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Der 49-jährige Brûlé ist Designexperte, Vielflieger und Hotelnerd.

© Monocle

Interview mit Tyler Brûlé: „Ein Hotel ist kein Zuhause!“

Die Hälfte seiner Zeit wohnt er in Hotels: Warum der kanadische Magazinmacher deutsche Frühstücksbuffets liebt und spanische Kopfkissen hasst

Mister Brûlé, Sie sind ständig unterwegs. Haben Sie mal gezählt, in wie vielen Hotels Sie bisher übernachtet haben?

Wir reden von Tausenden Nächten und etwa 200 bis 300 Häusern. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Hotels verringert, weil ich oft an dieselben Orte reise und nicht mehr gern experimentiere. Richtig häufig bin ich im Park Hyatt Tokio, fast einmal im Monat, gerade habe ich zum 150. Mal dort übernachtet. Es ist ein zweiter Wohnsitz in der Ferne geworden.

Nehmen Sie immer dasselbe Zimmer?

4701, ein Eckzimmer in der 47. Etage. Aus den Fenstern habe ich eine atemberaubende Aussicht auf den Kaiserpalast mit seinem Garten. Diese Zimmer sind wirklich für Reisende entworfen. Wenn ich hineinkomme, gibt es gleich eine solide Bank, auf der ich meinen Koffer abstellen kann. Ich muss nicht aufpassen, dass ich mit meinem Gepäck die Wand beschädige, da sie mit dickem Stoff bezogen ist. Ich finde es toll, dass sich das Haus in den vergangenen Jahren überhaupt nicht verändert hat. Mein Albtraum wäre es, wenn der Direktor eines Tages auf mich zukäme mit den Worten: Wir haben hier ein frisch renoviertes Zimmer für Sie. Oh, nein, bitte nicht!

Was wäre daran so schlimm?

Ich hätte Angst, aus meiner Routine auszubrechen. Mir ist es lieber, alles funktioniert wie immer. Da ich viel reise, will ich im Vorfeld sämtliche Störfaktoren ausschließen. In einem Hotel zu übernachten, das man kennt, hat etwas von einer intimen Beziehung, die man nicht zerstören will.

Können Sie sich an Ihren ersten Aufenthalt in einem Hotel erinnern?

Das war in den 70er Jahren, ich war vielleicht neun, als unsere Familie von Montreal in einen Vorort von Toronto zog. Wir blieben ein paar Tage im Valhalla Inn, einem modernistischen Gebäude aus den 1950er Jahren. Vermutlich haben es Skandinavier geführt, denn ich habe dort Design aus Dänemark entdeckt. Die ganzen Möbel waren aus edlem Holz, schlicht gestaltet, das war eine prägende Erfahrung für mein Designverständnis.

Wann haben Sie begonnen, sich bewusst für ein bestimmtes Hotel zu entscheiden?

Mitte der 90er Jahre, als ich freier Reporter war und von meinen Auftraggebern fordern konnte, mich im The Pierre in New York unterzubringen. Das Hotel liegt auf der Upper East Side, in der Nähe des Central Parks, ein Hochhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert. Damals war es das höchste Hotel der Welt, noch heute fühlt es sich wie ein Palast in der Stadt an. Mir hat es für die Karriere geholfen. Wir reden von einer Zeit, bevor es E-Mails und Mobiltelefone gab. Wollte mich jemand zurückrufen, fragte er: Wo kann ich Sie erreichen? Rufen Sie mich im Pierre zurück, sagte ich – und sofort nahmen mich die Menschen ernster. Der Ruf und der Status des Hotels färbten auf mich ab.

Viele Hotels werben mit dem Slogan, ein Zuhause weg von zu Hause zu sein. Das Ett Hem in Stockholm heißt übersetzt sogar: zu Hause. Ist das nicht Humbug?

Ich kann es nicht leiden, wenn ich im Hotel mit den Worten „Willkommen zu Hause“ begrüßt werde. Will ich sofort wieder zurück ins Flugzeug steigen. Ein Hotel ist kein Zuhause! Ein Vielflieger wie ich braucht das Gefühl, einen Anker zu haben, um ausgeglichen zu bleiben, das sollte die eigene Wohnung sein, jedoch kein Hotel, das diesen Platz einnimmt. Ich möchte keine Lobby, in der die Menschen sich so benehmen und anziehen, als säßen sie in den eigenen vier Wänden auf der Couch. Das ist der Beginn des Chaos. Es gibt nichts Schlimmeres, als morgens zum Frühstück zu kommen, und am Nebentisch sitzen drei Kinder mit laut aufgedrehtem iPad, während die Mutter seelenruhig zuschaut.

