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Panorama: Augen zu und durch

Wer ein Zungenpiercing will, braucht Mut. Und viele gute Argumente. Die 16-jährige Teresa hatte beides

Auf die Frage „Darf ich mir ein Piercing machen?“ sollte man nicht zu viel erwarten. Auf die Frage „Darf ich mir ein Zungenpiercing machen?“ wohl noch weniger. Was glaubt man denn? Dass die Eltern sagen: „Ja, super, natürlich mein Kind! Ich finde es toll, wenn meine Tochter einen Titanstab in der Zunge hat. Und für Jungs sexuell viel anziehender wird! Sollen wir das bezahlen?“

Nein, eher nicht. Jedenfalls wollte ich schon ziemlich lange ein Zungenpiercing haben, ich fand das toll, cool, interessant. Und das lag nicht daran, dass eine meiner Freundinnen auch eines hat. Ich kannte überhaupt niemanden mit einem Piercing. Ich weiß nicht, warum ich mir das in den Kopf gesetzt hatte. Aber eines war klar: Meine Eltern würden es mir sowieso nicht erlauben. Manchmal hatte ich ein paar Andeutungen gemacht, aber die einzige Antwort war jedes Mal: „Nur über meine Leiche! Wenn du 18 bist, darfst du machen, was du willst, aber bis dahin auf keinen Fall!“ Sehr lustig. Ich frag’ ja auch nur, um sicher zu gehen, dass ich mit 18 alles machen darf. Hallo?! Wenn ich jetzt ein Zungenpiercing will, dann heißt das jetzt. Mit 15, nicht erst mit 18!

Da mit meinen Eltern nicht zu reden war, bin ich einfach in ein Piercingstudio und habe mich erkundigt. Man sagte mir, dass ohne die Einverständniserklärung meiner Eltern gar nichts ginge. Also setzte ich mir fest in den Kopf, das Papier zu fälschen. Ganz logisch eigentlich. Aber irgendwie hatte ich doch Angst. Man weiß ja nie, ob etwas schief läuft. Was, wenn meine Eltern mich enterben? Was, wenn ich ins Gefängnis komme – wegen Urkundenfälschung?

Also habe ich doch erst mal mit meinem Vater geredet. Der fand Zungenpiercings zwar total ekelhaft. Aber ich erzählte ihm, dass es doch mein Körper sei, meine Zunge, und das ich den Schmerz fühlen würde. Und nicht er. Außerdem wollte ich ja nicht irgendwo hin, sondern in ein vernünftiges, sauberes Studio. Und wirklich hatte ich es irgendwann geschafft, meinen Vater zu überzeugen. „Du Depp, mach doch was du willst“, hat er gesagt. Juhu! Das war schon mal geschafft. Doch die größte Hürde stand mir noch immer bevor – das Gespräch mit meiner Mutter.

Um es kurz zu machen: Unser Gespräch endete damit, dass ich mich heulend auf den Boden warf. Was ich auch sagte, sie wollte mir nicht zuhören. „Das ist doch eh nur eine Phase, heute willst du es, morgen wieder nicht! Ich möchte nicht, dass du deinen Körper verstümmelst!“ Und dann fragte sie, warum ich denn überhaupt ein Zungenpiercing wolle. Argh, ich hasse diese Frage. Warum lässt man sich blonde Strähnen färben? Warum kauft man sich neue Schuhe, obwohl man schon so viele hat? Warum hätte man gern etwas größere Augen? Oder würde gern leiser lachen?

Ich finde Zungenpiercings einfach sehr schön. Außerdem ist der Schmuck eine Art und Weise, seine Persönlichkeit auszudrücken. Es macht Spaß, dieses Ding im Mund zu haben und damit rumzuspielen. Und es ist eine Veränderung. Na gut, es gibt viele Leute, die Angst vor Veränderungen haben. Aber das ist doch langweilig. Veränderung ist so erfrischend, so erneuernd, vielleicht auch eine Chance, endlich wieder aufzufallen! Und es war einfach das, was ich wollte! Ein Erkennungszeichen. Und auf keinen Fall ein Hilfeschrei oder so etwas.

