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Jamaika: Heute joggt Bob Marley

Viele Künstler machten auf Jamaika Station. Die Insel verleiht neue Kräfte, fand June Carter. An der Sonne liegt das. Und am Rhythmus.

Errol Flynn, der mit Ende dreißig schon die halbe Welt durchkämmt hatte, kam aus dem Entzücken nicht heraus. Er stolperte an Land. Menschen hatten sich versammelt. Sie waren dunkelhäutig. Sie sprachen schönes Englisch. „Wer sind die? Wo bin ich“, fragte sich der Hollywoodheld, eben von einem Hurrikan an unbekannte Gestade gespült. Man schrieb die vierziger Jahre. Mit seiner Yacht „Zaca“ hatte er es gerade noch über die tödlichen Wellenkämme geschafft. „Dies ist Jamaika“, antworteten Einheimische. „Niemals zuvor“, notierte schließlich der leidenschaftliche Segler, „habe ich eine so herrliche Insel erblickt – und diese Musik!“

Unverzüglich wollte er sich in dem Land der überfließenden Grüntöne niederlassen. Seine Witwe Patrice Wymore (dritte und letzte Ehefrau) lebt noch heute bei Port Antonio. Sie züchtet Rinder. Unlängst bat sie zum Centennial Ball. Schließlich wäre der Liebling der Frauen in diesem Jahr 100 geworden. Doch nur ein halbes Jahrhundert Lebenszeit war ihm vergönnt. Das freilich reichte nicht allein für blühende Legendenbildung. Der gebürtige Australier (manche Quellen sagen, er sei in Nordirland geboren), Sohn eines Meeresbiologen, gilt auch als Wegbereiter des modernen Tourismus auf dem „Island in the Sun“.

Die Fremdenverkehrsmenschen auf Jamaika sind ihm heute noch dankbar. „Er brachte Hollywood nach Jamaika“, heißt es. Der Filmpirat erhöhte den Glamourfaktor, half der Partysippe und gar dem Aktivtourismus auf die Sprünge – „Gelegentlich machte ich eine Rafting Tour auf dem Rio Grande“ – und fand zur Schöpfung: „Wer auf den Bambusflößen über den Fluss gleitet, sieht rechts und links die großartigste Skyline, die der liebe Gott oder die Natur geschaffen haben.“

Flynn erfreuten Hibiskus, Frangipani, der „süße Duft des Dschungels“, und dass es „überall Rum und Calypso“ gab. „Ich liebe die einfachen Dinge des Lebens.“ Er mochte traditionelles Liedgut wie Mango Walk. Die Insel mochte ihn. Ihm zu Ehren nannte sich eine Combo „Errol Flynn’s Swamp Boys“.

Heute ist Bob Marley die kommerziell lukrativste Marke, so allgegenwärtig wie unerreicht, auch wenn viele den Look des Löwenhaupts kopieren. Wer auf seiner Liege unter Kokospalmen den Tag verdöst, verpasst die schönsten Beispiele. Pausenlos spaziert ein Fotomotiv vorbei. Nach einer Weile kennt man die jamaikanischen Beachboys alle. Irgendwie wenigstens, denn Feinheiten bleiben Fremden verborgen. Es gibt ja nur zwei Modetrends. Rastazöpfe bis zur Wade oder gewaltige Haaraufbauten unter turmhohen Häkelmützen. Dazu Bärte wie Stalaktiten vor der Brust. Schneiden und Kämmen untersagt die Religion, Fingernägel stutzen geht. Mancher trimmt sogar den Körper und joggt – das muss ein wahrer Mister Rebel sein!

Auf Jamaika mögen Leichtathleten turbo sein, Urlaubern raten die Rastafari zum ultimativen Schneckentempo. „Iss, trink und sei irie“ (sprich: ayree), lautet die Losung. „Ja, irie, Lady“, wiederholt einer vernehmlich, „lauf bloß nicht zu schnell an mir vorbei.“

Irie ist das kreolische Wort fürs Abhängen, Genießen, cool bleiben – und Zeit haben fürs Shopping. Wie im Bacardi-Film die Kulisse, der Strand dabei Laufsteg und Einkaufsmeile zugleich. Es posieren nacheinander die üppige Madame mit dem Früchtekorb auf dem Kopf, der Typ mit dem klapprigen Fahrrad und Snacks auf dem Sattel und der Schlaumeier mit selbst gebastelten Fingerringen – „aus Isolierkabel, sind die nicht toll?“ – und jungem Kätzchen am Hals: „Wenn Sie mir nicht sofort etwas abkaufen, wird es eben verhungern!“

Den Ton gibt der Glimmstängelmann an: „Cigarettes, cigarettes, smoke, smoke, smoke“, schnarrt der Rasta im Rap-Rhythmus und pflügt den Badestrand in Negril. Über der Schulter einen prallen Plastiksack mit Marlboro, als sei er der Nikolaus. „Hey Süße, brauchst du Marihuana?“, zwitschert keck ein Kollege. Ein Hauch von Sünde durchweht Jamaikas „Wilden Westen“. Touristen wird rasch der Prozess gemacht, heißt es. Besser, sich nach Noten gehen zu lassen. Die Reggae-Redundanz schafft jeden, und irgendwer jauchzt immer „I shot the sheriff“.

