von unschätzbarem Wert ist, musste es vor den Abgasen der Bundesstraße in Sicherheit gebracht werden.

Mit der machen wir hinter dem Klosterdorf Schwarzach wieder einmal kurze Zeit Bekanntschaft. Doch die Entschädigung kommt rasch: Dettelbach ist einer der historischen Höhepunkte am Main. Das mittelalterliche Städtchen überrascht mit einem nahezu perfekt erhaltenen Ortsbild. Es fehlt weder an verwinkelten Gassen noch an sehenswerten Häusern, kleine Brücken führen über den Dorfbach, der Marktplatz ist traumhaft schön. Nach derart ursprünglichen Städtchen kann man im Deutschland des 21. Jahrhunderts lange suchen.

Wir befinden uns in Mainfranken, das die Tourismuswerber längst in „Weinfranken“ umgetauft haben. Sie nutzen das gute Image, das der Frankenwein inzwischen wieder hat. Bedroht war die tausend Jahre alte Weinbautradition bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch die aus den USA eingeschleppte Reblaus, später durch den Import von Billigweinen aus dem Süden .

Als fränkisches Weinland wird indes nur die Region zwischen Haßfurt und Karlstadt bezeichnet, in der der Main beiderseits von Rebhängen gesäumt ist. Doch auch stromabwärts gibt es gelegentlich noch Weinanbau – und beste Lagen, wie etwa am Kallmuth bei Homburg und dem sandsteinroten Centgrafenberg bei Bürgstadt nahe Miltenberg.

In diesem allzu oft verkannten „Mainviereck“ hat der Radler am meisten Freude. Das Landschaftsbild ist intakt und abwechslungsreich, die großen Straßen sind in weiter Ferne, überwiegend rollt man auf Wegen unmittelbar am Main entlang. Historische Dörfer mit gut erhaltenen Ortskernen, lauschigen Biergärten und Promenadencafés folgen einander in erstaunlicher Dichte, besonders zwischen Lohr und Wertheim, wo es links des Mains für einige Kilometer durchs Schwabenland geht. Nichts wirkt hier herausgeputzt oder gar inszeniert wie etwa tauberaufwärts in Rothenburg.

Zu den Höhepunkten einer Mainreise gehört das wieder in Bayern liegende Miltenberg. Mit Recht hatte Elly Heuss- Knapp, die Frau des Bundespräsidenten Theodor Heuss, den Marktplatz mit dem großen Brunnen als „das deutsche Mittelalter schlechthin“ bezeichnet. Sonntags sollte man das Bilderbuchstädtchen unter der mächtigen Mildenburg jedoch meiden. Dann herrscht hier jener Andrang, der den weniger bekannten Mainstädtchen glücklicherweise fehlt.

Im kurfürstlichen Aschaffenburg, mit dem imposanten Schloss Johannisburg, beginnt schließlich der Untermain. Die Befürchtungen, doch noch mal von einem deftigen Anstieg überrascht zu werden, haben sich – so kurz vor dem Rhein-Main-Ballungsgebiet – endgültig zerstreut. Neben den unversehrten Ortsbildern und der vorzüglichen Beschilderung besticht der Main-Radweg vor allem durch seine leichte Befahrbarkeit: Steigungsstücke liegen nur knapp über der Nachweisgrenze, auch Engstellen und enge Kurven bringen einen nur selten aus dem Rhythmus. Statt anstrengenden Freizeitsport bietet das Radeln am Main ein Flow-Erlebnis, eine mobile Form der Meditation: Man schwebt einfach so dahin, selbst dann, wenn man vernünftig bleibt und – wenigstens tagsüber – dem Sog der gemütlichen Weinlokale widersteht.

Gerhard Fitzthum

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