Jedenfalls habe ich es nach langem Rumdiskutieren doch geschafft, mein Mutter einigermaßen zu überzeugen. Auf einmal sagte sie: „Wir reden noch mal drüber, wenn du deine Zahnspange nicht mehr hast.“

Ich konnte es nicht abwarten. Als der Zahnarzt mir meine Zahnspange heraus nahm, fragte ich wieder „Wenn du 16 bist, schauen wir weiter. Dann darfst du“, versprach meine Mutter. Bis dahin war es gar nicht mehr so lang. Damit konnte ich leben. Allerdings suchte meine Mutter im Internet nach Informationen über Zungenpiercings. Es war nicht besonders hilfreich, dass sie auf lauter Pornoseiten kam. Und dabei erfuhr, dass Oralverkehr mit Zungenpiercing noch viel berauschender sein soll. Sie glaubte, ich würde mit dem Piercing sofort als „Schlampe“ abgestempelt werden. Aber das konnte ich ihr Gott sei Dank noch ausreden. Und am Ende hat meine Mutter mir sogar noch ausgedruckt, was man beim Zungenpiercing alles beachten muss: 24 Stunden nicht rauchen, mindestens zwei Wochen keinen Alkohol, nichts zu heißes, nichts zu scharfes, keine Fruchtsäure, keine Milchprodukte. Also praktisch nur Suppe und Brei. Hält man sich nicht daran, kann es nämlich zu schweren Konsequenzen kommen. Man kann die Geschmacksnerven verlieren. Oder man fängt an zu lispeln! Da sollte man schon aufpassen.

Und dann war ich endlich 16. Mit meinem Vater – er hatte die schlechteste Laune seines Lebens – und einer Freundin ging ich zum Piercingstudio. Meine Mutter wollte nicht mit. Im Studio waren die Leute begeistert, wie gut wir vorbereitet waren. Ich hatte meinen Vater dabei! Das kommt sehr selten vor, sagten sie. Als Erstes wurde dann meine Zunge untersucht. Zum Glück gab es keine Probleme. Ich habe eben eine ganz normale Zunge.

Mir wurde noch mal alles ganz genau erklärt. Zwei Wochen keinen Oralsex, das wusste ich ja schon. Dann ging es los. Eine Narkose gab es nicht. Mein Vater hielt meine Hand, aber er schaute gar nicht erst hin. Zack! Der zwei Zentimeter lange Titanstab wurde einfach so durch die Mitte meiner Zunge gestochen. Es war eher ein Schock als ein Schmerz. Ich kann nicht sagen, dass es nicht weh tat. Mein Vater sagte, ich sei ganz blass geworden. Sprechen konnte ich auch nicht mehr. Die Zunge blutete, ich lief noch Stunden später mit Eiswürfeln im Mund herum und trank kalten Kamillentee. Und hielt die Klappe.

Das wirkte: Meine Zunge schwoll nicht an, ich erstickte nicht, alles lief super. Zwei Tage später konnte ich wieder normal trinken, reden sowieso. Nur das Essen tat doch ganz schön weh. Und dann, nach zwei Wochen, war die Wunde in meinem Mund verheilt. Ich hatte Glück, anscheinend geht das nicht immer so schnell. Endlich konnte ich mir eine bunte Kugel einsetzen lassen.

Das alles ist jetzt drei Monate her, und ich bin noch immer total glücklich. Nicht nur wegen des Piercings. Sondern auch, weil ich es geschafft habe, mich durchzusetzen. Das Essen ist jetzt kein Problem mehr. Nur auf Englisch „three“ zu sagen, ist ein bisschen schwieriger geworden.

Also: Wenn du dich auch piercen lassen willst, überleg dir vorher gute Argumente. Dann haben deine Eltern keine Chance. Gar keine.

Teresa Althen

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