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Panorama: Warten auf den Märchenprinzen

Mariah Carey ist wieder da – aber hat sie gegen die neue Generation selbstbewusster Sängerinnen eine Chance?

Ein Flopalbum, Nervenzusammenbrüche und Klinikaufenthalte, Rauswurf von der Plattenfirma – wer noch vor eineinhalb Jahren Mariah Carey solche Umstände prophezeit hätte, wäre vermutlich für verrückt erklärt worden. Wer „Charmbracelet", Careys am morgigen Montag erscheinendes Album gar als ihre letzte Chance deutete, wohl erst recht. Jetzt aber steht ihre Karriere wirklich vor dem Scheideweg. Wie konnte es so weit kommen? Seit ihrem Durchbruch 1990 hatte Carey wie eine Hitmaschine funktioniert und sagenhafte 150 Millionen Tonträger verkauft.

Selbst in der von extremer Kurzlebigkeit geprägten Popbranche erscheint es einmalig, dass es bei einer derart hohen Hit-Kontinuität nur eines einzigen Mißerfolgs bedurfte, um Careys Karriere zu gefährden. Das Unglücksprojekt hieß „Glitter": Der autobiografische Musikfilm mit Carey in der Hauptrolle ging im vergangenen Jahr ebenso unter wie der dazugehörige Soundtrack. Wäre die Single „Loverboy" nicht dank eines aggressiven Vermarktungsplans für 49 Cent im Supermarkt verschachert worden, das Stück hätte es nie in die US-Top-Ten geschafft. Für „Glitter" hatte die Soulsängerin sich zu verjüngen versucht, probierte sich am 80er Disco-Revival und arbeitete mit HipHop- Stars zusammen. Es wäre also ein Leichtes, ihren Mißerfolg auf diesen Tritt ins unpassende Genre-Terrain zurückzuführen. Aber auch Careys eigene Flopanalyse würde durchaus Sinn machen: Da „Glitter" am Tag der Terrorattentate in den USA erschien, habe ihre Plattenfirma die Promotionsmaschinerie anschließend gestoppt und das Produkt sei unbemerkt am Konsumenten vorbeigelaufen.

Das All American Girl

Ganz so einfach aber ist es wohl nicht. Denn selbst mit „Charmbracelet", das ihre Plattenfirma als Rückbesinnung auf Careys glücklicheres Image des „All American Girls" vermarktet, ist der Erfolg nicht vorprogrammiert. Zwar wiederholt die Vorab-Single „Through the Rain", in der Carey die stürmischen Zeiten ihres Lebens besingt, erfolgreich die Schnulzigkeit ihres Debüthits „Vision of Love". Die meisten US-Radiostationen aber ignorieren den Song dennoch. Ein Programmdirektor vom „Kiss-FM"-Sender Los Angeles sagte: „Dieses Zeug spielen wir nicht mehr". Der zweiten Single „The One" droht ein ähnliches Schicksal. Für Schlager nämlich, das zeigen die Charts, ist zurzeit kein Platz. So wird Carey es heute schwerer haben, sich mit ihren Lovesongs gegen die nachrückende Generation von Sängerinnen wie Avril Lavigne, Ashanti oder Beyoncé Knowles durchzusetzen. Denn die verkörpern ein selbstbewussteres Frauenbild, das sich von den in Balladen verpackten, ewigen „Traummann-Gefunden-Verlassen-Gefunden"-Sehnsüchteleien der 32-Jährigen grundlegend absetzt.

Bei vielen Branchenexperten gab es bereits ein Kopfschütteln, als der Multikonzern „Universal" die Sängerin anwarb, nachdem ihre alte Firma „EMI" sie wegen ihres „Glitter"-Flops wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen und ihren mit 100 Millionen Dollar dotierten Plattenvertrag aufgelöst hatte. Doch Carey wird jetzt ein eigenes Musiklabel („Monarc") und ein straff organisierter Fanclub („Street Team") zur Seite gestellt.

Das Leid mit der Liebe

Alles deutet darauf hin, dass Careys private Liebes-Dramen ihre Karrieretiefs verursachen. Es heißt, die Sängerin stürze sich mit romantisierenden Vorstellungen in die absurdesten Partnerschaften. Latino-Popstar Luis Miguel ließ sie während ihrer depressiven „Glitter"-Phase mehrfach sitzen, weshalb sie mit Selbstmord gedroht haben soll, und auch ihre jüngste Beziehung mit Eminem ging in diesem Sommer nach vier Monaten in die Brüche. In einem Songtext macht er sich über ihre Anhänglichkeit lustig: „Bitch if you died, wouldn`t buy your life/ what you tryin`to be, my new wife?" Das Männerpech verfolgt Carey seit Karrierebeginn. Unter höchster Kraftanstrengung hatte sie sich 1997 von ihrem Entdecker, dem „Sony Music"- Präsidenten Tommy Mottola, scheiden lassen. Nach der Trennung klagte sie über ihren Ex-Ehemann, er habe sie schon als 20-Jährige in einen „Goldenen Käfig" stecken wollen, ihre Persönlichkeit zu formen versucht und ihre Karriere mit einer Pressekampagne angegriffen, als sie zur Konkurrenz „EMI" wechselte. Carey ist sich sicher: Das ist die Ursache für ihren Karriereknick. Als Hauptgrund für ihre letztjährige Depression gibt die Sängerin hohe Berufsbelastung an. Nun habe sie einen ständigen Therapeuten und Ernährungsberater. Eine „Riesensache", wie sie findet. Seitdem lernt sie sich neu kennen. „Weil ich plötzlich erkannte, dass mich niemand als ganz normalen Menschen betrachtet hatte, mit ganz normalen Bedürfnissen". Durch Verträge mit ihren Mitarbeitern, in denen diese ihr genügend Schlaf und Essenspausen zusichern, halte sie ihre Berufs-Umwelt in Schach. So kommt es, dass Carey nun einen ganz ungewohnten Erfolg verzeichnet: sie ist die wohl bestbehütete Sängerin der Welt. Und falls „Charmbracelet" ihre Pechsträhne fortsetzt? Dann ist sie zumindest nicht mehr allein.

Sassan Niasseri

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