zum Hauptinhalt
Zweifelhaftes Vergnügen. Im gleichnamigen Film jagen „Die Superbullen“ den Entführer von Hennes. Das ist der Geißbock, der dem 1. FC Köln als Maskottchen dient. Im wirklichen Leben sieht die Jagd anders aus: Anwälte durchsuchen das Internet nach Menschen, die solche Filme ohne Erlaubnis herunterladen. Denen schicken sie dann eine Abmahnung. Foto: pa/ob

© pa/obs

Abmahnwesen: 956 Euro für "Die Superbullen"

Downloaden kann teuer werden: Wer sich bei Musik, E-Books oder Filmen bedient, wird schnell abgemahnt. Was Anwälte raten.

Als Anna Meier, 24, und Franz Müller, 28, Post aus München erhalten, ahnen sie nichts Gutes. Zu Recht: Denn der Brief der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer enthält eine Abmahnung. Müller habe die Spielfilmkomödie „Die Superbullen“ von einer Internet-Tauschbörse heruntergeladen und dabei anderen Personen zum Tausch angeboten. Die IP-Adresse seines Internetanschlusses liege vor, innerhalb von sieben Tagen solle Müller 956 Euro überweisen und eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Sollte der Kölner dieser Forderung nicht nachkommen, werde man vor Gericht gehen, und das werde teuer.

Das junge Paar will anonym bleiben – aus Furcht vor weiteren Problemen. Das gilt auch für die meisten anderen Betroffenen, mit denen wir gesprochen haben. Die hier verwendeten Namen sind daher nicht die echten. Echt sind aber die Zahlen, die das Geschäft illustrieren. 218 560 Abmahnungen hat es wegen vermeintlicher Urheberrechtsverletzungen im Jahr 2011 gegeben, berichtet der „Verein gegen den Abmahnwahn“. Vor allem Musik-MP3s, Spiel- und Erotikfilme sind betroffen, die Forderungen bewegen sich im Durchschnitt zwischen 300 und 1500 Euro.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger plant, solch horrenden Gebühren einen Riegel vorzuschieben. Die FDP-Ministerin will die Kosten, die Anwälte für Abmahnschreiben verlangen können, begrenzen. Außerdem sollen sich Verbraucher gegen ungerechtfertigte Abmahnungen besser wehren können. Momentan ist das schwierig, die Betroffenen sind oft hilflos.

„Wir kennen diesen Film noch nicht einmal“, sagt Müller. „Und wir laden auch nichts herunter!“ Die beiden haben sich an die Verbraucherzentrale NRW gewandt. Diese hat ihnen eine Liste von Anwälten gegeben, die auf solche Fälle spezialisiert sind. Darunter ist die Kanzlei Wilde, Beuger und Solmecke, die auch in Berlin vertreten ist. Die rät dem Paar, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben: Müller verspricht, dass er den Film nie wieder ohne Einverständnis des Rechteinhabers herunterladen wird, gibt aber – anders als von der Gegenseite gewollt – kein Schuldeingeständnis. Jetzt können die beiden nur noch warten und hoffen. Denn spätestens dreieinhalb Jahren nach Erhalt der Abmahnung verjährt die Forderung. Und die wenigsten Kanzleien zögen tatsächlich vor Gericht, sagen Verbraucherschützer.

Wenn das aktuelle Abmahnwesen in Deutschland eine Farbe hätte, wäre es schmutzig-grau. Mit allerlei Tricks versuchen Geschäftemacher, über Abmahnungen Geld zu verdienen. Privatleute, die sich als Anwälte ausgeben und betrügerische Massenabmahnungen per E-Mail verschicken, Anwälte, die das Internet nach Verstößen durchforsten und bei einem Fund die Rechteinhaber fragen, ob die Kanzlei ihre verletzten Rechte vertreten soll – das Geld könne man sich teilen. Sogar „Schnellzahlerrabatte“ gibt es – wer innerhalb von drei Tagen überweist, muss 20 Prozent weniger zahlen.

