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Buchauszug: Nette Vorstellung

Wer ein Praktikum antritt, muss sich schon bei der Begrüßung behaupten. Und manchmal auch lügen - meint unsere Kolumnistin Elena Senft. Sie hat ein neues Buch geschrieben. Einen Auszug daraus lest ihr hier.

Ich bin der festen, unumstößlichen Überzeugung, dass der Antritt einer neuen beruflichen, berufsähnlichen oder berufsvorbereitenden Tätigkeit niemals mit einer Vorstellungsrunde eingeleitet werden sollte, bei der man selber die einzige Person ist, die sich vorstellen muss. Denn ab diesem Moment ist geklärt, wer das Omega-Tier des Unternehmens ist.

Wer einmal mit rotem Kopf vor einer Runde Unbekannter stand, mit seiner Schuhspitze das Muster des Teppichs nachgezeichnet und dabei gesagt hat „Das Praktikum ist für mich echt eine tolle Herausforderung, ich würde gerne in alle Bereiche reinschnuppern und Fleißaufgaben übernehme ich auch gern, sprechen Sie mich also immer an!“, wird ja wohl kaum ein paar Jahre später die Fäden der Firma in der Hand halten und darüber entscheiden, wessen Köpfe rollen.

Schlimm, demütigend, ja, heuchlerisch!

Es gibt nichts, was schlimmer, demütigender und heuchlerischer ist als das immergleiche Prozedere einer solchen Vorstellungsrunde. Man selber weiß, dass man sich eigentlich schon ein bisschen zu alt und zu klug fühlt, um vor einer Gruppe Fremder so zu tun, als sei man noch in dem Alter, in dem es einen glücklich macht, anderen Menschen beim Arbeiten „ein bisschen über die Schulter zu gucken“. Dabei weiß man natürlich längst, dass es für einen selbst außerordentlich langweilig ist, jemandem beim Arbeiten über die Schulter zu gucken und für den anderen sehr störend, wenn ihm jemand beim Arbeiten über die Schulter guckt und dabei warme Luft in seinen Nacken atmet.

Die Vorstellungsrunde tut so, als wolle sie nur, dass alle sich wohler fühlen, in Wirklichkeit aber steckt sie von Anfang an die Hierarchien ab. Denn wieso sonst stellt sich nur der Neue vor, nicht aber die 20 anderen Mitarbeiter? Vom Wohlfühlprinzip her wäre das doch viel wichtiger, denn immerhin ist der Neue ja auch der Einzige in der Runde, der sich nicht wohlfühlt.

Ich habe schon etwa zehn Vorstellungsrunden durchstehen müssen, hauptsächlich im unbezahlten Praktikumsbereich. Einmal waren wir drei neue Praktikanten und der Praktikumswirt war eine Rundfunkanstalt. Immerhin eine, bei der ich mit knallhartem Verhandlungsgeschick ein monatliches Taschengeld herausschlagen konnte.

Ich versuchte, witzig und kompetent zu sein. Ich scheiterte

Eine Redakteurin malte Blumen in ihren Block, weil ihr Einkaufszettel schon fertig war und ein Redakteur zog diese furchtbare Fratze, die Menschen bekommen, wenn sie versuchen, mit geschlossenem Mund zu gähnen. Ich hatte mein Vorstellungsrunden-Programm schon abgespult und den zum Scheitern verurteilten Spagat versucht, witzig und kompetent zugleich zu erzählen, welches Fach man studiert, welche Praktika und Auslandsaufenthalte man vorzuweisen hat und sich dabei selbst unheimlich leidzutun, während man trotzdem glaubhaft vermitteln muss, dass dieses doofe Praktikum die interessanteste und größte Herausforderung ist, die man sich in seiner aktuellen Lebenssituation vorstellen kann.

Man erzählt von langjähriger freiberuflicher Tätigkeit bei einer renommierten überregionalen Tageszeitung und hat das schon so oft erzählt, dass man sich selber nur noch ganz dunkel daran erinnern kann, dass man in Wirklichkeit lediglich im Rahmen eines Studienseminars eine Extrabeilage für ebendiese Zeitung mitgestalten durfte, die die geschlossene Abonnenten- und Leserschaft sofort gemeinsam mit den Werbefaltblättern über besonders preisgünstige Rouladen von „Lidl“ und Damen-Lederhandschuhe von „Strauss-Innovation“ in die Papiertonne neben dem Briefkasten geschüttet hat.

