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Panorama: Volle Konzentration

Die berühmteste Konserve der Welt: Weit mehr als 1 000 000 000 Mal wurde Andy Warhols Muse verkauft. Nun feiert diese Suppe ihren 110. Geburtstag.

Von Ariane Bemmer Die Büchse öffnet sich, der Geruch nach Tomatenmark breitet sich aus, dann stürzt das berühmteste aller Suppenkonzentrate in den Topf. Mit Wasser verdünnt im Verhältnis 1:1, verrührt, erhitzt und schon dampft im Teller ein Mythos, blutrot und amerikanisch wie Football.

Fast die ganze Welt kennt diese Suppe, aber weniger, weil sie so köstlich ist – sie schmeckt süßlich, künstlich, ketchuphaft –, sondern weil vor 45 Jahren ein slowakischstämmiger Grafikdesigner in New York zu Farbe und Tuch griff und Campbell’s Tomatensuppe aus Campen, New Jersey, im Siebdruck abbildete. Damit erhob Andy Warhol die Suppendose vom kulinarischen Notgriff zum Kunstobjekt: eine ikonifizierte Hülle um einen Inhalt, der nur verdünnt genießbar ist.

Begonnen hat die Geschichte von Campbell’s Dosensuppen vor 110 Jahren an der Universität Göttingen, wo sich der 24-jährige Amerikaner John T. Dorrance vier Jahre lang fortbildete. Während er feierabends ein großes Interesse der deutschen Bevölkerung an Suppen aus Konserven beobachtet, studierte er tags an der Philosophischen Fakultät die Fächer Chemie, Physik und Mineralogie und schrieb eine Promotion, die unter den Augen des Chemie-Nobelpreisträgers Otto Wallach bestand. 1897 kehrte Dorrance zurück nach Amerika, um aus seinen Landsleuten eine „Nation von Dosensuppenessern“ zu machen.

Dass Dorrance zu Campbell’s kam, lag an seinem Onkel, der dort ein hohes Tier war und ihm im Labor einen Platz freiräumte. Da hieß der Betrieb noch Joseph A. Campbell Preserve Company und stellte Konserven jeder Art her. Für den Wochenlohn von 7,50 Dollar erfand Dorrance eine Methode, Dosensuppen durch Wasserentzug zu konzentrieren, was Herstellung, Vertrieb und Suppe billiger machte. Sein Verfahren wurde ausprobiert, und so kam Campbell’s Tomatensuppenkonzentrat für zehn Cent die Dose auf den Markt. Und die Leute griffen zu. 40 000 Dosen stellte die Firma 1905 pro Woche her. Ein Erfolg, der Dorrance’ Gehalt verbesserte: Es stieg auf neun Dollar (bevor er 1930 starb, hatte er die Firma aber noch gekauft).

1989 wurde die einmilliardste Tomatensuppendose abgefüllt. Im Jahr 1994 verkündet Campbell’s, dass in Amerika mehr als 70 Büchsen pro Sekunde gekauft würden. Die Marke Campbell’s hat in den USA einen Bekanntheitsgrad von nahezu 100 Prozent. Und in Deutschland? Kennt sie quasi kein Mensch.

„Unter fünf Prozent“, sagt Frank Golombek von Campbell’s Germany, wussten bei Umfragen mit dem Namen Campbell’s etwas anzufangen. Kein Wunder: Es gibt die Marke hierzulande kaum. Eine der raren Bezugsadressen ist in Berlin die Feinkostabteilung des KaDeWe, sechster Stock, hinter dem Fisch, rechts. Zwei schmale Regale, Warhol in echt führt ein Nischendasein. Hierzulande werde Campbell’s, sagt Golombek, erst erkannt, wenn man seine Bilder zeige.

Von Andy Warhol, dessen Todestag sich am 22. Februar zum 20. Mal jährt, heißt es, dass er sich über Jahre quasi von Campbell’s Suppen ernährt habe, bevor er anfing, die kleine Dose zu zeichnen, zu malen, mal in kostbar wirkenden Glanzfarben, mal zerbeult mit zerfetztem Etikett. Eine derartig enge Beziehung zwischen einem Künstler und einer Ware gab es noch nie. Aber die Liebe war launisch: In der Firmenzentrale am Campbell Place 1 reagierte man auf den unverhofften Scoop von 1962 offenbar eher kühl. Dass Warhol mit einer ihrer Dosen den Kunstmarkt auf den Kopf stellte, bemerkte man zufällig, sagt Golombek, irgendwelche Reaktionen seien nicht überliefert. Auf geschäftsmäßiger Ebene sei man sich begegnet, habe Nachdruckrechte vereinbart und pflege bis heute enge Verbindung zur Andy Warhol Association. Aber emotional sei die Beziehung nicht.

