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Österrreich: Trillerpfeifen, konzertant

Wien ist stolz auf seine Kultur. Auch die Fußballfans sollen ins Museum. Dort dürfen sie virtuelle Tore für Österreich schießen.

Erzherzog Karl wird von allem nichts mitbekommen. Er wird verhüllt sein. Nicht, dass noch Fußballfans auf ihm und seinem Pferd herumklettern. Immerhin hat Erzherzog Karl von Österreich 1809 bei Aspern Napoleon die erste Niederlage auf dem Schlachtfeld beigebracht. Da hat er sich Schutz verdient, wenn er auf seinem Sockel von Menschenmassen umspült wird. An seinem Denkmal auf dem Wiener Heldenplatz läuft im Juni die Fanmeile der Fußball-Europameisterschaft vorbei.

Aber auch ohne den Erzherzog wird es im Juni in Wien zu eigenartigen Begegnungen kommen. Die Wiener Sängerknaben, bisher nicht bekannt für Fangesänge, werden am 7. Juni mit den Wiener Symphonikern auf der Fanmeile den musikalischen Anstoß zur EM geben. Überhaupt wird die Meile Tausende Fußballfans und die Wiener Hochkultur auf engstem Raum zusammenbringen. Sie liegt auf der Ringstraße, führt vorbei an Hofburg, Museumsquartier und Parlament bis zum Rathaus und Burgtheater. Möglich, dass die alten Mauern die Stimmung ein bisschen einengen, vielleicht verstärken sie aber die Leidenschaft der Fans, wie ein Echo.

Die Stimmung wird auch davon abhängen, wie geschickt sich die 22 Füße der österreichischen Nationalspieler anstellen. Österreich gut, Stimmung gut – so einfach könnte es sein bei der EM. Die Stadt Wien hat zwar keinen Einfluss auf die Leistung der Fußballer, aber auch sie hat für die Europameisterschaft trainiert. Wien wird schließlich das Zentrum des Spektakels sein. Weil dort die Österreicher ihre drei Vorrundenspiele bestreiten, unter anderem das am 16. Juni gegen Deutschland. Weil in Wien das Endspiel stattfindet am 29. Juni. Und auch, weil Wien von den acht Austragungsorten des Turniers in der Schweiz und Österreich mit seinen etwa 1,7 Millionen Einwohnern mit Abstand der größte ist. Ein bisschen hat sich Wien dafür schon geschmückt, mit EM-Bannern an den großen Alleen, aber eben nur ein bisschen. Wien ist selbstbewusst genug, um zu wissen, dass es zusätzlichen Schmuck eigentlich nicht nötig hat.

Aber ob die Stadt will oder nicht, sie wird in den drei Wochen vom 7. bis zum 29. Juni verwandelt, dafür werden ihre Gäste schon sorgen. Gäste, die etwas anders sind als die übliche Bekanntschaft. „Der Wien-Tourist ist im Durchschnitt etwa 40 Jahre alt und interessiert sich sehr für Kultur“, sagt Doris Trinker vom Tourismusverband Wien. Der Wien-Tourist im Juni wird im Durchschnitt deutlich jünger sein, aber sich, so hoffen sie in der Stadt, auch für Kultur interessieren. Das Turnierziel der Stadt ist daher, den Fußball zu verbinden mit den anderen Künsten.

Das fängt damit an, dass Wien sein Zentrum hergibt für die 1,2 Kilometer lange Fanmeile und nicht etwa die Donauinsel oder den Prater, also die Vergnügungs- und Erholungsgebiete der Stadt. Dafür riskiert Wien in der Innenstadt auch ein kleines Verkehrschaos, weil die Ringstraße besonders wichtig ist. Neun Großbildwände werden den Fans spendiert und man erwartet, dass 70 000 Fans pro Tag dort die Spiele sehen. Zu viele jedenfalls, um die wichtigste Kulturbühne der Stadt offenzuhalten. Das Burgtheater schließt während der EM und wird eine Zone des Private Viewings für die Gäste einer Telekommunikationsfirma. „Wir hätten das Theater gern bespielt“, teilt die Direktion mit, „aber mit so vielen Menschen vor der Tür wäre es eine gigantische Publikumsvertreibung geworden.“ Derzeit läuft ein Stück, das auch als Titel für besonders schlechte Fußballspiele gelten könnte: „Der Gott des Gemetzels“.

Die Tourismusexperten der Stadt haben hochgerechnet: 350 000 Zuschauer kommen sowieso, weil sie eine Karte haben für eines der sieben Spiele im Wiener Stadion. Dazu, so hat die Erfahrung von anderen Turnieren gezeigt, kommen noch dreimal so viele Besucher ohne Tickets. Manche hoffen noch auf eine Karte auf dem Schwarzmarkt.