Man lügt nicht. Man spielt mit den Grenzen der Auslegung. Und wenn man in seinen Lebenslauf schreibt, dass man nach dem Abitur mehrere Monate in Lateinamerika mit Straßenkindern gearbeitet hat, dann muss man nicht erwähnen, dass diese Kinder bereits Mitte zwanzig waren. Und nach dem volltrunkenen Geschlechtsverkehr mit einem Holländer während eines Kreta-Urlaubs kann man sich mit ein bisschen Toleranz mit Fug und Recht erweiterte Grundkenntnisse der niederländischen Sprache attestieren.

Wer mit einem Holländer schläft, kann auch, ja, ein bisschen holländisch

Erleichtert hatte ich meine Ansprache beendet. Mein Mitpraktikant war dran und sagte: „Ich heiße Jörg und ich muss das Praktikum hier machen für die Uni. Und heute müsste ich was früher los, ich hab um halb fünf Volleyball.“ Ich hatte nie etwas Schöneres gehört. Gleichzeitig war ich sauer, dass ich nicht diejenige war, die das gesagt hatte. Ich dachte an mein devotes Bewerbungsschreiben für das Praktikum. Ich wünschte, ich hätte mich mal irgendwann irgendwo mit der Wahrheit beworben. Dann läsen sich viele Bewerbungsschreiben bei mir in etwa so:

„Auf der Suche nach einer besseren finanziellen Situation bewerbe ich mich auf Ihre Anzeige. Ich erfülle zwar nur einen Bruchteil der von Ihnen gewünschten, völlig maßlosen Voraussetzungen, interessiere mich auch nur mittelmäßig für den Aufgabenbereich, bewerbe mich aber trotzdem.

Dieses Anschreiben habe ich übrigens bereits mehrfach verwendet, ich ändere lediglich die Adresszeile. Und wenn ich die von Ihnen beschriebenen Aufgaben hundert Mal besser erfüllt habe als der dicke Kollege mit den beigefarbenen Cordhosen, der diese im Moment noch im Rahmen seiner Möglichkeiten zu erledigen versucht, werden Sie bestimmt vergessen haben, dass ich mir selber in meinem Lebenslauf fließende Kenntnisse der spanischen Sprache in Wort und Schrift zugeschrieben habe. Ich habe Ihr Interesse geweckt? Super! Weitere Informationen entnehmen Sie dem beigefügten geleimten Lebenslauf und dem Aktenkoffer mit Praktikumsbescheinigungen.“

Eigentlich sehen alle Bewerbungen doch fast identisch aus. Ich habe bei Freundinnen herumgefragt. Sogar die den Bewerbungen beigefügten Fotos sind sich ähnlich: Man lächelt und versucht dabei, eine Kombination aus Lebensfreude und Lockerheit bei gleichzeitiger Ernsthaftigkeit und Fachkompetenz auszustrahlen. Ein noch unnatürlicherer Gesichtsausdruck passt nicht auf wenige Zentimeter.

Aus Mangel an Passbildern prangt seit einiger Zeit ein eigentlich für Bewerbungen gedachtes Foto auf meinem Personalausweis. Eine Tatsache, die dazu führte, dass ich in einem Sommer mal für zwei Stunden in einem türkischen Flughafengebäude festgehalten und vom schnauzbärtigen Bodenpersonal an der Ausreise gehindert wurde, weil man mich auf dem Bild nicht erkannte. Als ich meiner Mutter diese Geschichte erzählte, sagte sie, ich solle ihr mal meinen Ausweis zeigen. Dann betrachtete sie lange das Foto und sagte, dass sie diesen Gesichtsausdruck an mir in ihrem gesamten Leben noch nie gesehen habe.

Fast immer kommen in Bewerbungen das Wort „Herausforderung“ und die gleichen anbiedernden Formulierungen vor. Allerdings kenne ich andere Bewerbungen nur vom Hörensagen, denn Bewerbungsunterlagen gehören zu den Dingen, die man sich nur ungern gegenseitig zeigt.

