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Panorama: Subkultur von oben

Sie lieben die osteuropäische Prärie und feiern in alten Kasernen – die Bohemiens sind wieder da

Die Sonne steht tief am Himmel. Unter der Brücke fließt die Spree, rechts leuchtet die Kuppel der Synagoge, links steht in seiner wilhelminischen Imposanz der Berliner Dom. Die osteuropäische Straßenmusikantin, die hier jeden Tag sitzt, spielt auf ihrem Multifunktionskeyboard „La Mer“ von Charles Trenet. Seit einer halben Stunde hört ihr, lässig an die Balustrade gelehnt, ein Mädchen zu.

In ihren Ballerina-Pumps stecken, zum X übereinandergeschlagen, grazile Beine in altmodischen Nylonstrümpfen mit Rücknaht. Ihre braunen Haare sind seitengescheitelt, mit großer Wasserwelle, und hinten zum Knoten zusammengesteckt. Der dunkle Persianermantel hat Blessuren, die auch der rosa Paschima- Schal nicht verdecken kann, den sie darauf verknotet hat: „Nouveau Pauvre- Chic“ nennt man das wohl. Ihr Gesicht ist hinter einer riesigen Gucci-Sonnenbrille versteckt. „Das ist mein Lieblingsplatz in Berlin“, sagt Beatrice Weidenfeld. Sie zieht blasiert und anmutig an ihrer Zigarette: „Wenn ich hier bin, vermischen sich die Zeiten in mir.“

Beatrice Weidenfeld ist auf den zweiten Blick älter als gedacht: Sie schiebt ihre Brille hoch und zeigt müde Augen. Sie hat bis spät getanzt auf der „Langen Nacht der Jungen Gelben in Berlin“ im Offizierskasino der Julius-Leber-Kaserne, einem alten Sandsteinbau der Nazis im Westteil der Stadt. Den Ball haben Freunde organisiert – wie die meisten Feiern, zu denen Beatrice Weidenfeld geht.

250 geladene Gäste waren da, viele adelig. Abendgarderobe war Pflicht: Rosa Chiffonkleider, lange geraffte schwarze Taftröcke, Handschuhe bis an die Oberarme waren zu sehen, außerdem Dinnerjacketts, Smokings, Fracks. Die Damen trugen Perlen, die Gentlemen Einstecktuch und Siegelring. Alle gaben beim wachhabenden Unteroffizier in seinem hölzernen Wachhäuschen den Personalausweis ab und erhielten einen Besucherausweis für die Kaserne, das Ticket zur Zeitreise: Walzer wurden auf dem Ball gespielt, dann die alten Schlager, Samba und Cha-Cha-Cha. Knotentanz lässt sich mit Übung auch im Dreivierteltakt tanzen. Später, als „Preußens Gloria“ angestimmt wurde, der alte Marsch, von guten Republikanern längst vergessen, erhoben sich die meisten im Saal.

Beatrice, die, so sagt sie, als freie Autorin arbeitet, mag so was. Deshalb hat sie sofort zugesagt, als der Bandleader – Kappellmeister wäre vielleicht der passendere Ausdruck – Cornelius von Zitzewitz ihr von dem Abend erzählte. „By invitation only“, das ist bei diesen gesellschaftlichen Veranstaltungen Voraussetzung: „Das ist hier ein Klüngel-Tanz, ich spiele am liebsten für Stagenos“, meint Cornelius, ein Beau mit klassischer Attitüde: groß und hager, die dunkelblonden Haare sorgfältig nach hinten gesprayt, stahlblaue Augen zum hellblauen Ralph-Lauren-Hemd. „Stagenos“ sind Standesgenossen.

