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Panorama: Unter Druck

Die „Rixi-Times“ ist dieerfolgreichste Schülerzeitung BerlinsundmehralseinSpaßblatt: Sie ist Sprachrohr fürProbleme der Kinder

Sie wollen nicht einfach nur nett sein und sich über die Lehrer lustig machen. Kinder und Jugendliche, die heute Schülerzeitungen produzieren, gehen ran an die richtigen Probleme. „Wenn Eltern sich trennen“, heißt eine Schlagzeile. Man erfährt in dem Artikel, wie schlimm es ist, wenn sich Vater und Mutter anschreien, wenn Scheidungen „auf die schlimmste brutale Art mit Schlägen und Verwüstung der Wohnung“ enden.

Aber wenn sich die Eltern trennen, könne das auch Vorteile haben, steht in dem Text: „Wenn man ein Problem hat, kann man zum anderen Elternteil gehen.“ Die neunjährige Seda Demir von der Rixdorfer Grundschule in Neukölln hat den Text geschrieben und ihn in der „Rixi-Times“ veröffentlicht, Berlins erfolgreichster Schülerzeitung. Die „Rixi-Times“ bekam schon viele Preise – beim diesjährigen Landeswettbewerb der Schülerzeitungen teilte sie sich den ersten Preis in der Kategorie Grundschule mit dem „Dunant-Spiegel“, der Schülerzeitung der gleichnamigen Steglitzer Schule. Beim anschließenden Bundeswettbewerb im Juni dieses Jahres unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler kam sie auf den zweiten Platz.

Rund 100 Oberschulen-Zeitungen gibt es in Berlin. 60 der 75 beim Verband der Jungen Presse Berlin eingetragenen Blätter stammen von Gymnasien. Aber auch Grund-, Haupt- und Sonderschulen sind dabei. Nicht nur die Themen haben sich geändert, auch die Titel. Sie heißen heute „Penny Lane“, „Die Unbunte“ oder „OHnE“ und sind professionell gestaltet. Vorbei die Zeiten selbstgeklammerter Schreibmaschinenkladden, etliche neue Schülerzeitungen sehen aus wie Zeitschriften vom Kiosk.

„Die Schülerzeitung ist toll, weil wir eigene Dinge schreiben können“, sagt Seda. An diesem Donnerstag um 14 Uhr beginnt die letzte Redaktionskonferenz vor den Ferien, es gibt noch eine Menge zu besprechen. Lehrerein Angelika Tiedemann leitet zusammen mit ihrem Kollegen Bernd Otten das Projekt „Rixi-Times“. Die Konferenz wird heute wieder viel länger dauern, als die zwei Stunden, die pro Woche für die freiwillige Arbeitsgemeinschaft angesetzt sind.

Seda ist seit einem Jahr dabei und kommt nach den Sommerferien in die 4b. Wenn sie keine Texte recherchiert oder schreibt, verzieht sich die Neunjährige am liebsten mit einem Buch aufs Sofa. Ihr Lieblingsfach ist – natürlich – Deutsch. „Die Leistungen der Schüler haben sich eklatant verbessert“, sagt Deutschlehrerin Angelika Tiedemann. Besonders im Ausdruck und in der Rechtschreibung zeige sich, wer zu den Blattmachern gehört und wer nicht.

Im Redaktionsraum im zweiten Stock, direkt neben dem Sekretariat herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Die anzeigenfreien Ausgaben der knapp 50 Seiten dicken Zeitung im Schulheftformat erscheinen seit fünf Jahren zwei bis drei Mal pro Schuljahr. Gearbeitet wird mit 14 Computern, die die staatlich und privat geförderte Initiative „Computer in die Schulen“ gespendet hat. „Mit einer Schulzeitung kann man die Themen der Schüler besser bekannt machen als mit einer Wandzeitung in den Fluren“, sagt Lehrer Bernd Otten.

Zu schreiben gebe es viel, sagt der zwölfjährige Jakob. Für die Recherche außerhalb des Schulgebäudes hilft die Stadtbibliothek oder das Internet. Vor drei Jahren hatte ein Schüler so viel über Mahatma Gandhi recherchiert, dass er seine Geschichte gleich in mehreren Fortsetzungen veröffentlichte.

Fragt man die „Redakteure“ und „freien Mitarbeiter“ der „Rixi-Times“, warum sie sich freiwillig so viele Stunden im Medienraum aufhalten, hört man vor allem: Es macht Spaß. Aber Schülerzeitungen haben auch noch andere Funktionen, sagt der 19-jährige Ory Laserstein, Vorsitzender der Jungen Presse Berlin. Das ist ein Zusammenschluss von nicht-kommerziellen Medien, die Jugendliche produzieren. Auch Studentenzeitungen und Internet-Magazine gehören dazu. „Schülerzeitungen können ein Sprachrohr für Probleme junger Menschen sein“, sagt Laserstein. Manchmal kommen die Probleme auch erst nach dem Erscheinen der Zeitung. Anders als bei der „Rixi-Times“ geht es bei vielen Schülerzeitungen der Oberschulen nicht harmonisch zu, weil die Schulleiter die Zeitungen vor dem Erscheinen durchsehen wollen, was einer Zensur gleichkäme. „Wir helfen bei solchen Rechtsproblemen“, sagt Laserstein, der selbst gerade sein Abitur an der Zehlendorfer Arndt-Schule gemacht hat und Mitarbeiter bei der Schülerzeitung „Nichts“ war.

Probleme mit der Schulleitung kennen Özlem Sinac, Vera Yunkers und Melek Üren nicht. Die drei Mädchen sind Streitschlichterinnen der Rixdorfer Grundschule und berichten in der „Rixi-Times“ über ihre Arbeit. Die Sechstklässlerinnen sind in den großen Pausen an ihren schwarzen Käppis zu erkennen und helfen bei Streitereien. Nach den Ferien wechseln sie auf Oberschulen, aber sie wollen der „Rixi-Times“ treu bleiben. Sie haben fest vor, zumindest im „Gästebuch“ der Rixi-Homepage Nachrichten zu hinterlassen. Künftig will die „Rixi-Times“ öfter erscheinen und bunter werden. Auch denkt das multi-kulturelle Redaktionsteam über eine zweisprachige Ausgabe nach. „Wir würden gern Geschichten auf Türkisch schreiben und die Zeitung in den Neuköllner Geschäften verteilen“, sagt die zehnjährige Büsra Delikaya. Vorbild ist die zweisprachige, ebenfalls prämierte Zeitung „Yo Yo“ der italienisch-deutschen Finow-Grundschule in Schöneberg.

Alexander Schäfer

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