zum Hauptinhalt

Panorama: Wasser: Alles über das kühle Nass

Wasser ist zum Waschen da. Nur vier Prozent lassen wir durch die Kehle rinnen, 70 Prozent fließen durch den Ausguss oder werden im Klo runtergespült.

Von Andreas Austilat

Wasser ist zum Waschen da. Nur vier Prozent lassen wir durch die Kehle rinnen, 70 Prozent fließen durch den Ausguss oder werden im Klo runtergespült. Schade eigentlich, denn dafür ist das kühle Nass - selbst wenn es noch so heiß ist, kommt es genau mit 12 Grad Celsius ins Haus - zu gut. Vor allem, wenn Sie in Berlin wohnen und Andreas Grohmann glauben. Der ist Trinkwasserfachmann im Umweltbundesamt und hat Berliner Leitungswasser in einem Gourmet-Führer ob seiner Qualität ausdrücklich gelobt.

"Wasser", heißt es in der deutschen Trinkwasserverordnung, "soll klar, geruchlos, appetitlich und zum Genuss anregend sein", alles Kriterien die Grohmann zufolge hierzulande aufs Vorzüglichste erfüllt werden. Alles zu wenig, befinden sensiblere Zungen. Voran Markus Del Monego, Weltmeister der (Wein-)Sommeliers und Verfasser des Buches "Mineralwasser für Genießer". Was da aus dem Hahn kommt, mag man trinken können, sei sauber, ohne Frage. Aber genießen? Da hat der Meister seine Zweifel. Auf das gewisse Extra komme es an, auf die geschmacksgebenden Mineralien, die das Wasser aus dem tiefen Stein gelöst hat, wie es die Werbung verspricht. Doch auch da lauert Ungemach: die falsche Zusammensetzung, zu viel Schwefel oder Salz etwa, könne einen edlen Roten oder einen hochwertigen Weißen vernichten.

Kaffee hilft den Nieren wenig

Wasser, früher allenfalls als Durstlöscher auf der festlich gedeckten Tafel geduldet, hat längst höhere Weihen errungen. Spitzenrestaurants halten sich neben der Wein- schon mal eine Wasserkarte. Prestigemarken und Premiumabfüllungen konkurrieren um die Gunst der Feinschmecker. Zumindest in einem Fall haben sich die Verhältnisse schon verkehrt: Die Wasserkarte des Bistros im Pariser Designkaufhaus Colette ist länger als Wein- und Speisekarte zusammen. Und ein früher nur Connaisseurs bekannter Tropfen wie das von Ludwig XIV favorisierte Chateldon hielt sogar schon bei Karstadt Einzug. Seit Versailler Zeiten war das Nass aus der Auvergne nur über befreundete Kellermeister zu beziehen, neuerdings kann jedermann "das süße Prickeln des Absolutismus" genießen, befand ein verzückter Kritiker. Ein wenig zu voreilig, Karstadt verkauft gerade seine Restbestände, 3,99 pro Flasche mochte wohl doch keiner fürs Wasser bezahlen.

Solche Rückschläge sind marginal. Mineralwasser hat einen echten Siegeszug hinter sich. Tranken die Bundesbürger 1970 gerade 12,5 Liter aus der Flasche, waren es 30 Jahre später beinahe 100. Und das ist gut so, denn, wer Wasser trinkt, sündigt nicht. Im Gegenteil, ohne Flüssigkeitszufuhr überlebt der Mensch keine vier Tage, dann versagen die Nieren, verdickt das Blut, bricht der Kreislauf zusammen. Dagegen hilft nur eines: trinken. Mindestens zwei Liter täglich, Kaffee gilt nicht, im Gegenteil, Kaffee entzieht dem Körper Flüssigkeit, ebenso wie Alkohol. Wasser aber entspricht allem, was nach modernem Verständnis gesund ist - ohne Kalorien aber voller Mineralien.

Trotzdem stagniert seit sechs Jahren die Erfolgskurve auf hohem Niveau. Da tut natürlich jeder Konkurrent doppelt weh. Genau der ist den deutschen Mineralwasserbrunnen erwachsen. Von der einen Seite nagen Pellegrino, Vichy, Perrier und Co am Marktanteil. Gegen die klingenden Namen mit dem Gourmetimage tut sich die einheimische Branche schwer und geht schon mal für sie ungewohnte Wege. So werben die Nonnen vom Orden der Vizentinerinnen neuerdings persönlich im Radio für ihren klostereigenen Bad Adelholzener Brunnen. Und auch an der Flasche wird gerüttelt. Immer mehr Abfüller rücken von Günter Kupetz Design-Klassiker ab, jener charakteristischen 0,7 Liter-Flasche mit den 230 Glasperlen, auf die sich die Deutschen vor über 30 Jahren zugunsten eines einheitlichen Pfandsystems geeinigt hatten. Heute fürchten sie, mit dem 60er-Jahre-Outfit gegen die Designer-Konkurrenz alt auszusehen. Flasche muss aber sein. Mineralwasser darf nach europäischer Norm nur am Quellort selbst abgefüllt werden.

