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Stopover Roter Platz. Moskau war als Metropole schon immer ein spannendes Reiseziel. Nun wird die russische Hauptstadt auch zum internationalen Drehkreuz.

© imago/Westend61

Schnäppchenjagd: Mit dem Rubel in die Welt

Wer Reisen über russische Veranstalter bucht, kann viel Geld sparen. Zum Beispiel für 313 Euro eine Woche lang nach Thailand fliegen. Der Härtetest für Ausländer aber ist das russische Visum.

„Chau ken ai chelp ju?“ Englisch und Russisch kämpfen bei der Satzmelodie miteinander. Russland siegt. Auch bei der Phonetik besteht noch erheblicher Nachjustierungsbedarf. Doch Anastassia Woronzowa kann potenzielle Kunden nach ihren Wünschen fragen und die zum Gutteil auch bereits verstehen.

Die 23-jährige Moskauerin ist Reisekauffrau und hat im Januar einen Crashkurs für Englisch belegt, einen Teil der dabei anfallenden Kosten übernimmt der Arbeitgeber. „Eine Investition in die Zukunft“, glaubt Anastassia. Die Rechnung könnte aufgehen. Was teure Image-Kampagnen der staatlichen Agentur für Tourismus nicht schafften, bringt die Wirtschaftskrise zustande: Seit ein Euro in Moskauer Wechselstuben statt vierzig Rubel nahezu das Doppelte kostet, hagelt es bei russischen Reisebüros Online-Anfragen aus dem Ausland.

Vor allem Europäer haben bei der Urlaubsplanung russische Airlines als preiswerte Alternative entdeckt. Mutige buchen ihre Fernreisen inzwischen sogar bei Veranstaltern in Moskau und St. Petersburg. Das macht für Sparfüchse durchaus Sinn. Eine Woche Pauschalurlaub in Thailand ist bereits ab 27.000 Rubel buchbar, das sind aktuell 313 Euro. In Europa wird zuweilen das Doppelte fällig.

Allein seit November, so Igor Blinow von Online-Tura habe sein Unternehmen 364 Pakete an Ausländer verkauft. Besonders beliebt seien Destinationen in Südostasien, die meisten ziehe es nach Thailand. Russische Reiseveranstalter sind dort seit Langem aktiv und haben Bettenburgen langfristig gebucht. 2015, das Jahr, als die Krise erstmals voll durchschlug, war daher ein schlimmes Jahr für sie: Die Buchungen brachen um 31,8 Prozent ein.

Das Streckennetz von Aeroflot ist riesig

Auch Agenturen, die nur Flüge verkaufen, freuen sich über neue Kunden aus dem Ausland. Früher kamen sie vor allem aus den Nachfolgestaaten der UdSSR, jetzt aus Spanien, Belgien, Tschechien, Montenegro und China. Ihr Anteil an den Buchungen habe allein im Dezember um vier Prozent zugelegt, sagt ein Vertriebsmanager von DaTravel.

Auch das macht Sinn. Zumindest in der Holzklasse und auf Langstrecken sind russische Airlines zwischen 20 bis 40 Prozent günstiger als europäische Lowcoster. Auch ist das Streckennetz von Staatscarrier Aeroflot riesig und umfasst – vor allem in Asien und in Afrika – viele exotische Destinationen, die bei Abenteuerlustigen beliebt sind.

Die Herausforderung für Ausländer: Sie brauchen unbedingt ein Einreisevisum. Das benötigen sogar Transitreisende, die nur in Moskau von einem der drei Airports zum anderen wollen. Die Beantragung ist umständlich und zeitraubend, die Beschaffung der beizubringenden Dokumente ein Härtetest für Schengenland-Europäer, die mit dem Personalausweis reisen und oft noch nicht mal einen Reisepass haben. Derzeit nutzen die Gunst der Stunde daher vor allem russischsprachige Bürger aus Deutschland und den Baltenstaaten, die einen russischen Zweitpass oder ein Mehrfach-Einreise-Visum haben.

Etablierte Unternehmen wie Intourist – zu Sowjetzeiten Monopolist – nehmen Auslandskunden ein Teil des Papierkriegs ab und bedauern, dass man noch nicht so weit ist wie die Kollegen in Iran. Dort bekommen Ausländer das Visum inzwischen bei der Einreise in den Pass gestempelt.

Auch die Behörden auf der Krim fordern das. Denn das Geschäft mit russischen Sonnenhungrigen floppt. Seit wegen der Krise Ebbe im Geldbeutel herrscht, machen sie lieber Urlaub auf der Datsche oder bei Verwandten auf dem Dorf. Zumal das Preis-Leistungsverhältnis nicht stimmt. Der Service lässt auf der Krim wie an der der kaukasischen Schwarzmeerküste sehr zu wünschen übrig. Zwischen Anapa bei Sotschi und Antalya, wohin russische Touristikfirmen, seit die Türkei Ende November eine russische Militärmaschine abschoss, keine Reisen mehr verkaufen dürfen, liegen Welten.

Auch Reisen nach Russland selbst wurden billiger

Der Anschlag in Istanbul werde auch Europäer vergraulen, glauben russische Ab-in-den-Urlaub-Veranstalter und werben um dieses Segment bereits mit englischen Versionen ihrer Websites. Die meisten Besucher würden vorerst jedoch nur Sortiment und Preise studieren, sagt Andrei Gawrilow vom Dachverband der Reiseveranstalter. Ob sich der neue Trend Go Russia verfestigt, lasse sich erst in ein paar Monaten sagen. Die Anzahl der Anfragen von Ausländern sei deutlich gewachsen, heißt es auch bei Svjaznoj Travel.

Aber selbst die Buchungen von Reisenden aus Staaten die direkt an Russland grenzen – Finnland, Estland, Lettland und Litauen – seien bisher nur mit jeweils knapp einem Prozent am Gesamtumsatz beteiligt. „Im Prinzip“ sei das Potenzial jedoch enorm.

Auch Unternehmen, die sich auf den sogenannten Incoming-Tourismus spezialisiert haben, Russland-Reisen für Ausländer, haben gut zu tun, seit eine Nacht in Moskau nicht mehr so viel kostet wie eine Woche Marokko. Im Zeitraum Januar bis September 2015 zählte die staatliche Statistik-Behörde 2,54 Millionen Russland-Besucher, das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Gut die Hälfte davon kam aus China, gefolgt von Deutschland, den USA der Türkei und Großbritannien.

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