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Panorama: Unter allen Wipfeln liegt Ruh

Nordrhein-Westfalen will das Bestattungsgesetz ändern – Totenasche soll nicht nur auf Friedhöfen ihren Platz haben

Die letzten warmen Herbstsonnnenstrahlen fallen auf moosbedeckte Steine. Der Wind streicht sanft über die Baumkronen und lässt die Blätter tanzen. Überall im Wald ist Bewegung und Leben – und doch ist der Tod ganz nah. Denn die Bäume sind Gräber, lebendige Grabsteine für die sterblichen Überreste geliebter Menschen – im Friedwald, einer besonderen Ruhestätte. Hier wird die Totenasche nicht in einer Urne beigesetzt, sondern in die Baumwurzeln gestreut.

Der Friedwald gehört zu Ueli Sauters Privatgrundstück und liegt im schweizerischen Mammern. In Deutschland hat es lange keinen einzigen Friedwald gegeben, denn noch immer gilt der staatlich verordnete Friedhofszwang auch für Totenasche. Einem gelernten Bankkaufmann aus Hessen ist es trotzdem gelungen, Ueli Sauters Idee auch in Deutschland zu verwirklichen. „Friedwälder gibt es in Reinhardswald nördlich von Kassel und im Odenwald“, sagt der ehemalige Banker Axel Baudach. Jetzt schimmern die Blätter der Bäume goldgelb, und wären da nicht die Namenstafeln an den Baumstämmen – nichts würde darauf hindeuten, dass hier Menschen beerdigt worden sind.

Reiner Sörries, der Geschäftsführer des Arbeitskreises Friedhof und Denkmal, findet diese Form der Naturbestattung allerdings bedenklich. „Die kollektive Erinnerungskultur geht zurück“, sagt er. Auch die katholische und evangelische Kirche warnen vor einer Aufhebung des Friedhofszwangs bei Urnenbestattungen: Friedhöfe seien kulturell bedeutsame und allgemein zugängliche Orte des Gedenkens, heißt es beim Evangelischen Büro in Nordrhein-Westfalen.

Der Düsseldorfer Bernd Bruns von der Verbraucherinitiative Postmortal kann das nicht verstehen. „Es gibt keine plausible Erklärung, warum auch für Feuerbestattungen Friedhofspflicht herrscht“, sagt Bruns. Ginge es nach seinem Willen, müsste dieses Gesetz aus dem Jahr 1934 endlich aufgehoben werden. Sein Ziel: „Nieder mit der Zwangsbeisetzung und freie Platzwahl für Totenasche.“ Was spreche dagegen, dass die Urne zu Hause im Wohnzimmerschrank aufgestellt wird, wenn es doch der Wunsch der Hinterbliebenen sei, fragt Bruns.

Wenn der Vorhang für immer fällt, möchte er den letzten Akt selbst inszenieren und nicht den Regieanweisungen des Staates folgen. Bühnenbild und Requisite für sein persönliches Trauerspiel sind bereits vorhanden: Auf Bruns’ Bücherregal steht schon heute eine bronzene Urne für seine Asche. „Ich will über den Tod hinaus mit meinem gewohnten Lebensumfeld verbunden bleiben“, sagt er. Und tatsächlich hat Bruns einen Weg gefunden, einer Zwangsbeisetzung zu entgehen. Der führt über die deutsche Grenze in das niederländische Krematorium Slangenburg. Wie in den meisten EU-Ländern – Italien, Spanien, Österreich und Deutschland ausgenommen – darf hier die Urne den Hinterbliebenen ausgehändigt werden. Dagegen können die deutschen Behörden wenig ausrichten. Die Überführung ist zwar rechtswidrig, aber nicht strafbar.

Das könnte sich bald ändern. Das Parlament in Düsseldorf debattiert gegenwärtig über eine großzügigere Fassung des Bestattungsgesetzes. Ein Entwurf der Landesgesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) sieht vor, dass NRW als erstes Bundesland den Friedhofszwang für Urnenbestattungen aufhebt. Dadurch werde dem veränderten Umgang mit dem Tod und den Wünschen von immer mehr Menschen Rechnung getragen, sagt Fischer.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid hat ergeben, dass sich jeder dritte Bundesbürger wünscht, seine letzte Ruhestätte selbst bestimmen zu können. Kommunen und Bestattungsgewerbe wollen allerdings weiter an den Friedhöfen als dem öffentlichen Ort der Totenruhe festhalten. Aus kulturellen Gründen, aber auch aus finanziellen. Denn beide fürchten natürlich um ihre Einnahmen.

Dennoch, Bernd Bruns glaubt fest daran, dass sein letzter Wille, die ewige Ruhe in einer Urne daheim auf dem Wohnzimmerschrank zu finden, doch noch in Erfüllung geht. Und zwar ohne Umweg über die Niederlande.

Dagmar Rosenfeld

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