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Und jetzt alle zusammen. Der Andrang im Vorlesungssaal ist groß - von Zugezogenen wie Einheimischen.

© dapd

Zugezogene Studenten: Das fängt ja gut an

Der Semesterstart lockt viele Zuzügler an die Berliner Unis. Wie finden das einheimische Studenten? Unsere Autorin hat nachgefragt

Campus, Mensa, AStA, Audimax – das Wintersemester hat begonnen und mit ihm die Tücken des Uni-Alltags. Für Erstsemester ist Berlin dieses Jahr wieder beliebter denn je. Während die einen ihren Studienort wechseln und nach zwei Semestern Erlangen gerne mal was erleben wollen, entscheiden sich viele Erstis einfach direkt für die Hauptstadt. Ob dabei Berlins hervorragende Unis den Ausschlag geben oder das ausschweifende Spaßprogramm drumherum, ist fraglich.

Hauptsache erstmal ankommen, erstmal da sein. Da kann das Studienfach, welches den Eltern gegenüber legitimer und dringlichster Grund fürs Verlassen des heimischen Nestes ist, schon mal zur Nebensache werden. Am Rechner wird der schnellste Weg in die große Stadt recherchiert. „Prähistorische Archäologie klingt doch spannend und hey, mal ein Fach ohne NC!“, scheint sich manch einer zu denken und hat damit das Bibbern um einen Studienplatz mit Auswahlverfahren direkt schlau umschifft. Und wo könnte archäologische Forschung realistischer simuliert werden als im Berghain. Wechseln kann man schließlich immer noch, am besten in „irgendwas mit Medien“.

Wieder als Ersti starte auch ich dieses Wintersemester einen zweiten Versuch, mit einer neuen Uni und einem neuen Studiengang glücklich zu werden. Mutig habe ich es mit dem NC aufgenommen, mit Glück den Wunschstudiengang bekommen und frage mich jetzt, ob Papyrologie tatsächlich zum Geschichtsstudium gehört oder ich nur in der Zeile verrutscht bin. Spätestens nach dem ersten Einführungstag bemerke ich: Richtige „Berliner“ sind an den Unis rar, dafür finden sich aus allen Ecken des Landes aufgeregte Abiturienten, die mit ihren Koffern gerade erst angekommen sind und es nun kaum erwarten können, Berlin am eigenen Leib zu erfahren.

Selber schon fast vier Jahre in Berlin, also irgendwann auch zugezogen, unterhalte ich mich in gemütlicher Runde mit meinen „eingeborenen“ Freunden über die ersten Uni-Tage. Werden Berliner von zugezogenen Studenten von den Unis verdrängt – und wenn ja, wie fühlen sie sich dabei? Oder sind sie ihre Abiturnoten einfach nicht gut genug, den horrend hohen NC zu überwinden? Haben die Berliner vielleicht gar keinen Bock mehr auf den Hype um ihre Stadt und verschwinden freiwillig? Sollte es am Ende sogar eine Berlin-Quote für die Auswahl der Studenten geben?

Die Meinungen sind vielfältig wie unterschiedlich. „Aus meiner Klasse studiert fast niemand in Berlin“, weiß meine Freundin, gebürtige Berlinerin, zu berichten, „viele mussten nach Potsdam oder Frankfurt/Oder ausweichen, weil sie einfach keinen Platz bekommen haben. Der NC ist hier zu hoch.“ Und der richtet sich ja bekanntlich nach Angebot und Nachfrage. Je mehr Studenten sich auf einen Platz bewerben, desto höher ist der Numerus Clausus. Fremde Bewerber treiben also den NC in die Höhe, so dass Berliner ihn selber nicht mehr bedienen können, oder wie? Eine Verschwörung der besonderen Art, so klingt es zumindest. „Naja, ich finde das eigentlich alles recht fair mit den Studienplätzen“, wirft ein Berliner Kommilitone ein, „wenn die Schüler aus Berlin einfach zu schlecht sind und deswegen andere den Studienplatz bekommen, sind sie doch selber Schuld! Das ist dann eher ein Problem des maroden Berliner Schulsystems, wenn Süddeutsche den Uniplatz mit links bekommen. Das ist wieder ein Beweis dafür, dass es woanders besser läuft!“ In diesem Punkt muss ich ihm Recht geben.

Was allerdings selbst mich als Nicht-Berlinerin anstrengt, ist alles, was zwanghaft zum Hype erklärt wird, denn damit haben die Berliner an sich oft gar nichts zu tun. „Findet ihr es nicht total nervig, dass jetzt viele Studenten mit Jutebeuteln rumrennen müssen, je cooler der aufgedruckte Spruch desto besser? Und überall diese labbrigen Strick-Riesenpullover und am Besten alle Klamotten vom Flohmarkt und noch einen Haarknoten oben auf dem Kopf drauf. Habt ihr Berliner euch das ausgedacht?“, frage ich in die Runde. Schließlich scheint eine Klonwelle durch Berlins Straßen zu schwappen, auch unter den Studis.

