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Panorama: Vorne heiß und hinten kalt

Das spontane Grillfest ist für die einen der Himmel, für die anderen die Hölle. Zwei Positionen

Von Esther Kogelboom

Fangen wir mit dem gröbsten Unfug an: den Backkartoffeln, die haben im Grill nichts zu suchen. Da Mädchen jedoch selten Interesse an Schweinekamm und Holzfällersteaks zeigen, beteiligen sie sich mit diesen in Aluminium verpackten Dingern am Grillabend. Leider endet das immer im Streit, weil niemand diese silbernen Kartoffeln in der glühenden Kohle beachtet hat und die Mädchen später vor der verkohlten Kartoffel sitzen und bockig ins Baguette beißen. Dialog: „Alles okay?“ – „Jaja, schon gut.“

Aber sonst: Großer Volkssport! Jeder Junge meint, grillen zu können, und doch kann es niemand. Vielleicht liegt’s ja am Sixpack, den man schon auf dem Weg zur Wiese ausgetrunken hat. Jedenfalls kippen Jungs immer viel zu schnell und viel zu viele Kohlen über dem Grill aus, so dass der erst einmal krachend umfällt. Und später wundern wir uns, dass das Fleisch (aber wirklich immer!) von außen schwarz ist und innen knallrot.

Grillabende sind die Zeit der simplen Weisheiten. Man braucht nur fünf Dinge. Einweggrill, Kohle, Feuerzeug, Bier (nur zum Löschen!) und natürlich einen Pappteller. Und es gibt fünf Dinge, die man nicht braucht: Tischdeckchen, Gabeln, Begrüßungscocktail, Essmanieren und Saucen in 24 Variationen. Allerdings sollte diese Ansicht nicht allzu offensiv beim Angrillen beim künftigen Schwiegervater vertreten werden.

Frauen behaupten gern, die Jungs würden beim Grillen das Animalische zeigen und sich wie ein Neandertaler benehmen. So ein Quark. Wer am Grill steht, hat ständig ein warmes Bier. Und wenn ein dahergelaufenes Wildschwein Interesse an Würstchen zeigt, verteidigt auch niemand den Grill wie seine Höhle. Grillen ist wie Angeln. Das mag ja auch kein Mädchen.

Vielleicht liegt’s am fehlenden Schnickschnack. Die vielen Liter Marinade, in denen das Fleisch schwimmt, werden völlig überschätzt. Die Sauce tropft nur auf die Kohle drauf und stinkt. Die Klamotten versaut sie auch noch, was im Schutz der Dunkelheit nicht weiter schlimm ist. Die Flecken sehen ja die Mädchen nicht, wenn man ihnen vorsichtig am Feuer entgegenrobbt.

Der Vorteil an diesen Grillabenden ist nämlich auch der: Man muss Mädchen keine teuren Drinks ausgeben und darf Bier trinken, ohne verächtlich angeguckt zu werden. In der Nacht nerven kein Türsteher und keine klackernden Riemchenschuhe. Es gibt keine schwül-heißen trendigen Räume, die Vip-Lounges heißen, und kein R-’n’-B-Gedöns aus viel zu lauten Boxen. Beim Grillen kann man die Gitarre rausholen, furchtbar falsch Klassenfahrtlieder singen und niemanden damit ärgern. Es singen sowieso alle falsch mit.

Es sind einfache Abende, und deshalb machen sie Spaß. Man darf sich ins Gras fallen lassen und in der Dunkelheit in den Himmel starren, ohne dass Mädchen besorgt nachfragen, ob denn alles okay sei. „Du siehst so nachdenklich aus“. Grillen nur mit Jungs ist auch nicht übel.

Der große New Yorker Koch Anthony Bourdain hat einmal gesagt: „Vertraue keinem Vegetarier.“ Bourdin ist jemand, der auch rohe Pferdefüße zu sich nimmt und getrocknete Spinnenherzen. Er ist, was seine Haltung zu Fleisch betrifft, das unangefochtene Vorbild für jeden männlichen Grillfreund.

In Wirklichkeit gibt es überhaupt nichts schlimmeres, als eine spontane Grillparty, zu der „jeder einfach eine Kleinigkeit mitbringen“ soll. Für Mädchen bedeutet so eine Einladung: Würstchen einkaufen, Steaks marinieren, weitere Freunde anrufen, einen Parkplan als Pdf-Datei verschicken, Salat waschen, Dressing in Gläser mit Schraubverschluss füllen, Plastikgeschirr, Pappteller und Servietten einkaufen, an die Kühltasche denken, Saucen besorgen, Decke einpacken, mit Mückenmittel einreiben, Mülltüten für danach einpacken, Batterien für die Taschenlampe besorgen. Für Jungs bedeutet das: an der Tankstelle vorbeifahren und Einweggrill, Stierbrunnen-Pils sowie Kohle kaufen. Der immense Organisationsaufwand einer spontanen Grillparty wird immer unterschätzt, und der Hauptanteil der Arbeit bleibt immer an den Mädchen hängen. So viel zu dem rein praktischen Nachteil, der sich für uns Kühlmodul-Dominas ergibt. Außerdem ist einem beim Grillen immer vorne heiß und hinten kalt, kein schöner Zustand.

Das Entscheidende ist natürlich: Wieso wollen Jungs immer die Herrscher über die Glut sein? Aus welchem Grund also wollen Jungs die Feuerteufel spielen, rohes Fleisch auf dem Rost wenden, mit Stierbrunnen-Pils ablöschen und dazu ausgerechnet „Knockin’ on Heavens Door“ singen? Man könnte an dieser Stelle an die Steinzeit erinnern. Aber das ist im 21. Jahrhundert Blödsinn, zumal Axl Rose damals noch ein Kind war. Eigentlich kann es nur einen Grund geben: Sie wollen uns – auch, wenn sie sich das nicht eingestehen – beeindrucken. Sie wollen wenigstens einmal im Jahr in ihrer gesellschaftlich selbstverständlich längst überholten Versorgerrolle als richtiger, starker Mann ernst genommen werden. Und sie wollen sich durch kreischende, vor einer drohenden Verpuffung panisch fliehende Mädchen in ihrer Rolle als geschickter Grillmaster bestätigt fühlen.

In einer Stadt wie Berlin, die bei Licht betrachtet nicht so richtig gefährlich ist, ist ein Grillfeuer die letzte Gefahr, der sich ein Mann stellen kann (S-Bahn-Surfen und Termin beim Frisör ausgenommen). Also lassen wir ihnen den Spaß – und entzünden einfach in sicherer Entfernung unser eigenes Feuerchen, auf dem wir bunte Gemüsespieße und zarte, in Cranberry-Ingwer-Paste eingelegte Hühnerbrüste braten. Dazu eine schöne Backkartoffel mit süß-saurer Sauce, ein Stück knuspriges Fladenbrot und ein Glas Prosecco aus der Kühltasche – und nach spätestens einer halben Stunde krabbeln ein paar fettverschmierte Jungs aus dem Unterholz und fragen: „Sagt mal, habt ihr eigentlich noch was übrig?“ Ziemlich beeindruckend.

André Görke

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