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Panorama: Schweizer, wie sie keiner kennt Grollende Natur

Ausgerechnet dieses friedliche Land hat ganz brutale Hooligans. Kommen die jetzt zur WM nach Deutschland? Seit Wochen kündigte der Vulkan Merapi auf Java seinen Ausbruch an. Jetzt ist er da

Berlin - Wolfgang Schäuble saß etwas müde an seinem Holzschreibtisch und schaute durch große Glasscheiben hinab auf den Tiergarten. „Das größte Problem haben wir mit den deutschen Hooligans“, sagte der Bundesinnenminister dem Tagesspiegel, „das müssen wir nicht den Nachbarländern in die Schuhe schieben.“ Aber ja, Polen habe ein Problem mit brutalen Schlägern, sagte Schäuble: „Aber auch die Schweiz hat eine Hooliganszene, die man nicht unterschätzen sollte.“

Der Bundesinnenminister wurde von der Realität schnell eingeholt. Am Wochenende prügelten sich hunderte Hooligans in Warschau und Berlin – und auch in der Schweiz kam es zu schwerer Randale. Mehr als 100 Personen wurden bei einem Fußballspiel in Basel verletzt. Raketen schossen über das Spielfeld, hunderte Baseler Hooligans griffen die gegnerische Szene aus Zürich an. Draußen wurden Autos umgeworfen, Bierbänke geschmissen, Männer mit Kapuzenpullovern und Turnschuhen attackierten die Schweizer Beamten. „Bestürzung über die Schande von Basel“, schrieb am nächsten Tag die „Neue Zürcher Zeitung“.

Auch die Schweiz hat sich für die Fußball-WM qualifiziert. Und spätestens seit diesem Wochenende dürfte „so mancher Laie begriffen haben, dass unsere lieben Nachbarn nicht immer nur entspannt auf der Alm sitzen“, wie ein deutscher Ermittler sagte. Nicht ohne Grund schickt die Schweizer Polizei zwölf spezielle Ermittler in Uniform zur WM nach Deutschland – und damit genauso viele wie die Polen für ihre gefürchteten Schläger.

Experten wie der Hooligan-Forscher Gunter A. Pilz von der Universität Hannover haben schon häufig auf die neue Generation von „radikalen Ultras“ in der Schweiz hingewiesen. „Die Schweizer haben derzeit nach den Polen die aktivste Szene in Europa“, sagte er. Auf bis zu 700 Männer komme allein die Szene des FC Basel. Diese pflegt beispielsweise seit Jahren enge Kontakte nach Mannheim und Braunschweig. Bei Länderspielen ihrer Nationalmannschaft tritt die Schweizer Szene – die im übrigen häufig auch bei Eishockey-Spielen randaliert – dagegen eigentlich nie in Erscheinung. „Bei Länderspielen ähneln sie den holländischen Hooligans“, sagt Pilz. 1988 gab es zuletzt Randale von holländischen Schlägern bei Länderspielen.

Die Schweiz nimmt nicht nur an der Fußball-WM in Deutschland teil, sie ist gemeinsam mit Österreich auch Gastgeber der Europameisterschaft 2008. Dennoch ist das Land unentschlossen, wie man der wachsenden Gewalt begegnet. So hat sich derzeit eine große Allianz gegen ein so genanntes Hooligan-Gesetz in der Schweiz gebildet. Die Polizei will schneller eingreifen und potenzielle Schläger vor Spielen leichter wegsperren können. Nur: die Fans bleiben dann so lange schuldig, bis sie ihre Unschuld bewiesen haben. Damit würden elementare Grundrechte abgeschafft, schreibt die Schweizer „Wochenzeitung“ und titelt: „Gegen Hooligans, auch in der Politik“.

Einen Monat lang hatte der Berg die Menschen auf der indonesischen Insel Java behutsam gewarnt. Mit dünnem Qualm. Mit kleinen Erschütterungen. Und mit ein wenig Lava. Der Strom, kaum breiter als ein Bach, leuchtete als goldener Faden in der Nacht. Dann, kurz vor Sonnenaufgang an diesem wolkenlosen Montagmorgen, grollt der Merapi mächtig. Schnell steht eine riesige Wolke über seinem Krater. Weil Asche und Gase dicht und schwer sind, sinken sie auf die Westflanke. Drei Stunden später grollt es wieder kräftig. Mehr Asche, Gas und Kleingeröll quillt hervor und speist die Wolke. Sie wächst und wächst, Hunderte Meter in die Höhe, vor allem aber zur Seite, wo sie wie eine Lawine vier Kilometer weit kriecht. In der Wolke ist es bis zu 600 Grad heiß. Die 66 Menschen, die der Merapi 1994 nahm, kamen in so einer Wolke um. 1930 starben 1300, ein Vierteljahrhundert später 64, drei Opfer gab es 1969.

Lava und die Heißwolke zogen fast immer nach Westen. „Es besteht keine Gefahr“ sagt Mbah Maridjan am Montagmittag. Wenn der kleine Mann mit dem faltigen Gesicht das sagt, dann glauben die Menschen am Berg es. Maridjan ist „Juru Kunci Merapi“, der Wächter des Merapi, wörtlich „der, der den Schlüssel hat“. 80 Jahre ist er alt, seine Aufgabe hat er vom Vater übernommen. „Ich bleibe hier“, sagt der Wächter vor seinem Haus am Vulkanhang. Er hat jahrzehntelang vorübergehendes Grummeln oder Ausbrüche begleitet und soll immer richtig vorausgesagt haben, ob der Berg Ernst macht oder nicht.

Dass Maridjan jetzt bleibt, macht die Evakuierung schwierig, weil er Vorbild ist. „Ich passe auf“, versichert Maridjan. Viele Männer am Merapi passen auf. Auf ihre Häuser, ihre Möbel und ihr Vieh – also auf Hab und Gut. Es könnten ja Plünderer kommen. Viele Frauen und Kinder gehen. Mit Taschen, Bündeln und Babys auf den Armen laufen sie herab bis zu Sammelstellen, zu Lastwagen und Minibussen. Diejenigen, die westlich des Kraters sechs oder acht Kilometer vom Gipfel entfernt unterwegs sind, halten sich Tücher vor Mund und Nase. Überall liegt schon eine dünne Schicht Asche: auf Dachpfannen und Verkehrschildern, auf Palmen, Straßenasphalt und auf den sonst so sattgrünen Reisfeldern.

Wer auf die vielen Warnungen von Behörden hörte und einen Bus erwischt hat, hockt nun 20 Kilometer vom Krater entfernt. In Schulen, Moscheen und Verwaltungsgebäuden werden die Menschen versorgt. „Der Vulkan ist in der Frühphase seines Ausbruchs“, sagt Vulkanologe Subandriyo, „aber ich kann unmöglich sagen, wann der Höhepunkt erreicht wird.“ In der Nähe des Merapis liegen zwei Städte, Yogyakarta und Solo: im 50-Kilometer-Umkreis des Kraters leben mehr als eine Million Menschen.

André Görke

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