Und so heißt der Ort, an dem zwei gigantische Campbell’s Tomatendosen aus Beton in den Himmel ragen, auch nicht Camden, sondern Medzilaborce. Das ist ein Karpartenort im Nordosten der Slowakei. Einzige Sehenswürdigkeit: das Andy Warhol Museum of Modern Art, das hier steht, weil 15 Kilometer entfernt im Jahr 1892 Julia Justina Zavacki geboren wurde, Warhols Mutter.

In Camden, wo unter den 80 000 Einwohnern kein einziger mit slowakischen Wurzeln ist, sucht man derlei Devotionalien vergebens. Dabei war Campbell’s in Sachen PR immer vorne weg. 1899 hatte Suppenreklame auf New Yorker Straßenbahnen den Absatz in der Stadt verdoppelt. Später tat man sich als Pionier hervor, indem man ganzseitige Anzeigen in Illustrierten schaltete, im Radio „Mm, Mm, Good!“ murmeln ließ und Spots fürs Fernsehen drehte. Schon 1904 wurden die „Campbell Kids“ erfunden, gezeichnete Kinderfiguren mit Pausbacken, die planmäßig tausende Herzen eroberten, die es auf Postkarten oder Buttons zu kaufen gab, die zu skaten und zu rappen anfingen, als das die US-Kids auch gerade mochten. Dazu kamen Kochbücher, Testküchen und Publikumsaktionen. Als 1989 die Broccolisuppe neu war, wurde ein „Get President George Bush to Eat Broccoli“- Rezeptwettbewerb ausgerufen, weil der sich als Abstinent („Ich habe Broccoli schon als Kind gehasst“) geoutet hatte.

Es ist in den USA an Campbell’s Dosenfutter also kein Vorbeikommen. Und auch im Ausland kaum – wobei man das nicht immer merkt. Campbell’s hat schon früh angefangen zu expandieren (Kanada, Großbritannien, Mexiko, Asien) und lokale Firmen aufzukaufen: C.A. Swanson & Sons (Brühwürfel), Backproduktehersteller Pepperidge Farm, Biscuits Delacre und Godiva Chocolatier aus Belgien und in Deutschland vor elf Jahren die Firma Erasco. Dazu wurde beständig an der Produktpalette gearbeitet. Ochsenschwanz, Gemüse, Schwein und Bohnen, Huhn und Reis, Champignons, Nudeln, Schwarz- und Brechbohnen, Spargel, Sellerie, Chili, Neues kam hinzu, Altes flog raus. Campbell’s ist heute in 120 Ländern aktiv, beschäftigt weltweit mehr als 24 000 Mitarbeiter und erzielte 2006 einen Umsatz von 7,3 Milliarden US-Dollar.

Und im Kern des Imperiums steht noch immer sie: die niedliche rotweiße Suppenkonserve, anno 1900 ausgezeichnet für besonders guten Geschmack auf der Weltausstellung in Paris mit einer Plakette, die in der Mitte jeder Konserve gülden glänzt. Eine Dose, kleiner noch als eine Coladose und ebenso mühelos zu bedienen: öffnen, verdünnen, erhitzen, verzehren dauert keine fünf Minuten.

Und auch fürs Auge ist der Prozess ein angenehmer. Vorbei die Zeit, als das Suppenkonzentrat glibbrig in dem Topf stand, zittrig in der Dosenform verharrend und mit massivem Schneebeseneinsatz zu Brei verrührt werden musste. Die neue instabil-cremige Konsistenz des Konzentrats war Anfang des Jahrtausends Gegenstand von Verbesserungsmaßnahmen, in die Campbell’s investierte, um den Umsatz wieder zu befördern, der nach Rekorderlösen in den 70er Jahren zurückgegangen waren. Grund war die Konkurrenz durch modernes Essen: Fast Food, Mikrowellengerichte und Instant-Snacks. Produkte, deren Verpackungen nichts Handfestes haben, die zerlegt werden und in den Müll fliegen. Die kaum inspirierend gewesen wären für Warhol, der über die kleine Campbell’s-Dose gesagt hat, sie sei ein Held.

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