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© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Die Center-Clique: Zeitvertreib im Einkaufszentrum

Rumhängen, shoppen, zocken: Warum sich so viele im Einkaufszentrum nachmittags die Zeit vertreiben.

Der graue Klotz sieht trostlos aus. Wand an Wand und irgendwo leuchten die roten Buchstaben: „Gesundbrunnencenter“. Es riecht nach Döner und Bratwurst, auf der Straße ist der Verkehr dicht und die Leute eilen umher. Mittendrin stehen drei Mädchen, sie treffen sich am Eingang des Centers, wie so oft.

„Nichts los und zu Hause ist’s langweilig“, sagt Dana. Deswegen geht die 15-jährige Schülerin mit ihren beiden gleichnamigen Freundinnen Cansu und Cansu ins Gesundbrunnencenter in Wedding. Von hier aus ziehen sie los. Am liebsten in die Filialen von hippen Klamottenläden wie H&M. Aber nicht, um einzukaufen: „Meistens probieren wir neue Teile an und fotografieren uns dann gegenseitig in der Umkleidekabine.“ Ein kleines Glück in der H&M-Umkleide, wenn das Taschengeld schon nicht für den Kauf der Klamotten reicht. Es ist die Sehnsucht nach Konsum.

Abhängen und Nichtstun? Von wegen! Rumschauen und sich treiben lassen ist die Devise – und das nicht nur von Dana und ihren Freundinnen. Viele Jugendliche in Berlin und in anderen Großstädten begeben sich lieber auf Streifzüge durch die Konsumtempel als sich im Grünen zu treffen. Shoppingcenter sind die Tankstellen der Großstadt: Dort trifft man sich, dort will man sehen und gesehen werden. In Amerika haben die Kids aus den Einkaufszentren sogar einen Spitznamen: „Mallrats“, die Bezeichnung leitet sich von dem Wort Shoppingmall ab. Es gibt sogar einen US-Film mit diesem Titel, in dem Ben Affleck mitspielt. Darin werden zwei Jungs von ihren Freundinnen verlassen und lenken sich in einer Mall von ihrem Liebeskummer ab.

„Schon seit Jahren treffen sich Jugendliche lieber drinnen als draußen, weil es dort nichts mehr zu erobern gibt“, sagt der Jugendforscher Karl Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance. In der Fachsprache werde das Phänomen „Verhäuslichung“ genannt, weil Jugendliche heute einfach mehr zu Hause seien als früher und draußen nach ähnlichen Schutzräumen suchten.

„Der Besuch im Gesundbrunnencenter gehört einfach zu unserer Routine“, sagt die braunhaarige Cansu, „manchmal fahren wir auch einfach nur mit der S-Bahn durch die Stadt. Am Ende landen wir aber immer wieder hier.“ Das Center sei ein bisschen wie eine zweite Heimat, findet die andere Cansu mit den blonden Haaren. Beide sind 19 Jahre alt, machen gerade Abitur. Die vier Jahre jüngere Dana kennen sie aus ihrer Nachbarschaft in Wedding. Langweilig werde es im Gesundbrunnencenter nie, weil ihnen immer etwas einfalle, wie zum Beispiel die Sache mit den Fotosessions.

Eigentlich kommt es den Betreibern ja nur recht, dass sich die Cliquen in den Zentren treffen. Diese Annahme bestätigt Joana Fisher, Managerin des Gesundbrunnencenters: „Shoppen gehört zum Freizeitverhalten, und Jugendliche sind die Kunden von morgen. Was hätte ich also davon, wenn ich sie vertreibe, solange sie sich an die Regeln des Centers halten?“ Und Hurrelmann sagt: „Sie machen das Zentrum zu ihrem Revier.“

So sehen das auch die Freunde Salomon, Lars und Leon. „Sich benehmen wie man will, sich unabhängig fühlen und mit vielen Gleichaltrigen chillen, kann man nicht zu Hause“, sagt der 14-jährige Leon. Da könne er nicht einfach mit zehn Jungs aufkreuzen. „Wenn draußen schlechtes Wetter ist, kann man sich hier bestens amüsieren“, sagt Salomon. Rumlaufen, durch die Gänge ziehen, in die Geschäfte schauen, sich trennen und dann wieder treffen, zum Beispiel zum Essen bei McDonalds oder im Chinaimbiss. „Dafür gebe ich gerne Geld aus, weil das etwas anderes ist, als zu Hause zu essen“, sagt der 15-Jährige. Auch Dana und ihre Freundinnen lieben es, sich in der sogenannten Schlemmermeile des Gesundbrunnencenters zum Essen zu treffen.

Warum das Auswärtsessen für junge Menschen so reizvoll ist, erklärt Jugendforscher Hurrelmann so: „Die Jugendlichen fliehen vom elterlichen Esstisch, weil sie sich von den Eltern abnabeln wollen.“ Viele sind von den Regeln zu Hause genervt. So werde das gemeinsame Essen in der Clique zum sozialen Ereignis, unter eigener Regie ohne Vorschriften. Diese Erkenntnis hätten sich auch die Fast-Food-Ketten zunutze gemacht und setzten auf günstige Angebote. „Sie sind so etwas wie ein moderner Jugendtreff“, sagt Hurrelmann.

Dass sie auch wegen der Jungs ins Einkaufszentrum kämen, verneint Dana energisch: „Die interessieren uns nicht.“ Diloya und Emilia, die regelmäßig ins Alexa gehen, sehen das anders. „Hier kann man locker mit Jungs quatschen und sich daten. Wir verabreden uns dann für den nächsten Tag am Eingang und gehen zusammen Eis essen“, sagt die 18-Jährige Emilia.

Auch Ali, Cihan und Ramu kommen wegen der Mädchen. Sie wissen genau, wo sie welche treffen können, die ihnen gefallen. „Im Alexa laufen schönere Mädels rum als im Gesundbrunnencenter. Wir sehen sie auf der Rolltreppe, und wenn sie gut aussehen, dann versuchen wir sie anzuquatschen“, sagt der 18-jährige Ali.

Heute sind ihnen die Mädchen aber egal. Die drei Jungs sitzen auf den kleinen, roten Bänken vor der Playstationstation im Saturn im Gesundbrunnencenter. Ihr Hobby, mehrmals wöchentlich in einem anderem Zentrum abzuhängen, bezeichnen sie als „Hopping“: „Alexa, Europacenter, Sony-Center, die sind alle unterschiedlich“, sagt der 15-jährige Ramu, „wir verabreden uns so ein-, zweimal die Woche nach der Schule, und dann entscheiden wir, wohin es geht.“ Meistens seien sie zu viert oder fünft, manchmal aber auch zu acht unterwegs. Während er spricht, blickt er wie hypnotisiert auf den Bildschirm vor sich und drückt hektisch auf dem Controller einer Spielkonsole herum. Elektronikmärkte seien neben der Mädchen die beste Ablenkung nach der Schule. „Für Jungs gibt es im Zentrum nicht mehr zu tun als zocken. Aber zumindest kann man hier mehr sehen als im Park – da sind ja nur Bäume.“

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