„One Love“ ist die musikalische Droge Nummer eins, und selbst ein jamaikanischer Michael Jackson geistert herum – „backed by Hurricane Band“. Amy Winehouse will ihr drittes Album im Haus von Bob Marley aufnehmen. Dawn Robinson ist schon da. Wie ein Las-Vegas-Star besingt die jamaikanische Schönheit Belafontes Banana Boat, mixt Schlager-Evergreens mit Volksliedern und bezaubert Feriengäste ebenso wie die englische Königin.

Die Hertford Folk and Cultural Group ist ihre Familie. 1981 gegründet, um junge Talente zu fördern, besitzt sie längst internationale Reputation. Im Ausland leben mag Dawn aber nicht: „Auf Jamaika scheint die Sonne anders.“

Stimmt. Bedingt durch die Feuchtigkeit bietet das „Xaymaca“ der Ureinwohner, die Regenwald, Flüsse und Wildbäche bemerkten, ein einzigartiges Mikroklima, dschungelartige Vegetationsformen und Lichtverhältnisse von ungewöhnlicher Art. Künstlernaturen spüren es gleich. So fühlt sich das Arkadien der Musiker, Schauspieler, Schriftsteller an! Man kann Mick Jagger verstehen. Er und Keith Richards haben ein Heim bei Ocho Rios. Mit etwas Glück trifft man sie im Toscanini’s, dem angesagten Italiener in einem schmucken Gingerbread-Haus der Kolonialzeit. Optimal versteckt dagegen ist das Domizil von Johnny Cash. Das historische Herrenhaus, eines von fast vier Dutzend, die erhalten sind, verbirgt sich auf einem Golfplatz – nahe einem James- Bond-Spot: einem Triumphbogen aus himmelhohen Bäumen mit Wasserfall.

Ian Fleming, gleich beim ersten Besuch verliebt in Jamaikas überwältigende Landschaft, kam noch vor Flynn, erwarb ein Strandgrundstück, baute sein Traumhaus: „Goldeneye“, woraufhin die Abenteuer des Superagenten nur so aus seiner Feder strömten. Gleich der erste 007 – „James Bond jagt Dr. No“ – wurde auf der Insel gedreht. Stolz präsentiert sie weltberühmte Schauplätze: „Sehen Sie, dort entstieg Ursula Andress den Fluten“, heißt es in der romantischen Muschelbucht beim Gouverneurssitz, und beim Zuckerhafen Falmouth: „Erkennen Sie die Brücke von der Bootsverfolgungsjagd?“ Lieber Himmel, welche war’s? Nicht immer freilich sind Romanvorlagen und Drehorte identisch.

Authentisch ist der Rückzugsort von Noel Coward. Flynns englischer Freund residierte hoch über der blauen Bucht von Port Maria in der „Glühwürmchen-Villa“ – kaum zu finden im Wirrwarr krummer Schleichwege. Goldeneye versus Firefly: Am James Bond Beach führt Marleys Manager Chris Blackwell Flemings Reich wie ein Fort, lässt gegen ein hübsches Sümmchen Fans darin übernachten und vermietet an Luxustouristen Villen. Unangemeldete Besucher sind unerwünscht wie bei Dr. No.

Cowards Landsitz begrüßt sie. Flüsternd betreten Romantiker die Stiegen. Hat der vielseitige, 1973 verstorbene Künstler die Bühne nicht doch erst eben verlassen? Im kleinen Duschbad, schwarz gefliest, hängen pinkfarbene Handtücher mit seinem Monogramm wie gestern benutzt, auf dem Toilettendeckel verblieb die Frotteehaube, auf dem Flügel im Musikzimmer ein Foto von Marlene Dietrich. Langspielplatten stapeln sich neben einem Koffergrammofon, an den Wänden lauter selbst gemalte Bilder, in der Ferne glitzert das Meer.

Ob wohl Präriewolf Johnny Cash – „I walk the line“ – je über den Strand streunte? „Wenn es nach Jamaika geht, sind wir nicht zu halten“, schmetterte der große Country-Künstler. „Wenn wir eine Woche da unten sind, haben wir neue Kräfte“, fiel June Carter Cash ein. Es gibt viele schöne Karibikinseln. Aber einmal kommt die eine, wo man bleibt: Ob einen nun der Sturmwind dorthin trägt oder Johnnys Spuren im Sand. Yeah mon!

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