Die Flaschen liegen schwer - im Einkaufswagen und auf dem ökologischen Gewissen. Erst werden sie kreuz und quer durch Europa gefahren. Dann müssen wir sie auch noch nach Hause tragen, womöglich vier Treppen hoch. Was aber, wenn das Zeug einfach so aus dem Hahn geliefert würde? Genau das versprechen die so genannten Wassersprudler (siehe unten), verwandeln Leitungswasser mittels Kohlensäurepatrone in prickelnde Frische, von der zwar keiner weiß, wie er sie nennen soll - Mineralwasser nicht, Sprudel auch nicht, alles geschützte Begriffe. Ihrem Erfolg tut das keinen Abbruch. Seit fünf, sechs Jahren sind die Sprudler auf dem Markt, 22 Prozent aller Haushalte besitzen heute einen.

Seit dem stehen sich Brunnenbetriebe und Wasserwerke unversöhnlich gegenüber. Der Konflikt war sogar schon gerichtsnotorisch, bis sich beide Parteien vor zwei Jahren versprachen, künftig auf diskreditierende Äußerungen zu verzichten. Dabei hatten es die Brunnenbetriebe immer ein bisschen leichter. Sie konnten sich mit Plinius dem Älteren schmücken: "Tales sunt aquae - qualis terra per quam fluunt", sagt der Lateiner - "Ein Wasser ist gerade so beschaffen, wie der Untergrund, durch welchen es fließt". Und sie konnten darauf bauen, dass Leitungswasser immer mal wieder ins Gerede kam. Weil dieser Stoff eben nicht natürlichen Ursprungs sein muss, weil er chemisch aufbereitet werden darf, weil es immer wieder einen kleinen Skandal gab: mal waren es Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, mal Spurenelemente aus Medikamenten, mal Chlor oder Nitrate. Zum Ärger der Wasserbetriebe, die gern darauf verweisen, dass doch ihr Produkt strengeren Kontrollen unterworfen sei. Und immerhin bescheinigten ihnen die als Verharmloser unverdächtigen Kontrolleure der Zeitschrift Öko-Test, dass das Produkt, das die Wasserbetriebe ins Netz einspeisten, erheblich besser geworden sei und in der Regel gefahrlos getrunken werden könne. Zu prüfen sei allerdings der Einzelfall.

Der sieht im Fall Berlins gut aus: Die hiesigen Wasserwerke können auf eine chemische Reinigung verzichten, setzen kein Chlor zu und sind überdies nicht einmal auf Oberflächenwasser angewiesen. Das Wasser aus dem Hahn stammt zu 50 Prozent aus so genanntem Uferfiltrat, zu 50 Prozent aus Grundwasserbrunnen. Seine von den Wasserwerken genannten Durchschnittswerte lesen sich wie ein Mineralwasseretikett: Nitrat 3,2 Milligram pro Liter, Calcium 115 mg/l, Magnesium 11,1 mg/l. Nur der Natriumgehalt von 38 mg/l liegt über dem Wert, der für die Zubereitung von Säuglingsnahrung empfohlen wird.

Berliner Babys müssen aufpassen

Wer aber aus dem Babyalter raus ist, für den spricht nichts gegen den Schluck aus dem Hahn - wäre da nicht das Rohrnetz, in das der makellose Stoff eingespeist wird. "Gefahr aus der Leitung" titelte die Stiftung Warentest in ihrem Juni-Heft. Und ausgerechnet für Berlin urteilten sie auf "erhöhtes Risiko": überdurchschnittlich häufig befänden sich mehr als 10 Mikrogramm Blei im Liter.

Blei macht dumm, heißt es, wirkt als chronisches Nervengift. Besonders gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder. Als ursächlich für das Blei im Wasser gelten sowohl alte Hausleitungen, die bis in die 60er Jahre verlegt wurden und die man leicht an ihrer gebogenen Form und den wulstigen Verbindungen erkennt, als auch die rund 30 000 Anschlüsse zwischen Haus und Hauptrohr, die es in Berlin noch gibt.

Vorsichtigen Hausbesitzern machen die Wasserbetriebe das Angebot, einen bleihaltigen Hausanschluss für 1000 Mark auszutauschen, wie deren Sprecher Stephan Natz auf Anfrage bestätigte. Und gegen Bares untersucht das Labor der Wasserwerke das Trinkwasser in der Wohnung auf Schadstoffe (Telefon: 8644 4325), ein Service allerdings, den man von der Grünen Liga (Telefon: 4433 9157) oder Stiftung Warentest (Telefon: 2631 2900) billiger haben kann. Noch preiswerter ist es, das eventuelle Risiko auf eigene Faust zu mindern, indem man etwa morgens vor dem Kaffeekochen duscht und auf die Toilette geht, notfalls den Hahn laufen lässt, bis Kaltes kommt - ein Indiz, dass es sich nicht mehr um stehendes Wasser handelt.

Trotz ihres Urteils empfiehlt die Stiftung Warentest das Wasser aus der Leitung, hält sie Panik für unangemessen. Bliebe also der Geschmack und da ist jeder auf seine eigene Zunge angewiesen, ob er es denn wie Markus Del Monego halten will oder mit dem Gelegenheits-Feinschmecker und Leitungswassertrinker Andreas Grohmann vom Umweltbundesamt. Falls Sie letzterem vertrauen, hier noch sein persönlicher Gourmettipp: Immer wenn Grohmann Tee kocht, gibt er ein wenig Magnesiumzitrat zum Wasser. Das erhöht den Säuregrad, macht den Tee etwas heller und beugt der dunklen Haut auf der Oberfläche vor.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false