Graue Röhrenjeans, spitze Schuhe, dicke Acetat-Brille, leicht untersetzte Figur und blasse Haut, fertig ist der Boheme-Student, der irgendwas Künstlerisches, was mit Mode oder Literatur studiert. Alles Klischee natürlich. „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen“, antwortet meine Freundin, „und das Witzige ist eigentlich, dass alle denken, das sei der Berliner Stil. In Wirklichkeit wurde er aber gar nicht von Berlinern gemacht, sondern vielmehr aus allen Teilen Deutschlands und Europas hierher gebracht. Aber da Berliner ja eh multikulti sind, ist es deshalb vielleicht der neue Berliner Stil. Ich hatte zumindest nie einen Jutebeutel mit in der Schule, inzwischen finde ich es aber auch ganz cool.“ Offen sind sie also, die Berliner, denke ich. Zumindest in der Uni gibt es eigentlich keine Schwierigkeiten im Umgang von Berliner Urgesteinen mit Zugezogenen. Und so viele Unterschiede gibt es ja auch gar nicht, bis auf das Outfit vielleicht.

In der Mensa fällt jedem die Entscheidung zwischen Hirschgulasch und Rührei mit Spinat schwer, jeder verläuft sich in den unverständlich beschrifteten Gängen der Uni und das Campus Management System, mit dem die Kurse gebucht werden, ist für jeden Grund genug, dem Computer vor Wut und Frustration Schaden zuzufügen.

Was allerdings das Begrüßungsgeld für alle Neu-Berliner angeht, ist man geteilter Meinung. „Ich finde, man sollte dieses Geld für alle zugänglich machen“, sage ich, „Voraussetzung sollte nur sein, dass man neu an der Uni ist – egal ob aus Berlin oder von anderswo.“ Das Argument, neue Studenten bringen Berlin Geld und deswegen sollten sie begrüßt werden, entzieht sich meinem Verständnis. Bringen bereits hier wohnende Studenten denn kein Geld in die Kassen? Sie fahren schließlich auch mit der BVG, sind hier gemeldet, gehen hier zum Arzt und kaufen hier ein. „Das Begrüßungsgeld gibt es ja nun nicht mehr nur hier“, sagt mein Kommilitone, „also bekomme ich das ja auch als Berliner, wenn ich zum Studieren in eine andere Stadt gehe. Meiner Meinung nach ist das keinen Aufreger wert.“ Sofort weiß der einzige bereits Berufstätige in der Runde zu kontern: „Dieses Geld ist eine schlechte Idee! Berlin ist schon arm genug, warum sollte auch jemand belohnt werden, der hier herkommt? Die meisten kommen doch, weil sie gehört haben, wie toll man hier feiern kann und wie cool das Leben hier ist. Berlin ist nicht Disneyland.“

Ich bin gespannt, was die „Gegenseite“ dazu zu sagen hat. Am nächsten Abend findet der Ersti-Kneipenabend statt, in einer kleinen Spelunke in Kreuzberg. Sowohl Berliner als auch Neuankömmlinge sind dabei. Bei Bier und Gin Tonic gewinnt die Diskussion schnell an Fahrt. Lukas, Student der Philosophie aus Düsseldorf, macht Nägel mit Köpfen: „Ich geh nach Berlin, weil ich Berlin geil finde und dafür müssen Berliner wegziehen. Das ist doch bescheuert!“ Zumindest müssen sie in andere Stadtteile ziehen, denke ich, denn die angesagten Kieze sind für die echten Hauptstädter längst zu teuer.

Die meisten Studis aus anderen Teilen Deutschlands kommen aber mit einem guten Gefühl hierher, sie freuen sich auf die Partyhauptstadt Berlin, aber auch auf die Offenheit und die Berliner „Jeder wie er will“-Mentalität. „Ich würde trotzdem eine Berlin-Quote einführen“, kontert ein Geschichtsstudent mit Berliner Wurzeln, „irgendetwas, was zumindest nicht alle zwingt, bei Mutti auszuziehen. Manche würden eben gerne hierbleiben, in ihrer Stadt.“

Bei allem, was ich schon über das berüchtigte Schwaben-Mobbing in Berlin gehört habe, (schließlich wird Prenzlauer Berg nicht umsonst Schwabylon genannt), finde ich die Einstellung der neuen Berliner Erstis entspannt. Man sitzt eben doch im selben Boot, neu an der Uni, ohne Mama und Papa den Tücken des Alltags gnadenlos ausgesetzt. Völkerverständigung erfolgreich.

Constanze Bilogan

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