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Wolf

© dpa

Tierwanderung: Wölfe werden Wessis

Er ist jung, menschenscheu und macht unter dem Spitznamen "Reinhard" bundesweit Schlagzeilen. Dass nach mehr als 150 Jahren erstmals wieder ein Wolf in Hessen auftaucht, ist eine Sensation. Es ist aber auch ein Trend.

Immer häufiger hat es in den vergangenen Jahren Wölfe aus der Lausitz oder aus dem westlichen Polen nach Westdeutschland verschlagen. Allerdings sind die Pioniere meist zu einem Junggesellendasein verdammt. Nach Expertenmeinung werden wohl noch Jahrzehnte vergehen, ehe sich auch in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz ganze Wolfsfamilien tummeln.

"Man kann sich aber darauf einstellen, dass Wölfe überall in Deutschland auftauchen", sagt Markus Bathen, Wolfsexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Er hat allen Grund zur Zuversicht. Etwa 25 Wölfe sowie mehrere Wolfswelpen leben in drei Rudeln in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz. Auch in Nachbarländern wie Polen sind Wolfsfamilien heimisch. Werden die Jungwölfe mit etwa zwei Jahren geschlechtsreif, wird es in den Territorien zu eng und die Jungspunde wandern ab. Manche Nesthocker bleiben in der Nähe. Andere wandern in die Ferne, durchschwimmen Flüsse, überqueren Berge und legen dabei durchschnittlich 50 Kilometer pro Tag zurück.

Sehr anpassungsfähig

"Wenn ein Wolf es darauf anlegt, schafft er es binnen einer Woche von der Lausitz in den Westen", sagt Bathen. Auf diese Weise landete womöglich auch jener Wolf im 22.000 Hektar großen Reinhardswald in Nordhessen. Im Schnee sichtete ein Förster vergangene Weihnachten erste Wolfspuren. Einen Artgenossen verschlug es wiederum in die Lüneburger Heide, wo der Wolf seit mehr als einem Jahr lebt. Wölfe seien sehr anpassungsfähig, sagt Ilka Reinhardt vom "Wildbiologischen Büro Lupus" in der Lausitz. "Wenn man sie lässt, können sie auch in der Nähe des Menschen leben."

Dass es in deutschen Wäldern bald nur so von Wölfen wimmelt, hält Markus Bathen aber für abwegig. "Zunächst wird es wohl bei Einzelfällen bleiben", sagt er. Denn auch wenn in manchem Schauermärchen der Wolf dem Menschen zu Leibe rückt, in Wahrheit ist es umgekehrt. So wurde im vergangenen Jahr in Schleswig-Holstein der erste Wolf des Bundeslandes nach fast 190 Jahren überfahren. 2006 wanderte ein Wolf von Italien über die Alpen nach Bayern, nur um dann bei Starnberg unter die Räder zu kommen. Und immer wieder werden Wölfe illegal abgeschossen.

Außerdem müssen die Wolfs-Zuwanderer ein Singledasein fristen und bekommen somit keinen Nachwuchs. "Wenn Wölfe wandern, wählen sie irgendeine Himmelsrichtung. Sie wissen ja nicht, dass es im Westen keine Wölfe mehr gibt", sagt Ilka Reinhardt. Zwar orientieren sich Wölfe an den gleichen Geländemarken wie Flüssen und können sich "erschnuppern". Es wäre aber ein großer Zufall, fände der vom Hessischen Rundfunk als "Reinhard" verniedlichte Wolf, der auch eine "Reinhardine" sein könnte, ausgerechnet im Reinhardswald einen Lebensgefährten. "Die Chance, dass ein Partner vorbei kommt, halte ich für ziemlich gering", seufzt Forstamtsleiter Norbert Teuwsen. Er hofft nun, dass der Solo-Wolf trotzdem bleibt.

Experte: Mit Vorurteilen aufräumen

Wolfsfachmann Bathen vermutet, dass noch viele Jahre vergehen werden, ehe sich auch im Westen Deutschlands Wolfsrudel tummeln. Gleichwohl plädiert er dafür, sich auf die tierischen Pioniere einzustellen. Weil Isegrim nämlich seit 150 Jahren in Mitteleuropa ausgestorben ist, kennen ihn viele Bürger nur noch aus Rotkäppchen oder Werwolf-Schockern. Und sie fragen sich, ob der Familienspaziergang im Wald noch drin ist. "Wir müssen mit Vorurteilen aufräumen", sagt Bathen. Der vermeintliche Böswewicht sei in Wahrheit ein Hasenfuß, von dem keine Gefahr für den Menschen ausgehe.

Gefahr besteht laut Bathen höchstens für Schafe und Ziegen, die der Wolf insbesondere dann angreift, wenn Rehe, Wildschweine und Hirsche knapp werden. Der Wolfsexperte schlägt vor, Landwirte zu schulen, mit welchen Zäunen sie ihre Tiere am besten schützen. Notfalls müssten für gerissene Schafe Entschädigungen fließen. "Der Wolf wird nur eine Chance haben, wenn wir Menschen ihn akzeptieren", sagt Bathen.

Julia Gaschik[AFP]

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