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Sturmfolgen: "Kyrill" reißt in Deutschland elf Menschen in den Tod

Das Orkantief "Kyrill" hat eine Schneise der Verwüstung durch Europa geschlagen und mindestens 45 Menschen in den Tod gerissen. Bei einem der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre waren allein in Deutschland elf Todesopfer zu beklagen.

Hamburg - Die meisten Menschen starben durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste. Es gab Hunderte Verletzte. Der Schaden erreicht Milliardenhöhe. Der Sturm tobte mit Spitzengeschwindigkeiten von über 200 Kilometern pro Stunde. Den höchsten Wert registrierte der Wetterdienst Meteomedia mit 225 Stundenkilometern auf dem Schweizer Aletschgletscher. In Deutschland blies "Kyrill" (altgriechisch: "Der Herr") am heftigsten auf dem Wendelstein in Bayern mit 202 Stundenkilometern. Bäume und Strommasten knickten wie Streichhölzer um, Häuserwände stürzten ein, Dächer wurden abgedeckt, der Verkehr brach zusammen, Hunderttausende waren zeitweise ohne Strom.

Während die Küstenregionen von den befürchteten schweren Sturmfluten verschont blieben, gab es im Binnenland ein Verkehrschaos, die Bahn stellte erstmals bundesweit ihren Fernverkehr ein, Autobahnen wurden gesperrt, hunderte Flüge gestrichen. Zehntausende gestrandete Reisende mussten die Nacht auf Bahnhöfen, Flughäfen oder in Notunterkünften verbringen. Die Bahn brauchte bis zum Nachmittag, um den Schienenverkehr zum größten Teil zu normalisieren.

Rettungskräfte im Dauereinsatz

Besonders hart getroffen wurde das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort kamen fünf Menschen durch den Orkan ums Leben, zwei starben in Bayern. Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg hatten je ein Todesopfer zu beklagen. Besonders tragisch war der Fall eines 18 Monate alten Kindes in Bayern. Es wurde vor den Augen seiner Eltern von einer aus der Verankerung gerissenen Balkontür erschlagen. Auch Feuerwehrleute verloren bei Sturm-Einsätzen ihr Leben. Dennoch stufte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Folgen des Orkans in Deutschland als "relativ glimpflich" ein - auch wenn mehrere Menschenleben zu beklagen gewesen seien, sagte der Minister in Berlin. Er fühle mit den Angehörigen der Opfer. Mit welcher Gewalt "Kyrill" nahezu flächendeckend über Deutschland wütete, offenbarte sich bei den Aufräumarbeiten. Die deutschen Versicherer schätzen den Schaden auf eine Milliarde Euro.

Schlimmer noch als Deutschland traf der Sturm die britischen Inseln. Dort starben mindestens 13 Menschen. In den Niederlanden gab es sechs Todesopfer, in Tschechien und Polen kamen je vier Menschen ums Leben, Frankreich meldete drei Sturmtote, Belgien zwei.

Im Bahnverkehr gab es wegen umgestürzter Bäume und herabgerissener Oberleitungen zunächst noch erhebliche Störungen. Der Knotenpunkt Berliner Hauptbahnhof war bis um 13:30 Uhr gesperrt. In dem erst vor acht Monaten eröffneten Bahnhof war am Donnerstagabend ein tonnenschwerer Stahlträger aus 40 Metern Höhe auf eine Treppe im Eingangsbereich gestürzt, verletzt wurde niemand. Der Luftverkehr lief bereits am Morgen wieder weitgehend normal. Der größte deutsche Flughafen in Frankfurt berichtete, Flüge seien wieder uneingeschränkt möglich. Die größte deutsche Airline, Lufthansa, hatte seit Donnerstag europaweit 331 Flüge gestrichen, davon waren 18.900 Passagiere betroffen.

Bahnverkehr erheblich gestört

Deutschlands größter Stromnetzbetreiber RWE hatte die Stromausfälle im Laufe des Tages weitgehend behoben. Probleme gebe es noch in Ostdeutschland. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt waren am Morgen noch 49.000 Haushalte ohne Strom. In Deutschlands Wäldern hat der Orkan nicht die befürchteten großen Schäden angerichtet. "Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen", sagte die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), Ute Seeling. Bundesweit sei mit weniger als zehn Millionen Kubikmetern Sturmholz zu rechnen. Die Folgen für den Wald seien nicht annähernd mit denen des Orkans "Lothar" vom Dezember 1999 vergleichbar.

Schäden an der Küste eher gering

In den Küstenregionen, die sich auf einen schweren Kampf mit den Elementen eingerichtet hatten, hielten sich die Schäden in Grenzen. Die Sturmflut auf der Nordseeinsel Sylt war weniger schlimm als erwartet, auf anderen Inseln und in Hamburg blieb sie ganz aus. Schlimm sah es in den Mittelgebirgen aus. So war der gesamte Oberharz am Morgen nach Polizeiangaben wegen gesperrter und blockierter Straßen von der Außenwelt abgeschnitten. Auch Kulturgüter in Deutschland wurden durch den Sturm beschädigt. Im Römisch-Germanischen Museum in Köln krachten Holzbohlen auf das weltberühmte Dionysos-Mosaik, das zu den herausragenden Kunstschätzen der römischen Antike auf deutschem Boden gehört. In der Lutherstadt Wittenberg lösten sich zahlreiche Gesteinsbrocken in der zum Unesco-Welterbe gehörenden Schlosskirche. In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin deckte der Sturm das Dach des Archivs ab.

Viele Schüler konnten den Folgen des Sturms indes auch positive Seiten abgewinnen. So fiel in Bayern der Unterricht an allen öffentlichen Schulen aus. In anderen Bundesländern gab es vereinzelt "sturmfrei", vielerorts wurde es den Eltern überlassen, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken.

Wissenschaftler: Schlimmstes Tief seit 20 Jahren

Nach Einschätzung von Meteorologen war das Orkantief eines der schlimmsten in den vergangenen 20 Jahren. "Es spielt in der obersten Liga", sagte Manfred Spatzierer vom Wetterdienst Meteomedia. "Kyrill" sei zu vergleichen mit den Orkanen "Lothar" im Dezember 1999 und "Wiebke" im März 1990. Allerdings habe "Lothar" mit deutlich höheren Windgeschwindigkeiten auf einem eng begrenzten Gebiet vor allem in Süddeutschland höhere Schäden angerichtet. "Kyrill" sei zwar "bei den Spitzenböen nicht vorne dabei" gewesen, aber über ganz Deutschland hinweggezogen. Das Unwetter brachte auch heftige Regenfälle und extrem warme Luft mit sich. Die Pegel vieler Flüsse stiegen bedrohlich an. Die höchsten Niederschlagsmengen wurden laut Meteomedia in Höchenschwand im Schwarzwald mit 113 Litern pro Quadratmeter gemessen. Mitten in der Nacht wurden in Sankt Bartholomä am Königssee in Bayern 17,8 Grad gemessen. In Wien kletterte das Quecksilber sogar auf 20 Grad - laut Meteomedia war das die höchste je gemessene Temperatur in einer Januar-Nacht in der österreichischen Hauptstadt. (tso/dpa)

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