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Deutsche Flagge

© getty

Studie zur Identität: 60 Prozent der Deutschen zeigen Nationalstolz

Eine Studie belegt: Wir sind wieder gerne deutsch. Und dabei sehr pragmatisch. Zu unserem Wesen gehört es offenbar, etwas zusammenzubasteln, auch die eigene Identität.

Wie deutsch sind wir eigentlich? Dürfen wir stolz auf unser Land sein? Oder nur ausnahmsweise, während einer Fußballweltmeisterschaft? Eine repräsentative Studie, die Soziologen der Universität Hohenheim im Auftrag der Identitiy Foundation durchgeführt haben, zeigt, dass etwa 60 Prozent der Deutschen stolz sind auf ihr Heimatland. Über 80 Prozent fühlen sich deutsch.

Das sei ein völlig neuer Befund, sagt die Kulturanthropologin und Mitarbeiterin der Identity Foundation, Nadia Rosmann. Das Bewusstsein der historischen Schuld sei zwar noch sehr präsent. Die Mehrheit der Deutschen möchte sich davon aber nicht mehr einschränken lassen. Alt bekannt sind hingegen die typisch "deutschen Tugenden", die die Befragten sich selbst zuschreiben: Über 90 Prozent halten die Deutschen für pflichtbewusst und leistungsorientiert. Und fast ebenso viele nennen die Liebe zu Regeln und Ordnung als wichtigen nationalen Charakterzug. Über 80 Prozent sind überzeugt, dass die Deutschen ihre Heimat lieben und Bräuche pflegen.

Hissen die Deutschen also wieder die Fahne?

Hauptsächlich in Gedanken, glauben die Autoren der Studie. Sie bezeichnen die Haltung der Deutschen als "Caféhausmoral". Der Wunsch nach einem stärkeren Wir-Gefühl ist zwar in allen Schichten, Altersgruppen und Regionen verankert, ebenso werden Vorbilder vermisst, die sich zur Identifikation anbieten. Eine innere Verpflichtung dem Vaterland gegenüber erwächst daraus jedoch nicht. Michael Klein, wissenschaftlichen Leiter der Studie, sagt: "Man beklagt den überhand nehmenden Egoismus, aber selbst engagieren will sich kaum einer."

Auch wenn es darum geht, selbst die deutsche Fahne zu schwenken, zeigt sich diese Diskrepanz. Etwa 60 Prozent der Deutschen finden es gut, wieder Patriotismus zu zeigen, aber nur rund 30 Prozent der Befragten würden öffentlich die deutsche Hymne singen oder Schwarz-Rot-Gold flaggen.

Erklärt wird diese doppelte Identität in der Studie mit der individualistischen, modernen Gesellschaft. Die meisten bedienen sich häppchenweise aus dem Fundus deutscher Werte und Tugenden. Sie sind zum Beispiel froh, dass hierzulande der Bus pünktlich kommt und lieben die Landschaft oder die Stadt, in der sie aufgewachsen sind. Die Sehnsucht nach dem starken nationalen Auftritt und einer starken kollektiven Identität keimt zwar ab und zu auf, aber nur im Vergleich mit anderen Ländern.

Jammerlappen oder Werkler?

Der Deutsche steht im Ruf viel zu jammern und zu klagen. Er kann sein Leben nicht genießen und zelebriert als großer Romantiker seine Grübeleien und seinen Weltschmerz. Diese Ansicht teilen heute nur noch wenige. Nur 30 Prozent der Befragten fanden den Jammernden typisch deutsch und nur ein Viertel hält den Deutschen für besonders romantisch oder spirituell. Dafür steht etwas anderes ganz oben auf der Skala: Über 80 Prozent sind überzeugt, dass man den Deutschen am Werkeln erkennt. Das Lob des Bastelns beschränkt sich dabei nicht auf den Hobbykeller. Etwa 50 Prozent sind der Meinung, die Deutschen seien "die besten Tüftler und Erfinder der Welt".

Und wie muss der deutsche Staat sein, auf den man stolz sein kann?

