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Wut: Demonstranten zeigen auf ihren Protesttafeln, in welchen Rollen sie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den portugiesischen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho sehen. Foto: picture alliance/dpa

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Wirtschaft: Am Rande der Armut

Portugal hat harte Sparmaßnahmen beschlossen und weitere werden folgen. Die Bevölkerung protestiert.

Er stemmt sich mit aller Kraft dagegen, mit Griechenland in einen Topf geworfen zu werden. „Portugal ist nicht Griechenland“, poltert Pedro Passos Coelho, der konservative portugiesische Ministerpräsident, immer wieder. Und er weist energisch Befürchtungen zurück, dass auch sein Land bald ein weiteres milliardenschweres Rettungspaket, vielleicht sogar einen Schuldenschnitt brauchen könnte. Der bisherige Notkredit über 78 Milliarden Euro des Rettungsfonds reicht bis zum Jahr 2013, dann muss das EU- Land wieder auf eigenen Beinen stehen – oder bei seinen europäischen Nachbarn um einen Nachschlag betteln. „Wir werden weder um mehr Geld bitten“, sagt Passos Coelho, noch um mehr Zeit für die Sanierung des Schuldenberges. Der abgestorbene Wirtschaftsmotor werde schon wieder anspringen und den Karren aus dem Dreck ziehen.

Die Prüfer der Troika, die sich aus Experten der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds zusammensetzt, zeigen sich ebenfalls angetan von Passos Coelhos Krisenmanagement, loben den sparwilligen Portugiesen sogar als Musterschüler. Obwohl unabhängige Analysten glauben, dass Portugals Drama schöngerechnet wird, um einer griechischen Tragödie vorzubeugen.

Doch die elf Millionen Portugiesen sind nicht sehr optimistisch, dass Portugal seine tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise bald überwinden kann. Tausende junge Menschen packen ihre Koffer und flüchten ins Ausland. Mehr als ein Drittel aller Portugiesen unter 25 Jahren sind ohne Job, die Gesamtarbeitslosigkeit lag Ende 2011 bei 14 Prozent – so hoch wie noch nie seit Aufblühen der Demokratie, die 1976 mit der Nelkenrevolution ihre Chance bekam. Allein 110 000 Akademiker stehen auf Straße, viele suchen ihr Glück in der früheren und heute boomenden Kolonie Brasilien.

Doch es gibt kleine Lichtblicke: den Tourismus etwa, der immerhin gut ein Zehntel der Wirtschaftsleistung ausmacht und im vergangenen Jahr um satte neun Prozent wuchs. Dies dürfte auch 2012 weitergehen, zumal die Stadt Guimaraes, rund 360 Kilometer nördlich von Lissabon, in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt ist. Aber auch der Tourismusboom kann nicht verhindern, dass Portugals Wirtschaft abstürzt: 2011 schrumpfte die nationale Ökonomie um 1,6 Prozent, wie die Statistikbehörde am Freitag mitteilte. Investoren ziehen ihr Kapital ab, allein die Investitionen gingen um ein Siebtel zurück. Für 2012 wird ein weiteres Minus von wenigstens drei Prozent vorausgesagt. Das äußerst harte Sparprogramm, welches Passos Coelho mit der Troika aushandelte und das von einer breiten Mehrheit im Parlament getragen wird, verringerte zwar die Neuschulden: 2011 konnten sie von 9,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf annähernd sechs Prozent gedrückt werden.

Doch zugleich leidet die Konjunktur unter den Sparprogrammen: Der Staat investiert nicht mehr, und die Bürger haben nach Steuererhöhungen, Lohn- sowie Rentenkürzungen und dem Wegfall sozialer Leistungen deutlich weniger Geld in der Tasche. Deshalb gingen die Investitionen 2011 um ein Siebtel zurück. „Wir müssen den Strick durchschneiden, der sich um unseren Hals zieht“, fordert Armenio Carlos, der Boss von Portugals größter Gewerkschaft CGTP.

Mitte Februar waren hunderttausende Portugiesen seinem Aufruf gefolgt, um in der Hauptstadt Lissabon gegen „Ausbeutung und Verarmung“ zu demonstrieren. Das Rettungsprogramm von Regierung und Troika, rief Carlos den Massen zu, sei „gut für die Darlehensgeber, gut für die Banken, aber schlecht für die Arbeiter, für die Jungen, für die mehr als zwei Millionen Portugiesen am Rande der Armut“. Seine Worte wurden mit brandendem Applaus beantwortet. Auch wenn in Portugal bisher keine Barrikaden brennen: Die Stimmung im Volk, das in Sachen Einkommen ohnehin schon zu den ärmsten Europas zählt, wird immer gereizter. So sehr, dass der frühere Bischof der Stadt Setubal, Manuel Martins, schon düster davor warnte, in Portugal werde noch „viel Blut fließen“.

Wenn die Pessimisten recht behalten, könnte es für Portugal noch sehr viel schlimmer kommen. An den Finanzmärkten festigt sich die Meinung, dass Portugal spätestens 2013 einen weiteren Rettungskredit brauchen wird. Die Ratingagenturen gehen davon aus, dass Portugal „wahrscheinlich“ nicht in der Lage sein wird, sich wie geplant von 2014 an wieder allein zu finanzieren. Wegen des geringen Vertrauens in eine Erholung setzten die Finanzagenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch die Kreditwürdigkeit Portugals bereits auf Ramschniveau. Vor allem die explodierende Gesamtverschuldung bereitet Sorgen. Sie stieg 2011 rasant von 93 Prozent des BIP auf mehr als 110 Prozent. Wegen der Zweifel an Portugals Überlebensfähigkeit werden langfristige portugiesische Anleihen zu hohen Zinsen gehandelt, die Angst vor einem Schuldenschnitt wie in Griechenland trieb zehnjährige Titel am Freitag auf mehr als 14 Prozent.

Zu diesen Bedingungen wird sich Portugal, wenn der erste Rettungskredit aufgezehrt ist, kaum an den Finanzmärkten frisches Geld besorgen können. Mit einem zweiten Notkredit, der intern bereits auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt wird, kommen neue Sparbeschlüsse auf die Portugiesen zu. Sie müssen jetzt schon den Gürtel sehr eng schnallen: Die Mehrwertsteuer wurde auf 23 Prozent erhöht, auch die Einkommensteuer stieg. Alle größeren Autobahnen wurden mautpflichtig, Beamtenlöhne und Renten gekürzt, Ausgaben für Bildung und soziale Leistungen gestutzt, Zuzahlungen für Arztbesuche und Medikamente stiegen. Ein Horrorkatalog, den sogar Regierungschef Passos Coelho als „Albtraum“ bezeichnete.

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