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Die  MITFAHRER: Eine Liebe später

Von: Berlin nach Düsseldorf Dauer: 7 Stunden Auto: Opel Corsa, blau Insassen: 3.

Mein Großvater ist gestorben, ich muss nach Düsseldorf. Ein Pärchen sucht einen netten Mitfahrer. Sie heißt Marie, er Bernd. Im Bioladen wollen sie noch Reiseproviant kaufen, bevor es losgehen kann. Marie ist wesentlich jünger als Bernd, dessen Augen raue Falten werfen. An der Kasse erlebe ich den ersten Streit. Sie sieht so traurig aus. Er stellt Pepsi, sie Coca Cola aufs Kassenband. Ihr Haar hat sie nachlässig nach hinten geworfen, zupft gedankenverloren am Knopf ihres Mantels. Ich finde sie rührend schön in diesem Moment.

Bernd kennt sich nicht aus auf den Straßen Berlins. Er entscheidet sich für eine ungünstige Autobahnausfahrt, gerät in den Feierabendverkehr und nach einiger Zeit ins Schwitzen. Männer versuchen anderen Männern gegenüber als Fahrer immer souverän zu erscheinen. Wenn er wüsste, wie schlecht ich fahre, denke ich. Er versuchte, uns Mangel an Orientierung als Planmäßigkeit zu verkaufen. Er tut mir leid.

Marie schaut ihn nicht an, die ganze Zeit nicht, sondern aus dem Fenster. Verträumt, jetzt noch schöner. Auf der Autobahn schweigen alle. Das gefällt mir, habe ich von einer Mitfahrgelegenheit nicht erwartet. Ich habe solche Fahrten als anstrengend in Erinnerung. Wie eine Gesprächsgruppe. Man gewährt Fremden Einblick in sein Leben, manchmal in eine Persönlichkeit, die man gerne wäre, ein Leben, das man gerne führen würde.

Im Radio läuft leise „Black Rider“ von Tom Waits. Schon nach einer halben Stunde will Marie anhalten, sich die Beine vertreten, einen Kaffee im Bistro kaufen. Bernd erklärt mir, wie man Geld mit Turnschuhen verdient. Er hat ein Geschäft in Mönchengladbach. Marie lässt uns warten. Bernd geht sie suchen. Nach einer weiteren halben Stunde kommen sie, streitend. Bernd will nicht vor Fremden streiten, nicht vor mir. In Gedanken stimme ich ihm zu.

Im Auto wieder Schweigen, unerträglich. Aber wohl die einzige Option. Ich will etwas sagen, nur um etwas zu sagen, widerstehe der Versuchung. Stattdessen fängt Bernd an zu erzählen, macht alles nur noch schlimmer, und ich merke, wie sich Marie beim Zuhören von ihm trennt. Inzwischen haben wir uns verfahren. Es wird immer später. Marie hasst Bernd, jeder im Auto kann es spüren. Bernd wird immer unsicherer. Er fährt schlecht. Immer schlechter. Schlangenlinien.

Er teilt uns mit, dass er müde sei. Wieder eine Raststätte. Marie will nicht mehr vorn sitzen, steigt hinten ein. Weil sie da besser schlafen könne. Nach weiteren vier Stunden halte ich ihre Hand. Bernd hat nur wenige CDs. Es läuft wieder „Black Rider“ von Tom Waits.Sören Meyerhofer

Sören Meyerhofer

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