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Verkehrsexperte Schreckenberg: "Bei langen Touren schalten Fahrer ihr Großhirn ab"

Ferienzeit ist Stauzeit. Es droht der Verkehrsinfarkt. Warum Staus entstehen, wie Fahrer vorbeugen können und warum Berlin verglichen mit anderen Städten noch Glück hat, erklärt Verkehrsexperte Michael Schreckenberg.

Am Mittwoch beginnen in Berlin die Sommerferien. Stau auf der Autobahn ist garantiert. Hinzu kommt, dass am ersten Ferientag auch die Sanierungsarbeiten der Avus, der knapp zehn Kilometer langen Schnellstraße vom Berliner Westen in Richtung Potsdam, beginnen. Was für ein Verkehrsaufkommen haben Berliner zu erwarten?

Generell muss zwischen Fernverkehrsstrecken und Pendlerstrecken unterschieden werden. Letztere weisen in den Ferien zehn Prozent weniger Verkehrsaufkommen auf als sonst. Deshalb wird dort in den Ferien auch gerne gebaut. Anders ist es auf den Fernstrecken, die jetzt zusätzlich vom Urlaubsverkehr befahren werden. Hier nimmt der Wert zu Spitzenzeiten um fünf Prozent zu. Staugefahr herrscht dabei generell in den Ballungsräume um München, Köln, Frankfurt, Hamburg und Berlin.

Die Hauptstadt hat im Vergleich zu den anderen Großstädten aber das Glück kein Durchgangsraum zu sein. Wer von oben kommt, muss durch den Frankfurter, Kölner oder Münchner Raum hindurch und im Norden durch Hamburg. Da in den Osten aber weniger Menschen fahren, ist Berlin nicht so belastet. Dennoch gelten die A19 Richtung Rostock, die A24, bei der man sich den Elbtunnel spart, und die A9 Richtung Süden als staugefährdet. Dazu zählt auch die A2 Richtung Westen nach Frankreich und Spanien.

Viele kennen das Phänomen, wenn plötzlich wie aus dem Nichts ein Stau entsteht. Dann heißt es: Warnblinkanlage an und die hinterher Fahrenden warnen. Woher kommen diese urplötzlichen Staus?

Generell entstehen 60 bis 70 Prozent der Staus durch Überlastung von zu vielen Autos auf derselben Strecke, zur selben Zeit, in derselben Richtung. Etwa 15 bis 20 Prozent sind je auf Baustellen und Unfälle, etwa zwei Prozent auf das Wetter wie starke Regenfälle zurückzuführen. Das wesentliche bei der Überlastung sind die so genannten Stauwellen. Sie entstehen im zäh fließenden Verkehr mit zehn bis 30 Kilometer pro Stunde, wenn dort Fahrer stehen bleiben und andere zum Bremsen zwingen. Das Fatale: Diese Wellen bewegen sich 15 Kilometer rückwärts aus dem Stau heraus und können sich eine halbe Stunde bis Stunde halten und sogar die Autobahn wechseln. Das passiert, wenn viele Fahrzeuge unterwegs sind. Hinzu kommt, dass der zähfließende Bereich wie eine Pumpe wirkt. Das heißt es kann eine Stauwelle nach der anderen auftreten und dieser Effekt löst sich erst auf, wenn der Zufluss an Wagen geringer wird.

Durch Bremsen kann ich also Stau verursachen. Was kann ich tun, um diesen zu vermeiden?

Nicht die Lücke schließen. Viele Menschen haben Angst oder mögen es nicht, dass jemand vor sie drängelt. Deshalb geben sie lieber Gas und bremsen ab, um niemanden in die Lücke zu lassen. Aber das verursacht Stau. Genauso wie er verursacht wird, wenn beim Kolonne fahren Autofahrer immer die Seiten wechseln, weil sie das Gefühl haben, die andere Seite sei schneller als ihre. Das ist aber falsch - ein psychologischer Effekt. Ich präge mir nämlich die Autos, die an mir vorbeigefahren sind besser ein, als die, die ich überholt habe. In der Realität hebt sich der Vorteil der vermeintlich besseren Spur irgendwann auf und ich habe am Ende immer noch die gleichen Fahrzeuge um mich herum. Doch habe ich durch mein dauerndes Wechseln zusätzlich Stauwellen nach hinten abgegeben.

