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Wirtschaft: Alfred Jack

(Geb. 1914)||Was für ein Glück: Laute Musik störte die Nachbarn nicht.

Was für ein Glück: Laute Musik störte die Nachbarn nicht. Vielleicht musiziert ein Mensch besonders dann sehr gern, wenn sein innerer Zustand übereinstimmt mit den äußeren Umständen: Eine Frau singt ein fröhliches Lied, den zärtlichen Brief ihres Geliebten in den Händen. Ein Mann spielt auf dem Klavier eine traurige Melodie, seine Angebetete schmiegt sich derweil an einen anderen.

Alfred Jack war glücklich.

An seiner Seite Yvonne, seine erste Frau, eine Schönheit, und Petra, die Tochter, der er die Welt zeigt. Die Fenster der Wohnung am Theodor-Heuss- Platz bleiben im Frühling und Sommer geöffnet, in die Zimmer dringen die Geräusche der Stadt, hinaus Stücke von Strawinski, Rachmaninov und Tschaikowski. Bevor die Familie die Wohnung bezieht, fragt man die Nachbarn, ob ihnen die Musik, auch laute, etwas ausmache. Die Nachbarn schütteln die Köpfe. Der mächtige Schiedmayerflügel wird das enge Treppenhaus hinaufgetragen. Und Alfred Jack spielt. Er spielt für seine Frau, für seine Tochter, für Gäste, die fast täglich kommen. Manchmal ist seine Frau müde – Alfred, sag’ doch heute die Einladung ab. Minuten später zieht sie ein frisches Kleid an, stellt Gläser auf den Tisch – gut, sollen sie kommen. Dann kann es sein, dass eine bunte Gruppe aus Bulgarien bis tief in die Nacht ihre Lieder singt.

An den Sonntagen bleibt es still. Nur Alfred sitzt am Flügel, folgt der Musik in seinem Kopf. Die Tochter schleicht hinter die Tür und hört zu, hört mit offenem Mund und geröteten Wangen das empfindsame Spiel, das die Seele des Vaters zu offenbaren scheint.

Das erste Konzert gibt Alfred Jack mit sechs Jahren. Die Musiklehrerin lobt – Alfred, toll hast du geübt. – Keinen Handschlag habe ich gemacht, gnädige Frau.

Ist das der Hochmut eines begabten Kindes? Nein. Vielmehr Ausdruck eines Talentes, dem der Ehrgeiz fehlt. Es könnte ein Konzertpianist aus Alfred Jack werden. Doch liegt ihm an Ruhm nicht genug, nimmt er sich selbst zu wenig wichtig. Es wundert ihn, wenn die Leute sich aufblähen, eitel und ohne einen Funken Humor: An einem sonnigen Nachmittag 1962 sitzt Alfred Jack mit Frau und Tochter im Café Kranzler. Man hat die Tische und Stühle auf den Bürgersteig gestellt, jeder Platz ist besetzt. Die Leute zeigen sich, plaudern, essen Torte. Plötzlich springt Alfred auf, läuft zur Straßenecke, rudert mit den Armen, ruft: Hallo! Und wartet. Nichts geschieht. Dann geht er zurück zu seinem Tisch, reißt erstaunt die Augen auf – Das gibt es doch nicht. Dass ich euch noch einmal wiedersehe. Die feinen Damen verziehen die Münder, rufen den Kellner – Wir zahlen, sofort, man weiß ja nie, wozu so ein Verrückter sonst noch fähig ist. Der Verrückte lächelt freundlich.

1948 wird Alfred Jack Leiter der Abteilung Tanzmusik beim Berliner Rundfunk, ab 1955 beim SFB. Er organisiert Musikveranstaltungen im Großen Sendesaal, holt Jacqueline Boyet und Vico Torriani in die Stadt. Er arbeitet mit Paul Kuhn und Wolfgang Gruner. Er organisiert erste Aufnahmen mit Udo Jürgens, damals noch Jürgen Bockelmann, und schlägt ihm vor, einen besseren Namen zu suchen. Und er komponiert. Es war einmal eine Liebe. Die Uhr am Bahnhof Zoo. Lieder, die jeder summen kann, die Jungen auf der Straße, die Damen im Café Kranzler. Tanzmusik, mit der er Geld verdient. Zu Hause spielt er Mozart, später Jazz und Rachmaninov.

Alfred Jack spricht Russisch, hat mit seiner Mutter immer nur Russisch gesprochen, die wie er in St. Petersburg geboren wurde, hinein in eine Familie, in der die Teppiche in den Salons so dick waren, dass die Füße darin versanken. 1917 fliehen Mutter und Sohn.

1979 fährt Alfred Jack zusammen mit seiner Tochter noch einmal nach St. Petersburg, findet eine Cousine, die altes Konfekt und Krimsekt auf den Tisch stellt, ihm mit ihrer kleinen runzeligen Hand über die Wange streicht, weint.

Zurück in Berlin, setzt er sich an den Flügel und spielt, spielt so intensiv, dass die, die es hören, augenblicklich verstummen.

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