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Panorama: Zu viel Sonne

Die Franzosen stöhnen unter dem heißesten Sommer seit 50 Jahren – sogar die sonst verpönten kurzen Hosen sind jetzt in

„Canicule“ ist zurzeit das Lieblingswort der Franzosen, dem deutschen Ausdruck „Hundstage“ ähnlich. Am Bistro-Tresen, beim eisgekühlten Anisschnaps, tauschen Menschen jeden Alters Überlebens-Tipps aus. Die einen schwören auf die tägliche Siesta, die anderen kühlen Kopf und Arme mit feuchten Tüchern, und plötzlich ist die im sonst so modebewußten Frankreich sonst verpönte kurze Hose gesellschaftsfähig. Alle reden, neben der Tour de France, nur über ein Thema: Wann wird es kühler?

Tatsächlich wurde Frankreich seit 50 Jahren nicht mehr von einer derartigen Hitzewelle heimgesucht, schon im Juni lagen die Temperaturen zehn bis zwölf Grad über den normalen Messwerten. Das Land liegt seit Anfang Juni unter einer beständigen Hitzeglocke. Fast jeden zweiten Tag wird ein neuer Temperaturrekord gemessen. Mit Spitzenwerten von 40,7 und 41 Grad liegen die Großstädte Lyon und Grenoble zurzeit an der Spitze. Des einen Freud, des anderen Leid: Wie überall im Süden Europas leiden unter den hochsommerlichen Temperaturen vor allem die Landwirte. In Zentralfrankreich kündigen völlig ausgetrocknete, von der Hitze zerfurchte Felder eine schlechte Ernte an, die Weinbauern zittern dem Herbst entgegen, die Förster müssen täglich neue Waldbrände befürchten.

Leidtragende sind zum Ferienbeginn auch die Reisenden – und dabei nicht nur die Autofahrer, die sich durch hunderte Kilometer Staus quälen. Immer häufiger spielte die Hitze in den vergangenen Tagen der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF einen Streich. Mehrere Schnellzüge blieben teils stundenlang liegen. „Im Süden sind die Weichen für solche Temperaturen ausgelegt, im Norden allerdings nicht“, entschuldigte ein SNCF-Sprecher das Malheur für hunderte von Reisenden, die im Zug nach Lyon vier Stunden auf offener Strecke bei 50 Grad im Zug ausharren mussten.

Die Klimaanlage in dem Zug war ausgefallen, wie übrigens auch bei der Post in Marseille, wo die Angestellten kurzerhand die Arbeit niederlegten und damit die Bereitstellung von Ventilatoren erzwangen.

In zahlreichen Regionen ist der Wasserverbrauch seit Wochen drastisch eingeschränkt. Verboten oder nur stundenweise erlaubt ist es, im Privatgarten zu gießen, Swimmingpools aufzufüllen und Autos zu waschen.

Andererseits war der Sommer in den Städten und am Meer noch nie so schön. Plätze mit Springbrunnen und Parks werden kurzerhand in Freizeitbereiche verwandelt, an den Stränden herrscht Hochsaison. Die Pariser freuen sich auf „Paris-Plage“, den fast vier Kilometer langen, künstlich aufgeschütteten Strand am rechten Seineufer, der vom kommenden Sonntag an mit 3000 Tonnen Sand, Palmen, Hängematten, Liegestühlen, Sonnenschirmen und zahlreichen Cafés wieder auf seine Fans wartet.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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