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Auf der Sonnenseite (3): Unsere Australien-Kolumne: Hier trägt der Weihnachtsmann Pelzmantel bei 30 Grad

Für ein Jahr ist unser Autor Julius Wolf, 21, in Australien. Jetzt hat er in T-Shirt und kurzen Hosen Heiligabend gefeiert. Weihnachtsgefühle? Null.

„Jingle Bells, Jingle Bells, Jingle Bells Rock“ dudelt aus dem Radio. Die Fenster und Vorgärten von etlichen Häusern sind weihnachtlich geschmückt. Kitschig, überladen. Und in den Geschäften tragen die Angestellten Weihnachtsmannmützen. Ich laufe mit Flip Flops, kurzen Hosen und einem T-Shirt durch die Strassen und versuche mein Eis zu schlecken, bevor es weg schmilzt. Da kommt nicht so wirklich weihnachtliche Stimmung auf. Bei 30 Grad im Schatten fällt es mir wirklich schwer, mich mental auf den Besuch des Weihnachtsmanns in Pelzmantel, Mütze und Stiefeln auf einem Rentierschlitten vorzubereiten. Doch hier ist man das gewohnt.

Ich trage Flip-Flops, kurze Hosen, es ist Weihnachten

Hier, das ist zur Zeit Mildura, weit nördlich von Melbourne. Oder eher gesagt Irymple. Irymple ist ein Nebenort von Mildura. Mildura hat mehrere dieser kleinen Nebenorte, obwohl Mildura selbst so klein ist, dass sich eigentlich keine Nebenorte rechtfertigen. Irymple hat ein winziges Schwimmbad, drei Fast Food Läden, die auch Zigaretten verkaufen und eine Busstation mit Verbindung nach Mildura. Aber alles ist festlich geschmückt.

Die Leute, denen man auf der Strasse begegnet, grüssen mit einem fröhlichen „Merry Christmas“. Es kommt aber trotzdem keine Weihnachtsstimmung auf. Weihnachten in Australien wird amerikanisch gefeiert. Also erst am 25. Dezember. Und das heißt, dass man am 24. arbeiten muss. Und Arbeit wird hier erst zu einem richtigen Begriff für mich.

Ich habe mich nicht beschwert, als ich während der Weltmeisterschaft in Deutschland in einem überfüllten Berliner Biergarten arbeiten musste. Auch nicht über meinen Versuch, als Roadie mein Geld zu verdienen. Es war anstrengend. Aber ich will sie zurück, meine gemütlichen und leichten Jobs. Mildura und Umgebung ist Weinanbaugebiet. So was habe ich noch nicht gesehen. Weinrebe an Weinrebe an Weinrebe. Und diese Reben müssen zugedeckt werden mit Planen. Gegen Hitze und Regen. Da kommen dann die Backpacker ins Spiel. Große Mengen an Backpackern werden benötigt. Denn der Verschleiß ist groß.

Diese Mistpflanzen! Diese verdammten Nägel!

Zarte Weinpflänzchen abdecken klingt erst mal recht entspannt. Ist es aber nicht. Diese Mistpflanzen werden groß und struppig und biestig und wachsen zusammen. Über die Reihen ist auf die komplette Länge ein Draht gespannt. Und etwas tiefer, nach links und rechts ungefähr dreißig Zentimeter versetzt, si nd noch mal zwei Drähte gespannt. Darauf müssen die großen Plastikplanen gelegt werden. Die Aufgabe ist es, die Plastikplane am Ende doppelt zu falten, sie dann unter den tiefer liegenden Draht zu ziehen und durch die so entstanden vier Schichten einen Nagel zu stecken und diesen dann so nach oben zu drehen, dass man ihn von unten wieder noch oben durchstecken kann. Jeden Meter einen. Die Reihen sind mindestens 250 Meter lang. Es gibt viele Reihen, ich kann sie nicht zählen.   Auf der anderen Seite der Reihe steht ein anderer Backpacker und zerrt auch an der Plane. Die Plane ist aber nur so breit, dass es gerade so langt, wenn beide Backpacker nicht zu viel verbrauchen. Das kommt aber sehr , sehr selten vor. Es ist aber wichtig, dass man harmonisch zerrt. Zeit ist nämlich Geld, das weiß ich jetzt. Denn man wird hier etwas anders bezahlt. Oh herrliche Zeiten des Stundenlohns. Hier wird man pro Meter bezahlt. Fünf Aussie-Cent pro Meter Plane. Das sind zweieinhalb Euro-Cent. Also muss man schnell machen und kann nicht auf solche Kleinigkeiten achten, dass der andere gegenüber noch genügend Plane hat. Sein Problem. Man wird im australischen Weinstock sozusagen zum Wolf. Man kann auch nicht drauf achten, sich nicht ständig alte, rostige Nägel in die Hand zu rammen, mit der man die Plane festhält. Man rammt sich einfach ständig alte, rostige Nägel in die Hand.

Ich will nie wieder Weinreben sehen

Für eine Reihe von zweihundert Metern braucht man circa eineinhalb Stunden. Und wenn man dann mal rechnet, weiß man, dass man grade zehn Dollar verdient hat. Fünf Euro für neunzig Minuten ist nicht gerade der Spitzenlohn. Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass man in der prallen Sonne steht. Die Planen sind weiße Planen. Die reflektieren dir das Sonnenlicht direkt in dein Gesicht. Arbeitszeit, zwischen zehn und vierzehn Stunden am Tag. Frohe Weihnachten. Also, ich hatte weiße Weihnachten. Super. Ich habe jetzt einen Vorsatz fürs nächste Jahr. Nie wieder Weinreben aus der Nähe sehen. Ich habe noch einen Vorsatz fürs alte Jahr. Der heißt, Silvester in Melbourne zu sein. Aber das wäre ja ein Plan. Und von Planen und Plänen habe ich die Nase voll.


An dieser Stelle berichtet Julius regelmäßig für uns über sein Jahr in Australien. Die nächste Folge erscheint kurz nach Silvester.

Julius Wolf[Mildura]

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