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Panorama: Das Land der Griechen auf Knien suchend Leserin Hildegard Hagen litt wegen der Antike

Das mit dem Pergamonaltar muss 1933 angefangen haben. Das Museum mit dem berühmten Altar wurde 1930 eröffnet und war sofort eine echte Attraktion in Berlin.

Das mit dem Pergamonaltar muss 1933 angefangen haben. Das Museum mit dem berühmten Altar wurde 1930 eröffnet und war sofort eine echte Attraktion in Berlin. Ich ging in die achte Klasse des einzigen humanistischen Gymnasialzweigs für Mädchen an der AugustaSchule, der heutigen Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg. Ich fing mit Griechisch an, Latein lernte ich schon seit der fünften Klasse. Vor unserer Griechischlehrerin, Frau Dr. R., hatten wir Mädchen großen Respekt und ein bisschen Angst. Angst, weil sie ihre Hände, wohl wegen eines Ekzems, in schwarzen Zwirnhandschuhen versteckte und mit gekrümmten Fingern die „Eumeniden“ zitierte.

Um uns griechisch einzustimmen, fuhr sie mit uns mittwochs in der Griechisch-Doppelstunde mit dem 8er-Bus zum Pergamonaltar. Dort schickte sie uns auf Knien die noch ganz scharfkantigen und sehr hohen und vielen Stufen hinauf. Dazu mussten wir mit unseren hellen Mädchenstimmen griechische Verse murmeln.

Wir kleinen Mädchen trugen natürlich kurze Röcke und Kniestrümpfe, so dass die scharfen Kanten der Stufen ins Schienbein schnitten. Das war ein Wahnsinn, der sich nur mit Süßigkeiten zur Belohnung ertragen ließ. Als Trost kaufte ich für meine beiden Freundinnen und mich drei Nappos, in Rauten geschnittene Zuckermasse. Den Groschen dafür „sparte“ ich mir beim Straßenbahnfahren, indem ich mich noch kleiner machte und auf der Plattform unter das kleine Schiebefenster stellte, durch das der Schaffner Fahrscheine anbot.

Die Einfälle unserer Griechischlehrerin waren aber noch steigerungsfähig: Zur 100-Jahr-Feier unserer Schule 1934 mussten wir in Bettlaken gehüllt Zeus anbeten. Wir Mädchen maulten und kicherten. Wir waren 13 Jahre alt und der ganze griechischen Krempel war uns doch völlig egal.

Wenn ich mich bei meinen Eltern beschwerte, sagten die nur: „Naja, etwas komisch sind die Übungen schon, die ihr da macht. Aber ihr sollt euch ja in die griechische Welt einfühlen.“ Vielleicht würde Frau Dr. R. heute gut auf eine Waldorfschule passen. Die haben ja auch so einen ganzheitlichen Ansatz.

Meine Freude am Pergamonaltar hat sie mir jedenfalls gründlich verdorben. 1936 weigerte ich mich, unsere zwei netten Amerikanerinnen, die wir zur Olympiade bei uns zu Hause einquartiert hatten, zum Pergamonaltar zu begleiten. Ich habe 50 Jahre gebraucht, bis ich ihn wiedersehen wollte.

Aufgezeichnet von Claudia Keller.

Hildegard Hagen ist 84 Jahre alt. Sie hat Theologie und Germanistik studiert und als Religionslehrerin gearbeitet.

Hildegard Hagen

musste jede Woche mit ihrer Lehrerin den Pergamonaltar besuchen und, die Stufen hinaufrutschend und Verse deklamierend, sich ins Griechische einfühlen.

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