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Panorama: Zu schwach für Hilfe

Kreislauf aus Arbeitslosigkeit, Isolation, Depression und Störungen – Experten fordern Umdenken in den Behörden

Der Speyrer Sozialdezernent Hanspeter Brohm zeigt sich tief betroffen. Dass mitten in der Domstadt ein Mensch verhungern kann, hätte der CDU-Mann nicht für möglich gehalten. Auch bei der Caritas ist man bestürzt: Die „Tafel“, die Bedürftigen kostenlos Lebensmittel anbietet, sei keine dreihundert Meter von der Wohnung des Mannes entfernt gewesen. Der arbeitslose 20-Jährige war am vergangenen Sonntag in seiner Wohnung aufgefunden worden, zu diesem Zeitpunkt war er bereits vier Tage tot. Seine 48-jährige Mutter, infolge von Mangelernährung stark geschwächt, hatte erst am Sonntag einen früheren Bekannten angerufen. Der verständigte sofort einen Notarzt. Warum die Frau nicht schon viel früher um Hilfe rief, weiß niemand. Sie habe aber in einer kurzen Befragung angegeben, dass sie und ihr Sohn kein Geld für Lebensmittel gehabt hätten. Die Frau wird mittlerweile im Krankenhaus ärztlich behandelt.

Der Mann und seine Mutter waren bis Ende 2004 Sozialhilfeempfänger. Dann erhielten sie Leistungen nach Hartz IV und wurden von der Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration (GfA) in Ludwigshafen betreut. Als Mutter und Sohn im Oktober 2006 neue Anträge stellen sollten, so schilderte ein Sprecher der Stadtverwaltung, hätten sie auf kein Anschreiben mehr reagiert. Auch die in diesem Fall gesetzlich vorgesehene Kürzung von Leistungen habe bei ihnen keine Reaktionen hervorgerufen. Ende 2006 seien die Zahlungen ganz gestrichen worden. „Das ist der vorgegebene Weg“, erklärte ein Sprecher der GfA. Man habe vom Gesetzgeber aus nicht den Auftrag, in derartigen Fällen von sich aus aktiv zu werden.

Die Wohlfahrtsverbände in der Pfalz kritisieren dieses Vorgehen: „Bevor die komplette Streichung von Leistungen erfolgt, muss man sich ein Bild von der Lebenssituation des Menschen machen“, forderte ein Sprecher des Caritasverbandes in Speyer. Auch das Diakonische Werk Pfalz hält das für nötig: Viele Arbeitslose seien mit ihrer Situation überfordert und hätten schon Schwierigkeiten damit, die Anträge selbstständig auszufüllen. Auch führe die Abwertung und Ausgrenzung, die Betroffene im Umgang mit den Behörden erlebten, immer häufiger zu einem Rückzug. Diese Erfahrung macht auch Gerhard Trabert, Sprecher des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“. „Viele Arbeitslose resignieren und isolieren sich immer mehr.“ Das Risiko, dass Langzeitarbeitslose keine Hilfsanträge mehr stellen und einfach aufgeben, hält Trabert für hoch.

Thomas Lampert vom Berliner Robert-Koch-Institut verweist auf die Gefahr psychischer Erkrankungen: Nach Untersuchungen treten die bei Langzeitarbeitslosen zwei- bis dreimal häufiger auf, besonders Männer seien stark gefährdet. „Je länger die Situation andauert, umso gravierender sind die Folgen“, sagt Lampert. Auch in Speyer wird jetzt vermutet, dass der junge Mann psychisch erkrankt war. Seine Mutter äußerte gegenüber der Polizei, dass er sehr deprimiert gewesen sei und auch gesagt habe, er wolle nicht mehr leben. Um sie kümmert sich nun das Sozialamt, es sorgt dafür, dass sie wieder Leistungen nach Hartz IV erhält. Das Diakonische Werk plant, die Arbeit mit der Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration zu intensivieren: „Wenn wir wissen, wer Hilfe braucht, dann können wir sofort aktiv werden“, erklärte eine Sprecherin. Sie will erreichen, dass die Arbeitsagenturen frühzeitig auf die Hilfsangebote der freien Wohlfahrtsverbände hinweisen. „Niemand darf einfach durchs soziale Netz fallen.“

Martin Behrsing vom Erwerbslosen- Forum Deutschland fordert die Einführung eines professionellen Fallmanagements, wie es ursprünglich in der Diskussion war. „Mitarbeiter der Arbeitsagenturen müssen unbedingt Qualifikationen im psycho-sozialen Bereich haben, damit die individuellen Folgen bei Sanktionen abgeschätzt werden können.“ Gerade bei psychisch kranken Menschen sei eine Leistungseinstellung kein geeignetes Mittel.

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