Was die Justizministerin unternehmen will

Viele nutzen das Unwissen und die Angst der Betroffenen aus. „Wenn Anwälte mit Streitwerten bis zu 200 000 Euro drohen, geraten viele in Panik“, sagt Rudolf Koch vom „Abmahnwelle-Verein“, der auf seiner Internet–Seite (siehe Kasten) Informationen für Betroffene anbietet. „20 bis 30 Prozent zahlen sofort, weil sie Angst haben“, weiß auch Fred-Olaf Neiße vom „Verein gegen den Abmahnwahn“. Die Angst ist groß vor Zahlen mit vielen Nullen, vor einer undurchsichtigen Rechtslage und vor weiteren Anwaltsbriefen.

Der 27-jährige Lutz Böhme aus Berlin dachte sich schon, dass das, was er tat, nicht ewig gut gehen konnte. Als dann eine Abmahnung für einen „Chartcontainer“ mit den Top 100 der deutschen Popmusik kam, empfand er die geforderten 400 Euro als gerecht. „Ich habe in den letzten sieben Jahren so viel kostenlose Musik gesaugt, da dachte ich, ich kann doch auch mal was zahlen.“ Böhme unterschrieb die mitgesandte Unterlassungserklärung, überwies das Geld – und erhielt prompt sieben weitere Abmahnungen. Die neuen Forderungen beliefen sich zusammen auf rund 10 000 Euro. Über Bekannte kam Böhme zu Rechtsanwalt Mathis Gröndahl aus Berlin. Auch der riet: modifizierte Unterlassungserklärung abgeben, nichts bezahlen, warten, hoffen. Böhme lädt nun nichts mehr selbst herunter. „Ich lass’ das jemanden machen, der sich auskennt.“

Die Abmahnung, die der Empfänger bezahlen muss, ist ein deutscher Sonderfall. Eigentlich ist sie dazu gedacht, einen teuren Gerichtsstreit zu vermeiden. A mahnt B mithilfe eines Anwaltes ab, weil B gegen das Urheberrecht oder gegen das Wettbewerbsrecht verstößt. Im ersten Fall lädt B als Privatperson etwa illegal Musik auf seinen Rechner; im zweiten Fall vergisst ein Geschäftsmann zum Beispiel sein Firmenimpressum im Internet. Für derartige Verstöße muss B Schadensersatz an A zahlen und auch dessen Anwaltskosten übernehmen. Beide Beträge orientieren sich am Streitwert, der von den Anwälten gern hoch angesetzt wird. Zusätzlich muss B eine Unterlassungserklärung abgeben. Er verpflichtet sich, diese spezielle Tat nie mehr zu wiederholen und falls doch, eine Vertragsstrafe zu zahlen.

„Im Bereich Urheberrecht teilen sich drei große Kanzleien den deutschen Markt auf: Waldorf-Frommer aus München, Urmann und Collegen aus Regensburg sowie Rasch aus Hamburg“, berichtet Christian Solmecke aus der Kanzlei Wilde, Beuger und Solmecke. Wir wollten wissen, wie viel die genannten Kanzleien mit Abmahnungen verdienen und wie sie vorgehen, doch zwei der befragten Kanzleien antworten auf unsere schriftliche Anfrage gar nicht, Björn Frommer bat um einen Zeitaufschub.

Das Verfahren läuft meist so: Üblicherweise fordern die Kanzleien von den Tauschbörsen die IP-Adressen für die von ihnen vertretenen Werke an. Mit einer Tabelle dieser Adressen holen sie sich bei Gericht einen Beschluss, mit dem sie dann von den Internetanbietern Namen und Adressen der Nutzer fordern können. Doch das Programm macht Fehler. Daher erhalten auch Menschen Abmahnungen, die gar keinen Computer haben, wie die 64-jährige Ilona Aslan aus Berlin, die ebenfalls von Wilde, Beuger und Solmecke vertreten wird. Bei ihr kam es zu einer Klage, sie wurde vom Münchner Amtsgericht zu 650 Euro Abmahnkosten verurteilt, die Kanzlei geht in die nächste Instanz.

Momentan können sich die Kläger noch die Gerichte aussuchen. Diesen „fliegenden Gerichtsstand“ will Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zumindest für Abmahnungen wegen wettbewerbsrechtlicher Verstöße einschränken. Zudem sollen Unternehmen nur noch 150 Euro, Privatleute weniger als 100 Euro für die erste Abmahnung zahlen. Veränderung tut Not, findet auch Rudolf Koch vom „Abmahnwelle-Verein“: „Wir haben Gesetze aus dem Postkutschenzeitalter, fahren mittlerweile aber Formel eins.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false