Wenn ich meine Freundin Bianca bitten würde, mir doch bitte mal die Bewerbungsunterlagen ihres letzten Jobs zu zeigen, dann ist das ein bisschen so, als würde ich sie bitten, mir mal kurz ihre getragene Unterhose zum persönlichen Eigenvergleich zu reichen. Privater geht’s ja wohl nicht. Ich würde wahrscheinlich zu lesen bekommen, dass ihr Studienjahr in Spanien maßgeblich dazu beigetragen hat, sie endgültig von der Idee eines auch verfassungstechnisch vereinten Europas zu überzeugen, welches aktiv mitzugestalten seitdem ihr allergrößter und innigster Wunsch sei.

Die Fotos ihres Studienjahres sprechen eine deutliche Sprache. Und eine andere. Bianca hat in ihrem gesamten Austauschjahr so gut wie keinen einzigen Spanier zu Gesicht bekommen, sondern nur italienische rüpelhafte Erasmus-Studenten. Bianca spricht seitdem Spanisch mit italienischem Akzent, das merkt aber kaum jemand, der nicht selber Spanisch spricht. Sie kann jetzt endlich den vollständigen Text von „Se bastasse una canzone“ ihrer Jugendliebe Eros Ramazotti auswendig, da werden viele sagen „Na und?! Kann ich auch!“, aber sie kann sogar den Refrain! In Originalgeschwindigkeit und an guten Tagen sogar noch schneller.

"Ich heißt Stephanie - mit ph und nicht mit f". Toll! Aber wen interessiert's?

Wie die Redakteursrunde in der Rundfunkanstalt während der Vorstellungsrunde geguckt hat, als der Mitpraktikant sagte, dass er um halb fünf zum Volleyball müsse, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, was die dritte Praktikantin gesagt hat, als sie mit der Selbstvorstellung dran war. Sie sagte, dass sie Stephanie hieße. Dabei betonte sie, dass sich ihr Name mit „ph“ und nicht etwa mit „f“ schriebe, als würde das irgendjemanden interessieren, als würde sich irgendjemand ihren Namen merken oder als würde sie das irgendwie exotischer machen.

Dass sie in Hagen geboren wurde, sagte sie, und dass sie dort für ein lokales Blatt bei jeder gottverdammten „Kaninchenzüchterversammlung“ vor Ort dabei gewesen sei (dieser Vergleich wird in journalistischen Selbstdarstellungen gerne herangezogen und ist ein piefiger Kniff, um seinem Gegenüber zu verdeutlichen, dass man ganz klein angefangen hat, dass man mit Engagement und Herzblut dabei und sich für nichts zu schade ist).

Dann erzählt Stephanie, dass sie früher Chefredakteurin einer Schülerzeitung gewesen sei, die „Das Sprachrohr“ hieß und anfangs noch für einen geringen, also einen wirklich geringen Preis verkauft, später dann nur noch am Haupteingang der Schule vor Schulbeginn verschenkt und dann doch irgendwann zum großen Bedauern aller vier Redaktionsmitglieder ganz eingestampft wurde. An das „Sprachrohr“ erinnert heute nur noch ein symbolisches Kreuz am Eingang des Gymnasiums, wo die Redaktion die Schülerzeitung symbolisch zu Grabe getragen habe und man könne aus dem Umgang der Schülerschaft mit dem „Sprachrohr“ aber durchaus den Umgang der heutigen Jugend mit Medien und Mediennutzung im Allgemeinen wunderschön exemplarisch ablesen. Danke Stephanie.

Stephanie mit ph wurde das Opfer der Vorstellungsrunde

Die Redaktionsrunde glotzte ein bisschen irritiert und belustigt. Stephanie war Opfer einer Vorstellungsrunde geworden. Der gähnende Redakteur mit der randlosen Brille machte einen doofen Witz. Alle lachten. Vor Erleichterung, schwindender Anspannung und vor Freude darüber, dass die Vorstellungsrunde vorbei war, lachte auch Stephanie. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass der Witz auf ihre Kosten ging.

Ich lachte auch ein bisschen. Der dritte Praktikant lachte nicht. Der schaute auf die Uhr. Der wollte zum Volleyball.

Der Text ist ein Vorabdruck aus Elena Senfts erstem Buch. „Und plötzlich ist später jetzt: Vom Erwachsenwerden und nicht wollen“ erscheint Mitte Juni bei Knaur, hat 224 Seiten und kostet 9,95 Euro.

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