HIP-HOP-WORKSHOP: Der Groove der Straßenkinder
16 Zeilen, 4 Minuten Länge, 3 Stunden Arbeit. Hier erklärt der Berliner Rapper "Prinz Pi" en detail, wie Hip-Hop-Texte beim Workshop in Tansania entstehen.
"Wir haben in Afrika jeden Tag ein striktes Programm, das von morgens bis in die Nacht reicht. Auf dem „time schedule“ stehen nur wenige Punkte und am Anfang dachten wir, dafür brauchen wir doch höchstens den halben Tag. Sehr schnell sahen wir, dass alles in Tansania ein vielfaches an Zeit kostet als in Deutschland. Dar es Salaam ist zwar eine Großstadt, dennoch grüßt jeder jeden und hat immer Zeit für einen Plausch. Kommt man in eine Bar, geben sich alle Leute Shakes und halten das, was die Norddeutschen einen „Schnack“ nennen würden.
Wir haben Fragen, und sie haben viel zu erzählen
Gegen 9 oder 10 Uhr brechen wir auf zu unserer jeweiligen Tagesaktivität. Abends kehren wir entweder zurück ins Gästehaus und arbeiten bis in die Nacht an Plänen für die Workshops, schreiben Blogs, editieren Fotos vom Tag, sortieren unsere Eindrücke. Oder wir sind noch unterwegs zu Radioterminen, arbeiten im Studio, sprechen mit Leuten die wir hier kennen lernen. Wir versuchen möglichst viele Eindrücke zu sammeln und uns Klärung für unsere Fragen zu beschaffen. Wie sieht es aus mit dem Zugang zu Informationen, allgemein und über HIV/Aids? Wird HIV/Aids als großes Problem wahrgenommen, warum wird es hier stigamitisiert? Warum verlassen so viele Kinder hier ihre Familien, was machen sie auf der Straße? Wie ist das Schulsystem? Was für einen Stellenwert hat Musik in ihrem Leben? Was denken die Leute über die Projekte der NPOs hier? Wir haben viele Fragen, die Leute haben viel zu erzählen.
Dem Rap-Workshop widmen wir uns am Nachmittag. Zehn junge Rapmusiker sind erschienen, alles Straßenkinder, die von ihren Familien auf dem Land weggerannt sind und dann in einem der Heime gelandet sind. Die meisten rappen auf Suahili, ein paar auf Englisch.
Sie erarbeiten 16 zeilige Raptexte mit unserer Hilfe
Mein musikalischer Partner vor Ort namens Fid-Q und ich leiten den Workshop und sprechen über Musik als universale Sprache, die verschiedene Kulturkreise zusammenbringen kann. Wir stellen den Kinder die Musik als einen positiven Virus vor, der sich überall mit hoher Ansteckungsgefahr verbreitet. So schlagen wir die Brücke zu dem negativen HIV-Virus. Wir fragen die Kinder, was für sie die Hauptprobleme sind und sie nennen HIV an dritter Stelle nach Armut und mangelnder Bildung. Wir kommen überein die positive Wirkung des musikalischen Virus zu nutzen, um damit den negativen HIV-Virus zu bekämpfen. Die Kinder sind sofort motiviert. Sie tun sich in zweier Grüppchen zusammen, die in Form von einem 16 zeiligen Raptext jeweils ein kleines Gespräch über HIV erarbeiten sollen. Dabei müssen die Rapzeilen exakt ineinander greifen, sich aufeinander reimen etc. -eine ziemliche komplizierte Form eins Raptextes, der fast theaterhafte Züge hat und kein Anfängerstück ist. Alle meistern ihre Aufgabe mit Bravour und tragen am Ende stolz ihre Ergebnisse auf der im Garten des Heimes aufgebauten Anlage vor. Raymon aus dem Videoworkshop übernimmt kurzeitig die Aufgabe unseres Kameramanns und läuft mit gewichtiger Miene mit dem großen Apparat umher, um alles zu dokumentieren. Zwei Mädchen aus einem Gospelchor steuern einen Chorus bei, am Ende steht ein Song, der sich auf verschiedene Weise mit dem Thema HIV/Aids auseinandersetzt.
