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Wissenshunger: Darwin auf Diät

Früher war alles besser. Und ganz viel früher war es natürlich am allerbesten. Kein Wunder also, dass sich manche Menschen bei ihrer Ernährung gleich an der Steinzeit orientieren.

Die Logik: Unser Körper habe sich im Laufe der Evolution an eine Welt angepasst, in der es keine Viehzucht und keinen Ackerbau gab. Darum seien Reis und Nudeln, Milch und Käse nicht gut für den Menschen. Die steinzeitlichen Gene bräuchten eben steinzeitliche Nahrung. Sonst drohten Fettsucht, Diabetes, Herzinfarkt.

„Steinis“ ernähren sich vor allem von Fleisch und Fisch, Obst, Gemüse, Nüssen und Pilzen. In Berlin hat schon 2011 ein Steinzeit-Restaurant eröffnet. „Wenn Sie Ihre Essgewohnheiten den Paläo-Prinzipien anpassen, ernähren Sie Ihren Körper so, wie es die Natur vorgesehen hat“, verspricht der Eigentümer auf der Internetseite.

Der Gedanke ist verlockend. Schließlich hat der Mensch eine evolutionäre Geschichte, die ihn geformt hat. Softdrinks und Schokoriegel sind vermutlich so erfolgreich, weil unseren Vorfahren „leere“ Kalorien, die kaum Nährstoffe enthalten, nicht zur Verfügung standen. Es gab keinen Grund, einen Mechanismus zu entwickeln, der uns vor zu großen Portionen warnt. Warum also nicht unsere ganze Ernährung an der Evolution ausrichten, eine Darwin-Diät?

Das Problem beginnt schon damit, dass es nicht „eine“ steinzeitliche Ernährungsweise gibt. Heute lebende Jäger und Sammler-Völker ernähren sich äußerst unterschiedlich. Während einige Inuit sich zu 90 Prozent vom Fleisch von Meeressäugetieren und von Fisch ernähren, essen manche Völker im Süden Afrikas vor allem Samen und Nüsse. „Unsere Spezies ist nicht auf eine einzige optimale Ernährung ausgerichtet. Das Bemerkenswerte am Menschen ist die unglaubliche Vielfalt dessen, was wir essen“, schreibt der Ernährungswissenschaftler William Leonard. Der Mensch ist ein Allesfresser.

Hinzu kommt, dass die „Steinis“ Darwin falsch verstehen, sagt Marlene Zuk von der Universität von Kalifornien in Riverside. Der menschliche Körper sei heute nicht perfekt an seine Umwelt angepasst und er sei es in der Steinzeit genauso wenig gewesen, sagt sie. Evolution ist ein ständiger Prozess. Das beste Beispiel ist die Laktase. Früher konnten nur Babys mit Hilfe dieses Enzyms den Milchzucker abbauen. Mit der Viehzucht hatten Menschen, die auch als Erwachsene Laktase produzieren, plötzlich einen Überlebensvorteil und die Eigenschaft setzte sich in vielen Regionen der Welt durch.

Auch wenn die Theorie dürftig ist, ungesund ist die Steinzeit-Diät nicht. Die Fleischmenge erhöht zwar vermutlich das Risiko kolorektaler Tumore, sagt Alexander Ströhle, Ernährungswissenschaftler an der Universität Hannover. Zugleich essen Steinis aber wenig Kohlenhydrate, was helfen kann, das Körpergewicht zu reduzieren. Und die große Menge an Ballaststoffen und Mikronährstoffen senkt vermutlich das Risiko koronarer Herzkrankheiten.

Der Menschheit kann so eine Diät trotzdem schaden. „Mit Blick auf das globale Ökosystem halte ich die Empfehlung mancher Paläo-Protagonisten, etwa 50 Prozent der Energie über Fleisch und Fisch zu decken, für desaströs und im Grunde verantwortungslos“, sagt Ströhle. In dieser Hinsicht ist die Diät wirklich steinzeitlich.

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