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Wirtschaft: Alan Greenspan: Die Stimme des Geldes

George Bush, der Vater des heutigen US-Präsidenten, hat nie ein Hehl daraus gemacht, wem er die Schuld für seine Wahlniederlage 1992 zuschreibt: Nicht dem Wähler, sondern Alan Greenspan, dem Präsidenten der Notenbank. "Ich denke, wenn die Leitzinsen dramatischer gesenkt worden wären, wäre ich wiedergewählt worden.

George Bush, der Vater des heutigen US-Präsidenten, hat nie ein Hehl daraus gemacht, wem er die Schuld für seine Wahlniederlage 1992 zuschreibt: Nicht dem Wähler, sondern Alan Greenspan, dem Präsidenten der Notenbank. "Ich denke, wenn die Leitzinsen dramatischer gesenkt worden wären, wäre ich wiedergewählt worden."

Starke Worte. Hat der Fed-Chef wirklich diese Macht? Das ist nicht die Frage. Entscheidend ist, dass alle Welt ihm solch machtvolle Wirkung zutraut. Auf das Wort von Greenspan hören nicht nur die Anleger an Wall Street. Auch die Politik in Washington nimmt die monatlichen Sitzungen des Offenmarktausschusses wichtiger als manche Kabinetts-Sitzung. Greenspan verkörpert ein Paradox: Einerseits gilt er vielen als die Allegorie für die Furcht, die Ökonomie dominiere die Politik. Zugleich ist er der personifizierte Widerspruch zum Verdacht, anonyme Kapitalströme fällten in Zeiten der Globalisierung das Urteil über Wachstum oder Rezession. Auch wenn heute niemand mehr glauben will, dass Männer Geschichte machen - bei Greenspan sind viele bereit, eine Ausnahme zuzulassen. Ein Mann wie Greenspan muss die Biographen locken. Doch das Unterfangen ist nicht leicht: Greenspans mutmaßliche Macht über Märkte und Menschen steht in keinem Verhältnis zur Dürftigkeit seiner Äußerungen. Nie hat er Interviews gegeben, weil jeder Hauch die Märkte bewegen könnte. Die wenigen Anekdoten über ihn sind alle vielmals erzählt: Dass er morgens regelmäßig einige Stunden in der Badewanne liegt und dabei Akten liest. Dass er sich lieber in Zahlen und Statistiken verbeißt als in ökonomische Theorien. Was sollte der amtierende Notenbankchef den Biographen darüber hinaus preis geben?

Bob Woodward gilt als Maestro des investigativen Journalismus. 1972 hat er als Reporter der Washington Post die Watergate Affaire enthüllt. Woodward hüllt sich in Schweigen über seine Informanten. "Dazu kann ich nichts sagen", antwortet er auf die Frage, ob er mit dem Meister selbst gesprochen habe. Doch alle Kenner der Washingtoner Szene sagen: Er hat. Woodward setzt mit guten Gründen 1987 ein, dem Jahr der Bestellung Greenspans zum Notenbankpräsidenten. Schon kurze Zeit später erlebte die Wall Street die Katastrophe; der Dow Jones fiel in der Woche des 12. Oktober um 235 Punkte, für damalige Verhältnisse ein Desaster. Weil der Kollaps des amerikanischen Finanzsystems drohte, versprach Greenspan, die Nationalbank werde als Liquiditätsquelle fungieren, um das Wirtschaftssystem zu stärken. Das wirkte als Vertrauenssignal - der entscheidende Unterschied zur Haltung der US-Politik im Jahr der großen Wirtschaftskrise 1929.

Woodward benötigt für Vor- und Nachgeschichte dieser Intervention fast hundert Seiten eines Porträts aus großer Nähe. Diese Detailstärke des Buches ist zugleich seine größte Schwäche: Es fehlt die Distanz. Woodward sieht zwar - wie viele andere -, dass Greenspans Handeln pragmatisch und nicht theoriegeleitet ist. Er sieht auch, dass der Fed-Chef häufig als Interventionist handelt. Mehr kritische Distanz zu seinem Gegenstand hätte aber zumindest zu der Frage führen können, ob Greenspan wegen oder trotz seiner undogmatischen Haltung faktisch so erfolgreich ist. Immerhin weisen Greenspans Kritiker darauf hin, dass die Hoffnung auf Intervention der Notenbank die Akteure der Finanzmärkte verführt, achtlos mit dem Risiko umzugehen. Und nicht erst nach dem Einbruch der Aktienbörsen in den vergangenen Monaten darf man fragen, warum der Fed-Chef in den 90er Jahren sehenden Auges mit niedrigen Zinsen die Spekulationsblase geduldet hat. Solche Themen kommen bei Woodward nicht vor.

Klarinettist an der Juilliard School

Diese Kritiker kommen auch in dem zweiten Porträt nicht vor, welches zeitlich mit Woodward erschienen ist: Justin Martin, ohne persönlichen Kontakt zu Greenspan recherchiert, füllt gleichwohl sehr anschaulich die biographische Lücke bis zur Berufung des Maestros in die Notenbank. Martin schreibt gefälliger als Woodward, er wurde auch liebevoller ins Deutsche übersetzt. Martin bietet zugleich eine Reihe köstlicher Details aus Greenspans Leben, die bislang nicht wirklich allgemein bekannt waren. Der Hinweis, dass der junge Greenspan an der Juilliard School in New York Klarinette studierte und einige Zeit in Jazz-Orchestern spielte, kann jedenfalls ein weiteres Licht auf die physiognomische Nähe zwischen Greenspan und Woody Allen werfen. Martin berichtet auch sehr ausführlich über Greenspans Prägung durch den großen Vorgänger Arthur Burns und durch den Kreis um Ayn Rand, jener Gruppe der sogenanten Objektivisten, die sich dem radikal-libertären Kapitalismus verschrieben hat.

Greenspans Vertrag läuft bis 2004. Dann wird er 78 Jahre alt sein. In Amerika gilt nach Wahlen die These: Der Sieger nimmt alles und wechselt die Administration komplett aus. Doch kein Präsident, ob Demokrat oder Konservativer, hat sich bisher an Alan Greenspan gewagt. "Ich wette, der bleibt, bis sie ihn raustragen." (Bill Clinton).

Rainer Hank

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