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Panorama: Schweden verbietet als erstes Land das Freien um Prostituierte

STOCKHOLM .In diesem Jahr ist in Schweden eine neuartige Angelsaison für die Polizei angebrochen.

STOCKHOLM .In diesem Jahr ist in Schweden eine neuartige Angelsaison für die Polizei angebrochen.Die verfolgte Beute: Dorsche.So nennt der schwedische Volksmund die Freier der Prostituierten.Erstmalig in der Welt ist in Schweden vom 1.Januar an das "Kaufen weiblicher Körper" unter Strafe gestellt.Schon wer sich beim Geschäftsgespräch mit einer Hure erwischen läßt, dem drohen sechs Monate Gefängnis, während das Anbieten der käuflichen Liebe straffrei bleibt.

Die Kriminalisierung der Freier ist Teil des großen Gesetzespaketes mit dem Namen "Frauenfrieden", das die Schwedinnen besser vor Gewalt und Diskriminierung schützen soll.Zum Handeln gezwungen sah sich das schwedische Parlament durch die Zunahme der Prostitution.Der jüngsten Polizeistatistik zufolge verdienen derzeit zwischen 5000 und 6000 Frauen in Schweden durch berufsmäßige Prostitution ihr Einkommen, 1993 waren es noch rund 2500.Vor allem der Zulauf von Frauen aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion hat dies verursacht.Die Fähren nach Tallinn in Estland gelten als regelrechte Schleuse für Prostituierte aus Osteuropa.Die Vorsitzende des Frauenverbands der regierenden Sozialdemokraten, Inger Segelström, ist sich sehr wohl bewußt, daß Schweden mit der Strafbelegung nur der Kunden tückisches Neuland betritt, meint aber: "Allein das Wissen um Strafe und gesellschaftliche Ächtung wird viele Männer abschrecken."

Kritiker bezweifeln jedoch, daß der gewünschte Effekt eintritt.Tatsächlich bietet sich auf der Malmskillnadsgatan und den entsprechenden Straßen in Göteborg, Malmö oder Norrköping dieser Tage überall das gleiche Bild: Seitdem die Polizei mit Videokameras kontrolliert, ob ein Autofahrer abbremst, um ein Strichmädchen anzusprechen, wagt sich praktisch kein Freier mehr auf die Straße.

Die Freier jedoch haben schnurstracks einen Sextourismus ins Nachbarland Dänemark entwickelt.Die dänische Nachrichtenagentur Ritzau berichtete von einem "Boom" schwedischer Kunden.Angesichts der gesetzlich verordneten Enthaltsamkeit pendeln nun auch die Prostituierten aus der südschwedischen Stadt Malmö in einer halben Stunde nach Dänemark, um in der Hauptstadt Kopenhagen ihr Geld zu verdienen.

Diejenigen Freier, die bezahlten Sex weiter in Schweden suchen, sind nur schwer zu stellen.Polizisten seufzen: "Wie sollen wir nachweisen, daß sich da nicht zwei Bekannte miteinander vergnügen wollen." Die Sozialarbeiter, die sich ständig um die Frauen kümmern, wollen deren Kunden nicht der Polizei melden.Dahinter steht die Befürchtung, das Vertrauensverhältnis zu ihren Schutzbefohlenen zu verlieren, von denen die Hälfte drogensüchtig ist; die Mädchen würden abtauchen und wären nicht mehr für Resozialisierungsmaßnahmen zu gewinnen.

Ohnehin warnen die Ordnungsbehörden vor zunehmender Kriminalität.Das Gunstgewerbe müsse zukünftig in geheimen Domizilen ausgeübt werden, was Machenschaften mit überhöhten Mieten Tür und Tor öffne.Die bislang oft ohne Zuhälter auskommenden Prostituierten benötigten zukünftig Beschützer und technische Berater.Bereits jetzt werden Callgirls im Internet angeboten, die Nutzung der elektronischen Möglichkeiten könnte zunehmen.Die Sozialarbeiter geben zu bedenken, daß die Prostitution dadurch in den Untergrund gedrängt und für die Frauen möglicherweise gefährlicher wird.

Die Prostituierten selbst haben sich all die genannten Bedenken zueigen gemacht und Protestlisten an die Regierung geschickt.Fürsprecherin Inger Segelström hält dem entgegen: "Viele zu Beginn angefeindete Reformen haben sich doch durchgesetzt, das Frauenwahlrecht oder der Schwangerschaftsabbruch.Laßt uns einen Anfang machen."

JÖRGEN DETLEFSEN (AFP)

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