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Das Leben selbst in die Hand nehmen. Viele Arbeiten von Marie Marcks waren geprägt von den Auseinandersetzungen der Frauenbewegung. Mit freundlicher Genehmigung von marie-marcks.de.

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Zum Tod von Marie Marcks: „Ich habe meine Frauenbewegung allein gemacht“

Sie ließ sich von keiner Partei und keiner Sache vereinnahmen. Marie Marcks, die große Cartoonistin aus Berlin, ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Von Caroline Fetscher

Frau und Mann auf einer Ebene, im Hintergrund Himmel, blau und gelb. Gebeugt läuft der Mann. Auf seinen Schultern schleppt er die ganze Erde, einen riesigen Globus, größer als er selber. Da muss einer alles alleine stemmen. Vor dem Mann steht, lässig und im pinken Kleid, die Frau. Sie wirft dem ächzenden Christophorus nur eine Handvoll Worte zu: „Mann, roll doch das Ding!!“

Wenn Marie Marcks solche Szenen zeichnete, sah der Mann von Welt alt aus mit seiner Weltkugel, unpraktisch, größenwahnsinnig, und doch auch rührend in seiner Anstrengung. Die Frau hingegen, pragmatisch, alltagstauglich, humorbegabt, wusste wo es langging. Und dann auch wieder nicht. Denn Marie Marcks, die fünf Kinder – von drei Vätern – meist alleinerziehend durchbrachte, nahm auch die Tücken, Selbstlügen und Fährnisse der modernen Mütter und Väter aufs Korn. Nichts war vor ihrer Feder sicher, Frauen und Männer, Kleinkinder und Teenager, Pädagogen, Politiker, das Atomzeitalter, die Aufrüstung, der Geschlechterkampf, die Neonazis, die Ökologie. Abertausende Bilder hat Marie Marcks gezeichnet, Karikaturen, Comicgeschichten, Illustrationen, Buchcover, ganze Biografien. Jetzt ist sie, mit 92 Jahren, in Heidelberg gestorben.

"Roll doch das Ding!" Marie Marcks neben einer ihrer Karrikaturen.
"Roll doch das Ding!" Marie Marcks neben einer ihrer Karrikaturen.

© Jochen Lübke / dpa

Sie gehen nach und nach alle, die Kinder der Weimarer Republik. Auch Marie Marcks war eines von ihnen. Am 25. August 1922 kam sie in Berlin zur Welt. Beide Eltern hatten Augenberufe, der Vater war Architekt, die Mutter, eine Malerin, leitete eine private Kunstschule. Für das Mädchen waren die Ateliers ihrer antifaschistischen Eltern, wo sie nach der Schule Hausaufgaben machte und den Großen bei der Arbeit zusah, von Anfang an das vertrauteste Ambiente.

Sie trug die Atmosphäre der Weimarer Freiheit in sich

Hier erhielt sie auch, durch ihre Mutter, ihren ersten Zeichenunterricht. Wenngleich die Atmosphäre der Weimarer Freiheit vom Nationalsozialismus zerstört und zerstäubt wurde, Marie Marcks schien sie für den Rest ihres langen, kreativen Lebens einfach weiter in sich zu tragen, mit einer Mischung aus Witz und Trotz und einem Schuss Naivität, aus Selbstschutz, aber vielleicht auch strategisch, wie ihr Credo: „Ernste Anliegen sind mit Humor viel besser zu vermitteln als mit Warnungen oder Trauerbotschaften.“

