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Der Ruf der Berge. Viele Deutsche zieht es in die Schweiz – nicht nur für einen Urlaub.

© dpa

Fachkräftemangel: Abwanderung: Gründe fürs Gehen

Im Jahr 2009 kehrten 155.000 Deutsche ihrer Heimat den Rücken. Die meisten Fachkräfte, die Deutschland verlassen, klagen über zu viel Bürokratie und hohe Steuern.

Berlin - Der Wirtschaftsminister müht sich. Mehr Fachkräfte müssen ins Land, findet Rainer Brüderle (FDP), zur Not müssten sie mit Begrüßungsgeld ins Land gelockt werden. Doch auf ungeteilte Begeisterung bei den Unternehmen stößt er nicht. „Leute aus dem Ausland anzuwerben, ist schön und gut“, sagt Konrad Morath, Leiter des Hauptstadtbüros des deutschen Maschinenbauverbands (VDMA). „Wir müssen aber auch sehen, wie wir die Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland stoppen. Sonst werden wir dem drohenden Expertenmangel nicht begegnen können.“ Deutschland sei von einem Einwanderungs- zu einem Auswanderungsland geworden.

Laut vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts verließen im Jahr 2009 rund 788 000 Menschen Deutschland. Das waren knapp 13 000 mehr als in die Bundesrepublik zogen. Von denen, die Deutschland den Rücken kehrten, waren 155 000 Deutsche, ihr bevorzugtes Ziel war die Schweiz (24 624 Personen). Auf Platz zwei, drei und vier folgten die USA (13 446), Polen (12 049) und Österreich (11 818). Parallel dazu vermittelte die Bundesagentur für Arbeit mehr Deutsche ins Ausland – 2008 waren es 9413, 2009 schon 10 605. „Diesen Trend müssen wird brechen“, fordert Morath.

Für den Maschinenbau-Mann ist klar, was die Leute zum Wegzug treibt: die Steuern und die Bürokratie. Diese Einschätzung deckt sich mit einer Untersuchung, die das Prognos-Institut 2008 für das Bundeswirtschaftsministerium angestellt hat. Darin wurde untersucht, warum Fach- und Führungskräfte Deutschland den Rücken kehren. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der Befragten versprechen sich von der Auswanderung bessere Perspektiven für ihre Karriere und das Einkommen. Kritisiert wurden von den Befragten in der Studie besonders die hohen Belastungen durch Steuern, Abgaben und zu viel Bürokratie hierzulande. „An der Motivlage dürfte sich nichts geändert haben“, sagt Iris Pfeiffer, Leiterin der Studie bei Prognos heute.

Schlecht für Deutschland: Die meisten Auswanderer sind gut ausgebildete Menschen. „Jemand, der nicht Spitze ist, findet doch im Ausland sonst gar keinen Job“, heißt es bei der Gewerkschaft IG Metall. Auch in der Prognos-Studie konnten mehr als die Hälfte der Befragten einen Hochschulabschluss vorweisen, ein knappes Drittel verfügte über einen Doktor- oder sogar einen Professorentitel. Rund 21 Prozent arbeiteten in Berufen, die mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik zu tun haben – also genau in den Bereichen, in denen es bereits heute einen großen Mangel an Experten gibt.

Allerdings förderte die Studie auch Unterschiede zwischen den Motiven der Fach- und Führungskräfte auf der einen Seite und der Wissenschaftler auf der anderen Seite zutage. Erstere waren bereits in Deutschland beruflich erfolgreich, verdienten überdurchschnittlich gut und versprachen sich durch den Wegzug noch einmal bessere Lebensverhältnisse – durch weniger Steuern und ein höheres Einkommen. Die Wissenschaftler dagegen beklagten häufig eine schlechte Einkommens- und Beschäftigungssituation in Deutschland. Beide Gruppen erklärten aber, dass sie neben den materiellen Gründen auch deshalb aus dem Land verabschieden, weil sie von mehr Freiraum für Selbstverwirklichung träumten und von einer Gesellschaft mit einer optimistischeren Grundhaltung.

Ein weiteres Motiv für einen Wegzug kann auch die mangelnde Anerkennung und zu hohe Belastung sein, findet Eberhard Jüttner. Er ist Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands und klagt über die Situation des Pflege-Personals. „Jedes Jahr verlassen zig ausgebildete Pflegekräfte Deutschland, um in Skandinavien, Österreich oder der Schweiz zu arbeiten, was den Pflegenotstand in Deutschland verschärft“, sagt er. „Die Leute gehen, weil die Akzeptanz für ihre Beschäftigung in diesen Ländern schlicht viel höher und die Belastung wegen größerer Personalschlüssel nicht so gewaltig ist.“

Ein kleiner Trost: Die meisten Fachkräfte verlassen Deutschland nicht für immer. Laut Prognos kehren sie nach durchschnittlich sechs Jahren wieder zurück.

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