Am Tag darauf haben wir wieder einen Workshop. Diesmal nicht mit Rappern, sondern mit Musikern, von denen die meisten ebenfalls auf der Straße gelebt haben. Die Musiker spielen Bass, traditionelle Afrikanische Instrumente wie Flöte oder Bongos, Blues-Gitarre, manche singen. Was wir haben ist ein sehr gemischter Haufen an Musikern. Wir sprechen über ähnliche Themen wie am Vortag mit den Rappern, jedoch stellen wir den Aspekt des Zuganges zu Informationen bei der HIV-Diskussion in den Vordergrund: Wie kann man den Leuten am besten dazu Zugang verschaffen? Kann ein Song, der nicht mit dem Zeigefinger lehrt, sondern die Nachricht verpackt in eine eingängige Melodie das passende Transportmittel sein? Wir beginnen die Jam-Session, jeder trägt seinen Teil dabei.
Nach drei Stunden ist ein Song fertig. Länge: 4 Minuten
Der Groove des Songs baut sich auf um eine simple traditionelle Flötenmelodie, die Blues-Gitarre greift sie auf, die Bongos fallen ein, dann hebt ein Chor mit einem Refrain auf Suahili an. Sehr schön zu sehen ist, wie alle sich einfach freuen, an der Entstehung eines Songs teilzuhaben. Ein jeder ist begeistert und bringt irgendetwas ein. Nach drei Stunden steht ein fertig arrangierter Song von etwa 4 Minuten mit 2 Strophen, von denen die erste auf Deutsch und Suahili gerappt ist, die zweite auf englisch im Reaggae-Style gesungen und dann von einem Gitarrensolo komplettiert wird. Dazu gibt es einen Refrain, der sich gegen Ende hin steigert, eine gesungene Bridge. Alles ist rund und stimmig.
Am dritten Tag steht ein Konzert an, wo alle Leute aus den Workshops etwas vortragen werden. Die Sause steigt in einem Russischen Kulturzentrum, das über einen Raum verfügt, der einer Schulaula ähnelt. Der Soundcheck erstreckt sich über vier Stunden. Der „Soundmann“ dreht hilflos an Reglern, die mit keinem Insturment verbunden sind und wundert sich ob des schlechten Klangbildes. Kabel und Stecker gehen verloren und es muss viel improvisiert werden. Am Ende steht alles so mehr oder weniger und der Auftritt vor den Gästen kann beginnen. Die Gäste sind zum Teil Leute, die wir auf der Straße angesprochen und zu dem Auftritt eingeladen haben. Das Publikum flippt total aus, egal wie schlecht der Sound ist. Es ist ein tolles Erlebnis. Das Programm ist mehr wie ein Liederabend: Viele kleine Auftritte in den unterschiedlichsten Konstellationen. Selbst zu unserer deutschsprachigen Musik drehen alle total durch. Der Tanzstil ist völlig anders als der von europäischen Konzertbesuchern und viel dynamischer. Der ganze Körper ist in Bewegung, alles zappelt und springt herum. Als kleines Finale führen wir den Song, den wir am Vortag erarbeitet haben auf. Alle Musiker kommen dafür noch mal auf die Bühne.
Weiter geht's nach Namibia, Südafrika und Simbabwe
An den folgenden Tagen nehmen Songs für einen Sampler auf, dessen Erlös in Unterstützung von HIV/Aids Projekten gehen wird. Das Thema der Songs ist natürlich HIV/Aids. Jeder Song ist eine Kollaboration von europäischen und afrikanischen Musikern. Die gleichen Aktionen, die wir hier in Tansania veranstalten, werden danach in Malawi, Namibia, Süd-Afrika und Simbabwe mit lokalen und Künstlern aus anderen europäischen Ländern durchgeführt. Daher der Name „Virusfreegeneration Hiphop Tour“. Alle Aktivitäten werden dokumentiert und auf einer Website in Form von Blogposts, kurzen Videos und Fotos gezeigt. Das Ziel ist, Aufmerksamkeit für die HIV/Aids-Problematik in Ostafrika in Europa und vor Ort in Afrika zu erzeugen.
So, das wär’s von mir erst einmal. Viele Grüße aus Tansania!
Euer Prinz Pi“
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