Der brasilianische Hotelier Vittorio Fasano sagt: „Wenn Sie sich bei mir zu Hause fühlen, mache ich etwas falsch.“

Weil er hoffentlich einen besseren Service anbietet, als Sie ihn zu Hause haben. Und er einen Restaurantmanager hat, der Gästen seine Regeln nahelegt. Es kann nicht sein, dass ein Geschäftsmann seine Telefonkonferenz in den Frühstückraum verlegt, wo alle Gäste gezwungen sind, ihm zuzuhören, während sie Kaffee trinken.

Warum haben Hotels den Anspruch, ein Zuhause oder ein Clubhaus, bloß keine normale Unterkunft zu sein?

Weil manche eine bestimmte Erfahrung verkaufen. Sie geben vor, in der Lobby ein Co-Working-Space zu sein mit einer 23 Stunden geöffneten Bar nebenan. Hey, die Räume sehen nicht besonders toll aus, aber ich muss dort übernachten, wo die ganzen funky people auf ihren Laptops herumhämmern – so wie im Ace Hotel in Portland. Hotels verstellen sich, damit die Gäste hoffentlich nicht bemerken, dass ihr Preis zu hoch ist.

Es müssen nicht immer fünf Sterne sein

Das Ham Yard Hotel London punktet mit einer Bibliothek.
Das Ham Yard Hotel London punktet mit einer Bibliothek.

© Gestalten Verlag 2018

Unter Ihrer Ägide erschien gerade der „Monocle Guide“ über die besten Hotels der Welt. Vor allem Häuser mit weniger als 50 Zimmern haben Sie aufgenommen.

Eine große Stadt bedeutet Hektik. Wenn ich ankomme, muss ich aus einem vollen Zug aussteigen, auf vollen Straßen fahren. Ich reihe mich in den Verkehr ein, da will ich nicht auch noch an einer Rezeption Schlange stehen. Oder auf einem Tablet einchecken! Ich hasse es, wenn die Angestellten wie auf einer Cocktailparty von einem Gast zum nächsten schwirren. Ich erwarte, dass man mich wiedererkennt und mir vertraut. Immer dieses Krallen der Kreditkarte, wenn ich ankomme, als würde ich aus dem Hotel flüchten, sobald ich morgens aufgewacht bin. „Hier ist Ihr Schlüssel, einen angenehmen Aufenthalt“, das kann doch nicht so schwer sein.

Machen Sie die Tour durchs Hotelzimmer mit einem Angestellten mit?

So ein Blödsinn! Ich muss auf die Toilette, wenn ich endlich im Zimmer bin. Falls ich etwas nicht kapiere, rufe ich die Rezeption an.

Worauf achten Sie, wenn Sie ein Hotel betreten?

Ich gucke mir den Bürgersteig an, noch bevor ich ins Haus hineingehe. Fühlt sich das Hotel verantwortlich für den öffentlichen Raum, in dem es sich befindet, oder nur für das Geschehen hinter der Drehtür? Das ist ein Indikator für die Qualität. Gehe ich in die Lobby, fällt mir als Erstes die Beleuchtung auf. Grelles, kaltes oder blaues Licht schrecken mich ab. Je gedämpfter, umso besser. Das müssten Hotelmanager eigentlich am besten verstehen. Wenn die Lampen in jede Ecke leuchten, sehe ich jeden Kratzer auf dem Parkett. Licht vergibt nichts.

Der Musiker Moby will sein Hotelzimmer so weit weg wie möglich vom Fahrstuhl haben. Haben Sie ähnliche Anforderungen?

Ich schlafe überall gut. Ich brauche auch nicht die beste Sicht auf die Stadt. Es reicht mir, wenn ich nicht auf eine Ziegelsteinmauer blicke. Ich lege höchstens Wert darauf, in keiner der oberen Etagen zu wohnen, wenn ich dem Brandschutz in dem Land misstraue. In Tokio darf es der 47. Stock sein, in Jakarta möchte ich lieber weiter unten nächtigen.

Ist für Sie die Größe des Zimmers wichtig?

Ich mag keine riesigen Zimmer. Da denke ich immer, jemand versteckt sich im Schrank. Und was soll ich mit einer Suite, wenn ich keine 50 Freunde in der Stadt habe, die mich auf einen Schlag besuchen wollen? Einmal hatte ich eine Suite im Park Hyatt Sydney. Abends lud ich zwölf Freunde zu mir aufs Zimmer ein. Der Room Service weigerte sich jedoch, mir Getränke zu bringen, weil es halb elf war und das Management befürchtete, wir könnten zu laut werden. In einem modernen Großstadthotel! Give me a break!

Müssen es immer fünf Sterne sein?

Nein, in Zürich habe ich oft im Hotel Seehof geschlafen. Zwei Sterne, Holzfußboden, vernünftiges Bett, Minibar, perfekt.

Gemeinschaftsbad?

Das nun wieder nicht. Eine winzige Dusche, aber wir reden von der Schweiz, da ist alles sauber und ordentlich.