Knotentänzer und Teil dieser Hautevolee ist auch Christian von Olshausen. Als er in Dresden studierte, entdeckte er seine Liebe für den Osten. Die Ziele seiner Jet-Set-Trips heißen nicht Sankt Moritz oder Saint Tropez – sie liegen in Polen, Tschechien und im Baltikum. Dort taucht er ein ins Bohemien-Leben im Junkerstil. Sein nächstes Reiseziel ist die ungarische Puszta. Er quartiert sich dort auf einem alten Gut ein – „bei Freunden“ – und unternimmt lange Ausritte in die osteuropäische Prärie. Alternativ jagt er im anliegenden Wald Rehe und Wildschweine. „Der Osten hat diese Reinheit und natürliche Schönheit, diesen Glanz aus K.-u.-k.-Zeiten“, sagt er und seine dunklen Augen glänzen – „so was findet man bei uns nicht mehr.“

Dass ihr Stil verdächtig nach Wertkonservativismus und Weimarer Republik riecht, dass sie Prototypen der jetzt in den deutschen Feuilletons mal geliebten, mal verspotteten „neuen Dandys“ sind, weiß Beatrice. Sie kokettiert: „Heute darf jeder alles und nichts zählt, weil alles zählt. Also lebe ich mein Leben mit Stil, nicht mit der Masse.“ Und weiter: „Wir feiern die Wiederauferstehung der Ästhetik und der Manieren, der Nonchalance und der Opulenz. Das ist keine Sache des Geldes, sondern der Kultur.“

Wenn Beatrice redet, näselt sie etwas. Sie benutzt gern französische Worte. Ihre Freunde nennt sie „Monsieur“ oder „Ma Chere“. Statt „sehen“ sagt sie „schauen“, das hat sie von Christian Kracht. Seine Bücher stehen in ihrer Billy-Schrankwand von Ikea neben Adornos „Minima Moralia“ – „wegen der Kulturkritik“. Auch Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, Canettis „Die gerettete Zunge“ („so wunderbar Fin de Siecle“) und C.S. Lewis „Mere Christianity“ („wegen der Werte“) stehen da – und Alexander von Schönburgs „Kunst des stilvollen Verarmens“, das Buch zum Lebensgefühl.

Auf dem Boden neben dem Esstisch stehen leere Champagnerflaschen.

„Ich musste die letzten Tage viel schreiben“, entschuldigt sich die 28-Jährige lächelnd, „dass geht besser, wenn ich was zu trinken da habe“.

Eine Subkultur von oben hat sich da etabliert, deren Essenz sich auf ästhetische Formeln reduziert. Das Leben dieser Neo-Dandys ist eine Suche nach der verlorenen Zeit. Sie spielen jeden Tag ihre selbst erfundenen Rollen und zelebrieren Klischees; der Schein ist wichtiger als die Substanz. Natürlich soll es dabei auch um Abgrenzung gehen, niemand bekennt sich gern zur Masse: Den Beaus und den Beatniks, New-Age-Begeisterten wie Neo-Cons ist ihre Suche nach Individualismus gemeinsam.

Wenn in Zeiten allgemeiner Proletarisierung also wieder einmal der Kulturkampf ausgerufen und dem Alltag „Haltung“ entgegengestellt werden soll, wenn Stil als Schutzschild gegen Schmutz jeder Art dient, dann ist das auch Ausdruck unserer post-postmodernen Welt und gesellschaftlicher Dekadenz: Dieser Jeunesse doree geht es nicht mehr darum, Geld anzuhäufen. Sie will dem Verfall mit äußeren Werten begegnen, die früher oder später auch die innere Leere füllen sollen. Schon bevölkern die neuen Dandys mit Tweedanzug, Stehkragen und der nötigen Noblesse wieder Londons Straßen.

Beatrice hat inzwischen genug Chansons gehört. Sie muss weiter, zu Cornelius und Christian. Sie planen das neue Projekt: die 30er-Jahre-Feier. Keine Party voll falschem Pomp, „mit Accessoires, die man für fünf Euro auf dem Karnevalsgrabbeltisch findet“, sondern die große Schau – wie aus einem Ufa-Filmset. Beatrice verschwindet Richtung Museumsinsel zwischen Schinkels Monumentalbauten. Zurück bleibt der süßlich-vanillige Duft ihres Parfums und die Frage, wie viel Stil diese Zeit verträgt.

Anna Schwan

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