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Wirtschaft: Abenteuer Ausland

Mit welchen Problemen deutsche Mittelständler bei der Produktionsverlagerung zu kämpfen haben – und warum sie es trotzdem machen

Zum Glück mag Stephan Gais Tschechien und zum Glück besucht er das Land drei Mal im Jahr. Dafür braucht er einen Stempel in seinem Reisepass. Und an diesem Dokument hängen auch noch 150 Arbeitsplätze. Der Geschäftsführer der Göttinger Firma Mahr braucht sein Visum nicht nur, um Urlaub zu machen, sondern um im tschechischen Probostov Facharbeiter zu beschäftigen. Ansonsten verliert er – zumindest bis zum EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai – die Berechtigung, ein Tochterunternehmen in dem osteuropäischen Land zu führen.

Doch solche bürokratischen Hemmnisse können Gais nicht schocken. Als seine Firma 1993 wegen der hohen Löhne in Deutschland beschloss, im tschechischen Probostov ein Werk mit heute 150 Beschäftigten aufzumachen, hatte er mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. „Wir hatten große Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden“, erzählt Gais. Die Geräte des Messgeräteherstellers Mahr stecken voller Hightech, und in Tschechien fehlte es an ausgebildeten Facharbeitern. „Es hat ein Jahr gedauert, bis wir den Leuten in Schulungen das nötige Wissen beigebracht hatten“, sagt Gais. „Noch heute schicken wir regelmäßig unsere Experten nach drüben, um die Kenntnisse unseres Personals aufzufrischen.“ Eine Studie des Fraunhofer-Instituts bestätigt Gais’ Erfahrungen: Danach haben Firmen, die ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern oder an Dritte ausgliedern, vor allem mit der mangelnden Kompetenz vor Ort zu kämpfen. In der Befragung von 1630 Betrieben aus dem verarbeitenden Gewerbe gaben sogar 55 Prozent an, dass sie Entwicklungsleistungen wieder ins eigene Unternehmen zurückgeholt hätten.

Das käme für Gais allerdings nicht in Frage. Denn für den Standort Probostov spricht vor allem ein Argument: die Lohnkosten – trotz Investitionen in den Standort von bisher drei Millionen Euro. „Eine Produktionsstunde in Deutschland kostet uns 40 Euro, eine Stunde in Tschechien nur fünf Euro.“ Für 150 Mitarbeiter bedeutete diese Rechnung Vorruhestand oder Versetzung: 1993 schloss das Unternehmen gegen den Protest des Betriebsrates seine Produktionshallen in Esslingen. Die niedrigen Löhne sind auch der Grund, warum Mahr seit 1999 im chinesischen Suzhou 50 Mitarbeiter beschäftigt – auch wenn monatelang Zeichnungen und Arbeitspläne aus dem Deutschen ins Chinesische übersetzt werden mussten und der Chef sich mit kaum einem der Angestellten unterhalten kann. Darunter litt zunächst die Qualität: Komplizierte Messgeräte fertigt Mahr nach wie vor in Deutschland, in China produziert das Unternehmen nur einfache Teile, dafür aber in hohen Stückzahlen. „Man muss den Leuten Zeit geben“, sagt Gais.

Das sieht auch Michael Wenzel so. Wie Mahr hat sich auch sein Unternehmen – der Maschinenbauer und Roboterhersteller Reis Robotics aus Obernburg – schon kurz nach dem Fall der Mauer für den Sprung in den Osten entschieden. Die Löhne und Sozialversicherungsabgaben waren Wenzel in der Bundesrepublik zu hoch. 1994 gründete Reis Robotics daher eine Produktionsstätte im tschechischen Chomutov mit heute 130 Mitarbeitern. Mittlerweile erwirtschaftet das Unternehmen fünf Prozent seines Umsatzes von insgesamt 100 Millionen Euro dort. Aber Wenzel sagt: „Man darf nicht zu viel zu schnell erwarten – darum haben wir die Arbeitskomplexität erst nach und nach gesteigert.“ Insgesamt drei Jahre hat es gedauert, bis Reis Robotics in Chomutov Produkte herstellen konnte, die auch dem deutschen Qualitätsstandard entsprachen, und selbst nach zehn Jahren Arbeit in Tschechien werden dort nur vergleichsweise einfache Geräte für den Stahlbau hergestellt. Seine Roboter produziert das Unternehmen nach wie vor in Deutschland.

Rolf Kuhnke, Chef der gleichnamigen Kuhnke GmbH aus Malente, ist einer der wenigen mittelständischen Maschinenbauer, die sich trauen, auch hochwertige Produkte in Osteuropa herzustellen. Seit 1998 betreibt er in Rumänien ein Werk mit 120 Mitarbeitern, in dem er komplexe Schalt- und Steuergeräte für die Automobilindustrie produzieren lässt. Mit dem Know-how seiner Beschäftigten vor Ort ist Kuhnke zufrieden, er erwirtschaftet mittlerweile 20 Prozent seines Umsatzes im Ausland. Aber ihn stört etwas anderes: die Rahmenbedingungen. „Die Inflationsrate in Rumänien ist nach wie vor hoch“, sagt er. „Die permanente Abwertung treibt unsere Kosten nach oben.“ Auch die Tatsache, dass sich die Zollbestimmungen des Landes laufend änderten, sei ein Problem.

Dennoch: Keines der drei Unternehmen würde seine Produktionsstandorte im Ausland wieder schließen wollen. „Manche Tätigkeiten sind in Deutschland einfach zu teuer“, sagt Stephan Gais von Mahr. „Ohne Outsourcing hätten viele Firmen keine Überlebenschance mehr.“

Dennis Kremer

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