Was brauchen Sie in einem Zimmer?

Wenn ich wie im Seehof das Fenster öffnen kann, bin ich sehr glücklich. Außerdem lege ich Wert auf kräftigen Wasserdruck im Bad. Und gute Kopfkissen! Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben. Da wäre zum einen der Hamburger Pfannkuchen, das große Flachkissen, das österreichische Superdaunen, das mich sofort an die Berge erinnert, das schreckliche italienische Schaumkissen – Südtirol natürlich ausgenommen. Die Spanier verstehen die Kunst des Kopfkissens gar nicht. Sie weigern sich, Naturmaterialien zu verwenden, furchtbar!

„Das beste Frühstück hatte ich am Tegernsee“

Der Copacabana Palace Rio überzeugt mit einer einmaligen Aussicht.
Der Copacabana Palace Rio überzeugt mit einer einmaligen Aussicht.

© Gestalten Verlag 2018

Der frühere Direktor der Art Basel, Sam Keller, hängt Bilder in Hotelzimmern ab, wenn er sie nicht mag. Ist Kunst in Hotels überbewertet?

Kunst ist kein Verkaufsargument für Hotels, finde ich. Denn meist handelt es sich nicht um außergewöhnliche Werke. Ich verstehe es, wenn jemand in die Zürcher Kronenhalle zum Mittag geht, weil er mal unter einem Miró sitzen will. Doch drei aufstrebende junge Künstler in jedem Doppelzimmer? Wenn sie mir nicht gefallen, ist es mir völlig egal, welche tolle Galerie sie gerade vertritt.

Wo hat Sie das Frühstück begeistert?

Das beste hatte ich im Hotel Bachmair Weissach in Rottach-Egern am Tegernsee. Niemand schlägt ein deutsches Frühstücksbuffet. Verschiedene Brotsorten, frisches Spiegelei oder Rührei, hochwertiger Aufschnitt und ein Espresso, der seinen Namen verdient.

Und wo war das Abendessen gut?

Hotel Europe in Zürich, die haben ein kleines französisches Restaurant, dreimal so groß wie mein Büro, in dem das Steak Tatar hervorragend schmeckt.

Brauchen Sie einen Pool im Hotel?

Mir gefällt es, am Beckenrand zu sitzen und Zeitung zu lesen. In der Villa Feltrinelli zum Beispiel, wo der Swimmingpool aussieht, als wäre er in den Rasen hineingeschnitten. Ich gehe selten hinein, weil das Wasser beheizt ist und ich den Gardasee bevorzuge, der direkt vor der Tür liegt.

Wo steigen Sie außerdem gern ab?

Ich bin ein Fan von Schloss Elmau ...

… dort fand vor drei Jahren der G-7-Gipfel statt.

Deutsche Hotels werden gern schlechtgeredet, dabei sind sie sehr effizient. Dietmar Müller-Elmau, der Besitzer, ist ein Unikum. Welcher andere Hotelier fliegt nach Chiang Mai, wenn das Mandarin Oriental geschlossen wird, und heuert das gesamte Restaurantpersonal an, um ein Thai-Restaurant in Bayern zu eröffnen? Großartig finde ich auch das Ett Hem in Stockholm, ein Stadthaus mit zwölf Zimmern. Ich habe dort das Gefühl, ich wohne in einer Villa von sehr sehr reichen Freunden, die mir netterweise ihre Schlüssel und ihr Personal überlassen haben. Und das sagt jemand, der es hasst, bei anderen Leuten zu übernachten.

Wenn Sie nach Berlin reisen, wo steigen Sie ab?

Normalerweise im Soho House, auch wenn ich die Partyszene auf der Dachterrasse nicht mag. Und für gewöhnlich auch nicht den Stil, den die Kette favorisiert. Diese moderne Laura-AshleyEinrichtung kann leicht fehl am Platz wirken, in Berlin sehen die Zimmer jedoch wie das Apartment eines früheren britischen Diplomaten aus. Das passt gerade noch so.

In manchen der Zimmer steht eine frei stehende Badewanne im Wohnbereich.

Wirklich? Da habe ich nie übernachtet. Ich hasse Wannen im Zimmer oder halboffene Bäder. Wer findet das gut außer Holländern?

Sie haben so viele Erfahrungen mit Hotels gesammelt. Wollen Sie nicht Ihr eigenes eröffnen?

Witzig, dass Sie das ansprechen. Ich habe gerade gestern eine Immobilie abgelehnt, die mir als Hotelbetrieb angeboten wurde. Ein Haus in Südtirol. Aber momentan passieren so viele Sachen bei „Monocle“, dass ich keine Zeit dafür hätte. Eines Tages würde ich es gern versuchen. Ich denke, beruflich führt es mich mit Hochgeschwindigkeit dahin.

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