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© Doris Spiekermann-Klaas

Internetaktivisten: New Kids on the Blog

Eine Internetseite zu etablieren ist schwer. Tessa und Jan versuchen es – trotz Bedenken vieler Freunde.

Wer als Autor etwas mitzuteilen hat und gehört werden möchte, hat zwei Wege. Er kann Praktika absolvieren, sich in Redaktionen beweisen, in der Hoffnung auf den Tag, an dem er zu Wort kommt. Oder er startet einen Blog. Dieser Weg ist vielleicht weniger fremdbestimmt, dafür aber nicht minder aufwendig: „Bloggen kann natürlich jeder Idiot mit Computer und notdürftiger Rechtschreibung“, sagt Tessa, 24. „Einen Blog zu etablieren, User anzuziehen, Zugang zu Inhalt und Veranstaltungen zu bekommen, gleicht aber einem Kleinunternehmen.“

Tessa studiert an der Freien Universität und bloggt seit zwei Jahren. Mit ihrem WG-Mitbewohner Jan hat sie 2007 „knicken“ ins Leben gerufen, einen Blog über Musik, Popkultur, Mode und Berlin. Geboren ist „knicken“ an einem verkaterten Sonntagnachmittag aus der Lust, etwas auszuprobieren. Und aus einem latenten Mitteilungsdrang. Inzwischen hat die Seite um die 30 000 Besucher pro Monat – nicht zu vergleichen mit dem Millionenpublikum etablierter Giganten wie „ Bildblog“. Und doch: Jeden Tag verfolgt eine vierstellige Leserschaft die Einträge. Klar, dass Tessa und Jan bei der „re:publica“ dabei sind, dem Spitzentreffen der deutschen Bloggerszene, das gerade in Berlin stattfindet.

Geschenkt sind diese Userzahlen nicht, der Blog muss täglich gehegt und gefüttert werden. Nach aktuellem Stoff für „knicken“ fahnden Tessa und Jan meist im Netz – Gedrucktes sei in der Blogwelt meist Schnee von gestern. Die Macher haben etwa 150 andere Netzschreiber „abonniert“ und überfliegen täglich alle neuen Beiträge auf der Suche nach interessanten Themen und Neuigkeiten. Rechnet man die Zeit fürs Schreiben und Gestalten der Posts mit ein, macht „knicken“ im Schnitt zwei, drei Stunden Arbeit. Jeden Tag, fast ohne Wochenende. Bloggen braucht Disziplin – wird die Seite länger nicht aktualisiert, gehen User verloren.

Frank (26) und Claudio (23) haben noch nie länger als einen Tag pausiert, seit anderthalb Jahren. Ihr Blog „iheartberlin“ ist eine „Liebeserklärung an die Hauptstadt“, ein City- und Lifestyleguide für die Metropole. Doch auch wenn die Macher gerade nicht in Berlin sind, ruht die Seite nicht. Vor dem Urlaub werden Posts auf Vorrat geschrieben: „Das sind wir unseren Lesern schuldig.“ 70 000 User rufen die Seite pro Monat auf, etwa 3000 neue kommen jede Woche hinzu.

Es ist ein langer Weg, bis ein Blog so bekannt wird. Vor allem am Anfang verbringe man viel Zeit damit, Spuren im Internet zu hinterlassen, sagt Frank. Meistens bieten Neulinge anderen Bloggern an, sich gegenseitig zu verlinken. Manchmal haben sie Glück und größere Seiten werden zufällig auf sie aufmerksam. Tessa und Jan setzen auf Social Communities: Sie twittern, haben über 1000 Freunde bei Facebook und über 3000 bei Myspace. „Es ist viel Fusselarbeit bevor der Blog ins Rollen kommt“, sagt Frank. Am Anfang hat er Beiträge in Foren gepostet, um „iheartberlin“ bekannt zu machen und sogar Postkarten gedruckt.

„Iheartberlin“ wächst mit jeder Woche, bald ist die Schwelle erreicht, an der man damit Geld verdienen könnte, etwa durch Werbebanner oder Sponsorenunterstützung. Noch macht sich Frank, der hauptberuflich als Webdeveloper arbeitet, darüber keine Gedanken. Für ihn ist der Blog ein zeitintensives Hobby. Über Kleinigkeiten, die ab und an per Post eintrudeln, freut er sich trotzdem: Klamotten, Bücher, selbst gebackene Kekse landeten schon im Briefkasten und sogar Akkreditierungen für die Fashion Weeks in Berlin und London. Hässliche vietnamesische Unterhosen waren auch schon dabei – alles Gaben von Firmen, die auf Präsenz im Netz hoffen.

„Viele Firmen missverstehen Blogs als kostenlose Werbeplattform“, sagt Jan von „knicken“. „Wir schreiben trotzdem nur über Sachen, die uns gefallen.“ Um der Werbegeschenke willen blogge man sowieso nicht, sagt Claudio. „Uns macht es Spaß, die Stadt zu entdecken und andere daran teilhaben zu lassen. Durch ‚iheartberlin‘ leben wir intensiver.“ Einerseits halte einen die selbst auferlegte Pflicht, über neue Sachen zu schreiben, auf Trab. Anderseits sitze man direkt an der Informationsquelle. „Der Blog hat uns die Tür zu einer neuen Welt eröffnet, zu der man sonst schwer Zugang hat“, sagt Frank, „wir haben es gar nicht drauf angelegt, aber im Laufe der Zeit haben wir automatisch viele Designer, Musiker und Ladenbetreiber kennen gelernt.“ Manch eine Bekanntschaft wurde sogar zu einer Freundschaft, die es aus dem Netz ins richtige Leben geschafft hat. Eine Autorin hat durch „iheartberlin“ sogar ihren Freund und einen Job gefunden.

„Schreiben ist stets auch Selbstzweck und folgt nicht immer ökonomischem Kalkül, dem Blick auf Karriere oder hat missionarische Absicht“, schreibt Tessa bei „flannelapparel“, ihrer zweiten Webseite. In ihrem Fall war der Blog aber tatsächlich das Sprungbrett zum Erfolg. Mitarbeiter der Wochenzeitung „der Freitag“ haben sie vor einem Jahr im Netz entdeckt – und angestellt. Jetzt betreut Tessa den Onlineauftritt des Blattes.

Früher hatten viele nicht verstanden, warum Tessa so viel Zeit in Blogs investiert. Es sei doch so schwer, sich im Netz zu behaupten, mahnten Zweifler. „Genau diese Leute haben Blogs bis heute nicht verstanden.“ Deutsche Blogkultur stecke noch in den Kinderschuhen, selbst Berlin sei im internationalem Vergleich ein großes Dorf, trotz „re:publica“ und der lebendigen Szene. Es werde noch eine Weile dauern, bevor Mediennutzer begriffen haben, wie Blogs zu lesen und verstehen sind. „Natürlich haben die Leser keinen ausgereiften Journalismus vor der Nase, doch überall im Netz sind Perlen ihrer Gattung versteckt.“ Von „knicken“ und „flannelapparel“ wird sie sich so schnell nicht trennen. „Einfach aufhören? Kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Tessa. „Irgendwie sind die Blogs meine Babys.“

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