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Panorama: Überraschender Freispruch im Enschede-Prozess Gericht hebt Freiheitsstrafe wegen Brandkatastrophe wieder auf

Arnhem. Der Gerichtshof in der niederländischen Grenzstadt Arnhem hat am Montag einen unerwarteten Schlusspunkt unter die große Brandkatastrophe von Enschede im Mai 2000 gesetzt.

Arnhem. Der Gerichtshof in der niederländischen Grenzstadt Arnhem hat am Montag einen unerwarteten Schlusspunkt unter die große Brandkatastrophe von Enschede im Mai 2000 gesetzt. In zweiter Instanz sprach das Gericht den 37-jährigen Hilfsarbeiter Andre de V. vom Vorwurf der Brandstiftung frei und hob damit das Urteil auf fünfzehn Jahre Freiheitsentzug auf, das in erster Instanz im August vergangenen Jahres ergangen war. Der Grund: „Unzusammenhängende Erklärungen“ des Beschuldigten gegenüber einem verdeckten Polizeiermittler dürfen nicht als Geständnis gewertet werden.

Bei der Brandkatastrophe am 13. Mai 2000 war eine Feuersbrunst von dem Fabrikgebäude in kürzester Zeit auf die Häuser eines umliegenden Wohnviertels übergesprungen und hatte dabei 400 Häuser zerstört. Bei dem Großbrand waren 22 Menschen ums Leben gekommen und 560 verletzt worden. Das betroffene Wohnviertel hatte ausgesehen wie nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg.

Mehrere Ermittlungsverfahren, darunter ein Untersuchungsausschuss des niederländischen Parlaments, befassten sich in den Folgejahren mit den Ursachen der Katastrophe. Dabei waren auch zahlreiche Ungereimtheiten und Regelwidrigkeiten bei der Vergabe von Genehmigungen und bei der Lagerung der Feuerwerkskörper in einer Fabrik inmitten eines Wohngebietes zur Sprache gekommen. Strafrechtlich verfolgt wurden letztlich aber nur die beiden Direktoren der Feuerwerkskörperfabrik S.E. Fireworks, Rudi Bakker und Willie Pater, sowie der mutmaßliche Brandstifter V.

Bakker und Pater waren im vergangenen Jahr zu je sechs Monaten Freiheitsstrafe, die zur Hälfte zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden, weil sie Umweltschutzvorschriften übertreten und illegal mit Feuerwerkskörpern gehandelt hatten. Auf dem Firmengelände war weit mehr Gefahrengut gelagert gewesen, als die entsprechenden Genehmigungen vorsahen. Da die Untersuchungshaft angerechnet wurde, kamen die beiden nach der Verhandlung im August sofort auf freien Fuß.

Die Tat immer bestritten

Andre de V. dagegen wurde in erster Instanz zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Dabei berücksichtigte das Gericht seine Aussage gegenüber einem Undercover-Agenten der Polizei, der in seine Zelle im Untersuchungsgefängnis entsandt worden war. Ihm gegenüber soll Andre de V. die Brandstiftung zugegeben haben. In den offiziellen Verhören bei der Polizei bestritt er die Tat jedoch ebenso wie vor Gericht. Sein Anwalt Bram Moszkowicz interpretierte die Undercover-Aktion dagegen als ein Verhör, vor dem sein Mandant nicht auf sein Schweigerecht hingewiesen worden sei.

Zugute kam Andre de V. ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in einer anderen Sache, das erst im November erging. Im Fall eines wegen Raubmordes verurteilten Briten hatte die britische Polizei ebenfalls einen Polizeiagenten in die Zelle des mutmaßlichen Täters gesetzt und dort noch zusätzlich Abhörgeräte angebracht. Doch das Geständnis, das der Verdächtige dem Beamten gegenüber abgab, ließ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht gelten. Die Prozedur verstoße gegen das Recht auf einen fairen Prozess, urteilten die Richter.

Klaus Bachmann

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