Mitten im Krieg, fern von dessen Schauplätzen, bestand sie 1941 ihr Abitur auf dem Internat Birklehof im entlegenen Südschwarzwald, auch diese Epoche schilderte Marcks in ihrer gezeichneten Autobiografie „Marie, es brennt!“, die 1984 erschien. An den Technischen Hochschulen in Berlin und Stuttgart studierte sie, wie der Vater, zunächst Architektur, einige Semester lang. Architektin ist sie dann nicht geworden, sondern folgte den Spuren der künstlerischen Mutter. Unter eines ihrer Selbstporträts hatte sie später einmal geschrieben: „Von Kindeshänden an gekritzelt. Da weiter nichts rechtes gelernt, aus dem Gekritzel meinen Beruf gemacht.“ Das war ein Understatement, denn sie hatte ihren Beruf mit Fleiß erlernt, und sich mit weitaus mehr als Kritzeln befasst. Nach der Befreiung Deutschlands und Europas durch die Alliierten war Marie Marcks als Zeichnerin, Layouterin und Grafikerin zeitweise für die amerikanischen Besatzungstruppen tätig, ein Jahr lang lebte sie auch in Amerika, und sie lernte, wie man Ausstellungen kuratiert. Dabei kamen vorübergehend auch Kunst und Architektur für Marcks vollends zusammen, als sie 1958 den Auftrag erhielt, auf der Weltausstellung in Brüssel den Deutschen Pavillon der Sektion „Bauen und Wohnen“ zu entwerfen. Doch der Zeichentisch, ein gewissermaßen politisierter Tisch, zog sie mehr an als alles andere.

Den Tisch, der in ihrem Heidelberger Domizil stand, und an dem sie jahrzehntelang arbeitete, hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die ihn von ihrem Kunstprofessor bekam. In erster Ehe mit einem Atomphysiker verheiratet, gestaltete Marie Marcks schon 1964 den deutschen Stand der Ausstellung „Atoms for Peace“ in Genf. Im Jahr darauf begann ihre Karriere als Karikaturistin für Zeitungen und Zeitschriften, darunter die „Süddeutsche Zeitung“, „Titanic“, „taz“ und „Die Zeit“. Erfolg stellte sich ein, kaum ein Jahrzehnt später erschienen ihre gesammelten Zeichnungen in Buchform, verlegt vom Rowohlt Verlag und später vom Antje Kunstmann Verlag, über 25 Bücher wurden es insgesamt. Immer stärker konzentrierte sich Marcks auf die Widersprüche des alternativen Alltags, der oft komischen Suche von Frauen und Familien nach dem richtigen Leben im falschen.

Die alleinerziehende Mutter war ein Leitmotiv

Eines der Leitmotive entnahm sie ihrem eigenen Leben als berufstätige Mutter: Die zwischen Arbeitsplatz und Wickeltisch hin und her rasende Frau, geplagt von der Kluft zwischen Selbstbild, Anspruch und Realität mit schreienden Kindern im Nacken. Alle Erfahrungen, was immer ihr in die Quere kam, wurde ihr zum Stoff, besonders gern die Absurditäten der Schulalltags, von dem ihre Kinder berichteten, den sie selber als Mutter miterlebte. Neben dem Visuellen, dem Hinsehen, spielte auch das Hinhören eine Rolle für Marie Marcks. Oft entlarven die Texte in den gern fähnchenartigen Sprechblasen ihrer Figuren die Floskeln des Alltags, besonders der Sprache Erwachsener mit Kindern. Der Kindertherapeut oder Pädiater lehnt sich am Schreibtisch zu dem kleinen Jungen herüber, der davorsteht. „So, wir machen also immer noch in die Hose?“ fragt er paternalistisch jovial. „Du auch?“, pariert der Kleine mit Sinn und Verstand, in aller Unschuld. Nicht selten gönnte Marcks Kindern und Frauen die Pointen, den Zaungästen des Patriarchats, das sich doch angeblich pausenlos verabschiedete.

Vereinnahmen lassen wollte sich die Künstlerin allerdings nie, von keiner Causa oder Partei, und aus einer geplanten Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Emma“ konnte so nichts werden. „Ich habe meine Frauenbewegung allein gemacht“, erklärte Marie Marcks zu ihrem 90. Geburtstag. „Ich habe einfach nur thematisiert, dass die Frauen die Welt mit anderen Augen sehen, und das war das Neue.“ Unabhängigkeit war das Elixier, das die Fantasie von Marie Marcks und sie selber am Leben hielt.

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