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Panorama: Der Ehrgeiz der Punkerin

Unsere Leserin Natalia Eichhorn ist von der Schule geflogen, eine Lehrerin holtesie zurück

Es war unmöglich, wach zu bleiben. Die ganze Nacht Party. Psycho war mein Ding. „Demented are go“ und so. Die anderen tranken bis nachmittags weiter, rauchten. Ich schleppte mich in die Schule, ins RückertGymnasium in Schöneberg, nicht ganz pünktlich. Aber der Kreislauf war so im Keller, dass ich die Augen kaum offen halten konnte. Einmal rutschte ich mit dem Ellenbogen vom Tisch ab und stieß mir den Kopf an der Tischplatte.

Wenn ich mitbekam, dass ich aufgerufen wurde, brauchte ich einen Moment, um mich im Unterricht zurechtzufinden. Aber dann wusste ich oft die richtige Antwort. Manche Lehrer ärgerten sich darüber. Was die schriftlichen Noten angeht, konnten sie nichts sagen. Aber es passte ihnen einfach nicht, dass ich so oft schlief und fehlte, manchmal fuhr ich eine Woche nach England. Platten kaufen, Klamotten, Freunde. Meine Schwester war Stewardess, ich hatte immer ein Standby-Ticket.

Immer wieder luden die Lehrer mich vor, ließen mich zur Strafe nicht mit auf Schulreisen. Aber das löste nur Trotz aus. Ich machte weiter. Bis ich wegen der Fehltage von der Schule fliegen sollte. Ich meldete mich selbst ab.

Am letzten Tag ging in der Erdkundestunde die Tür auf. Frau Schumann bat mich heraus. Sie hatte gehört, was passiert war. Wir gingen in den Aufenthaltsraum im Keller und unterhielten uns. Pausen kamen und gingen vorbei. All das zählte nun nicht mehr für mich. Dann sagte Frau Schumann diesen Satz: „Natalia, wenn du kein Abitur machst, wer soll denn sonst Abitur machen in diesem Land?!“ Sie glaubte an mich. Sie bestätigte mich. Sie verstand es sogar, mit diesem einen Satz meinen versteckten Ehrgeiz anzustacheln. Denn trotz meines exzessiven Lebens wollte ich die Schule nie ganz aufgeben. Frau Schumann muss das geahnt haben. Ich fand eine neue Schule und machte Abitur. Später studierte ich Betriebswirtschaftslehre. Was die anderen können, kann ich auch, dachte ich.

Nach und nach mäßigte sich mein Leben. So ganz ohne Punkrock geht es immer noch nicht. Doch Frau Schumanns Satz ging mir nie mehr aus dem Kopf.

Natalia Eichhorn ist 32 Jahre alt und arbeitet in der Musikbranche.

Liebe Leser, wir möchten auch Ihre Schulgeschichte aufschreiben.

Erzählen Sie sie uns: schule@tagesspiegel.de

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