Groß, stark und mächtig - diese Attribute haben ausgedient. Die meisten Deutschen bekennen sich zu Demokratie und Weltoffenheit. Für die Zukunft wünschen sich 90 Prozent die Sicherung des sozialen Systems. Stolz auf den typisch deutschen Sozialstaat ist derzeit aber weniger als die Hälfte der Deutschen. Für die Ostdeutschen spielen soziale Alltagsfragen eine größere Rolle. Viele von ihnen meinen zudem, die Ideen des Sozialismus sollten in Zukunft mehr berücksichtigt werden. Was den Stolz auf die Heimat betrifft, gibt es allerdings kaum Unterschiede zwischen Ost und West.

Sind Sie "Kopf"-, "Herz- oder Kulturdeutscher"?

Die Autoren der Studie teilen die Befragten in vier Typen ein: die "Distanzdeutschen", die "Herzdeutschen", die "Kulturdeutschen" und die "Grunddeutschen". Der "Distanzdeutsche" (13 Prozent der Deutschen) steht an einem Ende der Skala - er fühlt sich weder kognitiv, noch emotional, noch kulturell an Deutschland gebunden. Wenn er wählen dürfte, wäre er lieber Schwede oder Italiener. Er ist eher jung, lebt in der Großstadt, häufig übrigens in Süddeutschland, und ist überdurchschnittlich gut gebildet. "Distanzdeutsche" wünschen sich verblüffenderweise aber wie die meisten Deutschen ein größeres "Wir-Gefühl".

Reine "Kopfdeutsche", also Menschen, die allein deshalb stolz sind auf Deutschland sind, weil das Gehalt pünktlich kommt oder hierzulande besonders gute Autos gebaut werden, gibt es laut der Studie kaum. Diese Sorte Stolz taucht nur gemeinsam mit einer gefühlsmäßigen oder kulturellen Verbundenheit auf. Der Deutsche ist also gar nicht so rational, wie man glaubt.

"Herzdeutsche", deren nationale Identität reine Gefühlssache ist, gibt es aber schon (es sind aber nur etwas über 8 Prozent). Sie kommen in allen Altersgruppen und Bildungsschichten vor. Sie haben Angst davor, dass Einwanderer deutsche Werte und Bräuche zu sehr verwässern könnten.

Die "Kulturdeutschen" nennen neben der Liebe zum Land als Anknüpfungspunkt zur Identitätssuche Brauchtum, Historie und das "deutsche Wesen", also Tugenden und Charaktereigenschaften weniger historische Kulturgüter. "Kulturdeutsche" sind häufig Frauen, sie kommen aus den neuen Bundesländern und aus ländlichen Regionen. Sie gaben an, sich einen neuen Nationalstolz zu wünschen. Knapp 16 Prozent der Deutschen konnten die Soziologen diesem Typus zuordnen.

Wenn Herz, Kopf und Kultur zusammenkommen

Die Gruppe der so genannten "Grunddeutschen" vereint alle drei Formen der Identifikation - Herz, Verstand und Kultur - in sich. Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung zählt die Studie zu diesem Typ. Tendenziell sind die "Grunddeutschen" eher älter, weniger gebildet und eher in Westdeutschland angesiedelt. Sie sind kulturell in ihrer Heimat stark verankert. Interessant ist dabei auch, dass diejenigen, die besonders an der Region hängen, in die sie hineingeboren wurden, oft auch mehr ans Deutschsein insgesamt gebunden sind als andere.

Diese Gruppe ist zudem als einzige der Ansicht, dass die Geschichte den Deutschen eine besondere Verantwortung in der Weltgemeinschaft auferlegt. Eine weitere Untergruppierung der "Grunddeutschen" haben die Studienverantwortlichen noch ausgemacht. Es ist eine Minderheit von etwa 20 Prozent, die bereit ist, sich für ihr Vaterland zu engagieren. Diese Menschen wären zum Beispiel bereit, auf einen Urlaub zu verzichten und stattdessen in einem Katastrophenfall auch fremden Menschen zu helfen.

Auch wenn die Sehnsucht nach einem "Wir-Gefühl" in den unterschiedlichen Gruppen ähnlich groß ist, nimmt sich der Deutsche aus dem Identitäts-Baukasten dennoch das heraus, was ihm gerade am besten passt. Es ist nicht nur der moderne Individualismus. Es scheint zum deutschen Wesen zu gehören, etwas zusammenzubasteln - auch die eigene Identität. (Zeit Online)

Parvin Sadigh

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