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Angst vor der Wachstumsbremse. Die chinesische Notenbank fordert die Banken zu mehr Vorsicht bei der Kreditvergabe auf – die Aktienkurse fallen. Foto: Reuters

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Wirtschaft: Absturz in Schanghai

Den Banken geht das Geld aus, Leerverkäufe treiben die Aktienkurse nach unten – auch der Dax verliert.

In China geht die Angst vor einer Finanzkrise um. Der chinesische Aktienmarkt reagierte am Montag auf aktuelle Finanzierungsprobleme der Banken mit einem heftigen Absturz: Der Leitindex Schanghai- Composite lag zum Börsenschluss 5,3 Prozent im Minus. Auch die Börsen in Europa und in den USA sackten ab. Der Deutsche Aktienindex (Dax) rutschte am Montag zeitweise auf ein Tief von 7666 Punkten. Die Sorge ist groß, dass die Finanzierungsprobleme das rasante Wachstum der chinesischen Wirtschaft und damit die Exportchancen westlicher Unternehmen bremsen könnten.

Für Unruhe sorgten zuletzt die steigenden Geldmarkt-Zinsen in China. Die Zentralbank forderte die Kreditinstitute auf, die Steuerung der Liquidität zu verbessern. Weil sich die chinesische Notenbank weigert, den Markt weiter mit Geld zu fluten, versuchen sich die Banken bei anderen Häusern einzudecken. Die starke Nachfrage hatte die Zinsen für kurzfristige Darlehen am Freitag zeitweise auf 25 Prozent in die Höhe schießen lassen.

Spekulanten nutzen die Schwäche des chinesischen Marktes inzwischen gewinnbringend aus: „Wir sehen Leerverkäufer am Werk, die den Markt in Erwartung fallender Kurse zusätzlich nach unten treiben“, sagte Strategin Zuo Xiaolei von China Galaxy Securities. Leerverkäufe sind eine Wette auf sinkende Kurse. Investoren, oft Hedgefonds, verkaufen Papiere, die sie sich vorher gegen eine Gebühr geliehen haben. Sinken die Kurse wie erhofft, kaufen sie die Aktien oder Bonds am Markt billiger wieder ein, um sie dem Verleiher zurückzugeben.

In den vergangenen Wochen hatte eine Liquiditätskrise in China den Bankern die Stimmung vermiest. Ein mittelgroßes Institut, die Everbright Bank, konnte vor zwei Wochen nicht alle ihre Darlehen pünktlich bedienen. Auch die Bank of China (BoC), einer der vier Marktführer, musste sich gegen den Verdacht von Zahlungsschwierigkeiten wehren. Sogar das Finanzministerium hatte zeitweilig Schwierigkeiten, Staatsanleihen im Markt zu platzieren. Grund war ein Anstieg des Zinssatzes, zu dem sich Banken gegenseitig Geld leihen. Die Interbankenrate war von ursprünglich unter vier Prozent in der vergangenen Woche auf 13 Prozent gestiegen – ein alarmierend hoher Wert.

Die chinesische Interbankenrate, der so genannte „Shibor“ für Kredite mit einem Tag Laufzeit, sank am Montag immerhin auf den moderaten Wert von 6,5 Prozent. Doch Experten erwarten weitere heftige Schwankungen. „Wir denken nicht, dass sich die Liquiditätssituation in den kommenden Wochen verbessern wird“, schreiben Ökonomen von Barclays Capital. Die Lage ist ernst: Die gesamte Schuldenlast erreicht in China rund 200 Prozent des Bruttoinlandprodukts. „Der Anstieg der Verbindlichkeiten übersteigt alles, was wir bisher in einer großen Volkswirtschaft beobachtet haben“, sagt Analystin Charlene Chu von Fitch Ratings in Peking.

Auslöser der Kreditklemme ist die Geldpolitik der chinesischen Regierung. Sie hat angefangen, dem System auf mehreren Wegen Geld zu entziehen. Premier Li Keqiang will die Wirtschaftsentwicklung durch den seriöseren Kurs auf eine solidere Basis stellen. Seine Vorgänger hatten die Konjunktur während der Krise mit der raschen Ausweitung der Kreditvergabe am Laufen gehalten. Die Regierung hat klar gemacht, dass sie es nun mit der Verknappung ernst meint. Am Montag betonte die Zentralbank, rein rechnerisch sei genug Liquidität im Markt – es bestehe keine Notwendigkeit, von ihrem „vorsichtigen“ Kurs abzuweichen. Sie sei jedoch zu kleinen „Justierungen“ bereit.

Wenn die Notenbank weiter Geld einzieht, könnte zunächst kleineren Banken und Finanzhäusern ohne staatliche Hilfe die Zahlungsunfähigkeit drohen. Zu viele Kredite waren im Boom an die falschen Schuldner geraten. Provinzen und Kommunen haben Bauprojekte vorangetrieben, die während der Kreditlaufzeit noch keine Rendite abwerfen. Die Geldhäuser haben ihrerseits größere Risiken in komplexe Finanzvehikeln versteckt. Fitch schätzt das Volumen derartiger Produkte, die bis Ende Juni zur Rückzahlung anstehen, auf 180 Milliarden Euro. HB mit dpa

Finn Mayer-Kuckuk[Peking]

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