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Panorama: „Die Rolle der SED wird relativiert“

Ein Politologe über das DDR-Bild in den Schulen

Wie wird die DDR und der Mauerbau in den heutigen Schulbüchern thematisiert?

Leider nur sehr grob. In einem Schulbuch für die Oberstufe, eines für den Westen, wurde der Mauerbau 1961 als „Umbauung Berlins“ bezeichnet. Dass die Mauer aber das Land komplett teilte, stand dort nicht. Aber das viel größere Problem scheint mir zu sein, dass nur die wenigsten Lehrer an Berliner Schulen mit Schulbüchern arbeiten.

Wie bitte?

Bei einer Befragung von 2000 Schülern in Berlin kam heraus: Die Masse der Lehrer arbeitet bei dem Thema DDR mit eigenem Material, das sie teilweise schon seit Jahren verwenden. Der Senat sagt, es liege im Ermessen der Lehrer, welche Bücher sie benutzen. Das führt nun dazu, dass die Inhalte des Geschichtsunterrichts vom einzelnen Lehrer abhängen.

Das ist ja absurd. Wie kann das sein?

Viele ostdeutsche Lehrer haben kein Interesse daran, die DDR-Zeit aufzuarbeiten. Das ist zum Teil auch ein Schutz der eigenen Lebensbiografie. Die Konsequenzen davon: Weichspülung der DDR und Relativierung der Rolle der SED, gerade beim Mauerbau.

Wie sieht das konkret im Unterricht aus?

Der Mauerbau wird beispielsweise pragmatisch als praktische Notwendigkeit geschildert, damit der DDR nicht alle Arbeitskräfte davonlaufen. Das komplette Alltagsleben wird nur positiv beschrieben mit Begriffen wie Solidarität und Freundschaft. Die Repressionen, die es im Alltag gab, werden ausgeblendet.

Für die Schüler muss die DDR dann ja wie ein Traumland erscheinen ...

Ja. Das zeigt sich auch, wenn man sieht, wie unterschiedlich Ost- und Westschüler die DDR beurteilen: Während im Osten rund 80 Prozent der Schüler ein eher positives Bild von der DDR haben, liegt die Zahl im Westen deutlich darunter.

Wo konkret liegen die Wissenslücken bei den Schülern?

Beim Mauerbau wissen viele nicht, wer den veranlasst hat. Die Alliierten? Die Sowjetunion? Häufig fällt die Differenzierung zwischen beiden Blöcken schwer. Was den Schülern fehlt, sind Kriterien der Einordnung. Das ist der entscheidende Punkt, der nicht vermittelt wird. Alles endet in dem Versuch, die BRD und die DDR auf eine Stufe zu stellen. Insgesamt kommt der Unterricht zur deutschen Teilungsgeschichte viel zu kurz. Daraus erwächst ein Problem für das politische Selbstverständnis der Schüler.

Sie wollen also mehr Wertungen?

Die Schüler müssen doch einordnen können, was Begriffe wie Zivilgesellschaft und Freiheit wirklich bedeuten. Dabei geht es nicht um eine einseitige Kritik der DDR. Auch den Westen muss man kritisch beschreiben. Für beide Staaten müssen dieselben Kriterien gelten

Woran scheitert das bisher?

Es gibt offenbar immer noch eine Scheu bei manch einem ostdeutschen Lehrer zu sagen: Ja, ich stehe zu einer freiheitlichen Grundordnung.

Wird sich das jemals ändern?

Ein kritischer Blick auf die DDR wird wohl erst in zehn bis zwanzig Jahren möglich sein. Dann, wenn alle Lehrer, die irgendwie in das DDR-System verstrickt waren, nicht mehr im Schuldienst sind.

Das Gespräch führte Michael Lünstroth

Klaus Schroeder (56), leitet den Forschungsverbund SED-Staat an der FU und arbeitet an einer Studie zum Thema „Die DDR im heutigen Schuluntericht“. Das Institut bildet auch Lehrer fort.

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