Sollte ich in einer "Stop and Go" Situation, wie Sie sie beschreiben, dann nicht lieber die Autobahn bei nächster Gelegenheit verlassen?

Meiner Meinung nach sollte man die Autobahn bei Stau nicht verlassen - außer bei Vollsperrungen. Untersuchungen haben ergeben, dass man bei "Stop and Go" durchschnittlich immer noch zehn Kilometer pro Stunde schnell. Das ist schneller, als wenn man auf der Bundestraßen samt Ampelverkehr fährt.

Wir haben so viele technische Möglichkeiten, Staus zu erkennen. Warum gibt es heute mehr davon als früher?

Weil es heute mehr Verkehrsinformationen gibt. Vor den großen Staus wird gewarnt, anschließend umfahren die Menschen sie und das ergibt oft viele, kleine Staus. Doch ein Zehn-Kilometer-Stau ist schlimmer als zwei Fünf-Kilometer-Staus. Denn wer jeweiligen Zeitverlust von 100 Autos berechnet, wird herausfinden, dass die Autos durch die kleineren schneller durchkommen, weil sie parallel geschehen. Beim langen Stau sind die Hinterfahrer aber erst fünf Kilometer nach vorne gekommen und stecken immer noch im Stau. Sie verlieren quasi ein Drittel mehr Zeit. Deshalb ist die Aussage, dass wir mehr Staus als früher haben, eigentlich unsinnig. Denn der Zeitverlustzeit ist geringer. Und darum genau geht es eigentlich bei einem Stau.

Bei dem ganzen Verkehrswirrwarr schwindet einem gerne auch die Konzentration.

Ja, bei langen Touren oder langweiligen Strecken schalten Fahrer ihr Großhirn ab und sind eigentlich nicht mehr präsent. Sie denken an alles außer Auto fahren. Das Gegenteil gilt für den Beifahrer, der deshalb auch immer Angst hat. Der Beifahrer kann nichts machen. Schläft der Beifahrer, ist ein Unfall umso schlimmer, da er mit einem völlig entspannten Körper die komplette Last abfängt. Deshalb sollten Eltern auch langsamer fahren, wenn ihre Kinder schlafen. Und noch eine andere Sache vermindert die Konzentration: Telefonieren. So hat eine amerikanische Studie ergeben, dass Freisprechanlagen Auswirkungen wie 0,8 Promille Alkohol haben.

Haben sie noch mehr Tipps für eine entspannte Fahrt in den Urlaub?

Man sollte gelassen sein und sich innerlich auf einen möglichen Stau einstellen, dann kommt auch die Gelassenheit. Es hilft nichts, ungeduldig zu sein, deshalb Lücken schließen zu wollen und dann doch wieder bremsen zu müssen. Urlaubszeit ist Entspannungszeit und wer keinen Flieger kriegen muss, hat dann ja auch keinen Zeitdruck. Und der kann durch Planung möglicher Staus und Einplanung größerer Pausen vermieden werden.

Außerdem sollte Vorsorge getroffen werden. Keine Getränke und Spiele bei einer Vollsperrung dabei zu haben, ist Stress pur. Auch kalkuliert werden sollte der Druck und die innere Belastung, bei einem Stau nicht einfach von der Autobahn verschwinden zu können. Und generell gilt: Es ist gut, sich zu informieren, aber nicht gut, hektisch jedem Hinweis zu folgen. Wer nachts fahren kann, sollte das tun. Dabei herrschen nämlich deutlich angenehmere Temperaturen als an einem Sommertag, an dem es bis zu 40 Grad heiß im Auto werden kann. Und wer an diesen Tagen unterwegs ist, dem sei gesagt, dass es bei stundenlangem Staus erlaubt ist den Motor auszustellen, eventuell vorsichtig auszusteigen und Kraft zu tanken.

Michael Schreckenberg ist Verkehrsexperte an der Universität Essen-Duisburg und gilt vielen als "Stau-Papst".  

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