Wer leer ausgeht, verpasst vielleicht ein großes Spiel, aber kein großes Stadion. Dem Wiener Praterstadion Ernst-Happel-Stadion, wie es offiziell heißt, fehlen ein paar Grundvoraussetzungen für die allerbeste Stimmung: enge und steile Tribünen. Der Ball ist weit weg für die 51 000 Zuschauer, weil sich die Tribünen gemächlich emporschwingen und sich zwischen ihnen und dem Spielfeld noch die Laufbahn der Leichtathleten breitmacht. Auf dem Weg vom Rasen auf die Tribünen kann sich die Stimmung also noch einmal überlegen, wie heftig sie dort ankommen will.

Dafür holt Wien die Fans gleich vor dem Stadion mit seinem Prater ab. Der Prater wird sich im Juni in einen Sommergarten des Fußballs wandeln. Ein weiteres Zentrum für gute Stimmung wird sicher der Donaukanal, an dem die Fans auf dem Weg vom Prater zur Fanmeile entlanglaufen können. Den Kanal werden Strandbars schmücken. Auch eine Kunstmeile soll entstehen mit aktueller Kunst an Häusern und Brücken. Eine weitere Kulturzone ist der Karlsplatz, wo es Theater geben wird, Lesungen, Musik, ein Trillerpfeifenkonzert.

Der charmanteste Spielzug dieser Europameisterschaft dürfte aber eine Ausstellung sein: „Herz:Rasen“. Sie zeigt, wie viel Kultur, Liebe und Leidenschaft im Fußball steckt, aber auch wie viel Kommerz und Inszenierung. Das Besondere ist jedoch die Einladung zum Mitspielen. Hinter der Eingangshalle teilt sich die Ausstellung in zwei Wege, es sind die beiden typischen Wege zum Fußball, der des Spielers und der des Fans. Beide treffen später in einer Arena wieder zusammen. Auf beiden Wegen können die Besucher selbst aktiv sein, Karaoke mit Fanliedern singen, Fußball-Flipper spielen oder in einem Trainingslager testen, ob sie Reaktionsfähigkeit und Geschicklichkeit wie ein Profi haben.

Im Obergeschoss der Ausstellung warten noch zwei besondere Höhepunkte: Zum einen eine „Schwalbenschule“, in der die Besucher das Schinden von Elfmetern mit einem Lehrfilm üben können. „Jammern ist ein Teil der ,Schwalbe‘, setze es jedoch dosiert ein“, lautet eine Anweisung. Noch mehr Selbstironie steckt nur in einer Computeranimation. Als virtueller Nationalspieler kann der Besucher das 1:1 der Österreicher gegen die Färöer schießen – ein Treffer, der am 12. September 1990 leider nicht gefallen ist. Das 0:1 der Österreicher gegen die Färöer war ihre sportliche Niederlage des Jahrhunderts. Und so richtig erholt hat sich ihr Fußball seitdem nicht mehr.

Dass es mit dem österreichischen Fußball just nicht so gut aussieht, hat jedoch auch einen Vorteil für Wien-Besucher während der EM: Es wird vier besondere Konzerte Ende Juni geben, unter anderem eines mit Elton John in der Wiener Stadthalle – natürlich an spielfreien Tagen. Das kam so: Zu den größten Legenden des österreichischen Fußballs gehören Herbert Prohaska, Toni Polster und Hans Krankl. Krankl schoss das 3:2 der Österreicher gegen die Deutschen bei der WM 1978 in Argentinien. Das Spiel ging als „Schmach von Cordoba“ in die deutsche Fußballgeschichte ein und der Riesentriumph der Österreicher ist dabei untrennbar verbunden mit der ORF-Hörfunkreportage von Edi Finger („I werd’ narrisch!!!“). Die drei Fußballgrößen gründeten einen eigenen Verein: die Ballkünstler. Mit ihm wollen sie die Kunst unterstützen, vor allem aber den Fußball, weil sie den Eindruck haben, dass in Österreich immer nur Geld für die Kultur da ist.

Der Verein Ballkünstler organisiert nun vier Konzerte. Mit den Einnahmen sollen auch junge Trainer unterstützt werden. „Wir versuchen Sport und Kultur auf einen Nenner zu bringen.“ Damit hat er gleich das Motto der Stadt für die EM genannt. Und das kann auch der Besucher der Konzerte: Kultur erleben und mit dem Eintrittspreis den österreichischen Fußball fördern. Damit es vielleicht irgendwann wieder ein so dramatisches Duell zwischen Deutschland und Österreich gibt wie 1978 in Cordoba.

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