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Wut im Bauch. Statt Päckchen zu packen, streikten die Mitarbeiter bei Amazon am Dienstag. Sie wollen mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen.

© dpa

Amazonbeschäftigte streiken: Streit mit Goliath

Die Beschäftigten von Amazon fordern mehr Lohn. Doch der Onlineversandhändler will – oder kann – sich das nicht leisten. Zwar macht Amazon Milliarden-Umsätze, aber der Gewinn sinkt aufgrund hoher Logistikkosten.

Von Carla Neuhaus

„Bekomme ich mehr Lohn, bestell’ ich was bei Amazon“ steht auf dem selbst gemalten Schild, das sich einer der Streikenden an diesem  Dienstagmorgen umgehängt hat. Mit selbstironischen Sprüchen wie diesen demonstrieren 1100 Mitarbeiter des weltweit größten Onlinehändlers in Bad Hersfeld und 600 in Leipzig für mehr Lohn.

Derzeit verdient ein Angestellter 9,83 Euro brutto die Stunde als Einstiegsgehalt, wenn er bei Amazon Pakete schnürt. Genug, sagt der Versandhändler und verweist auf den Durchschnittslohn der Logistikbranche. Zu wenig, sagt die Gewerkschaft und fordert 12,18 Euro die Stunde, wie es im Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel steht.

Nur in einem Punkt sind sich Amazon und Verdi einig: Eine schnelle Einigung wird es nicht geben. „Wir stellen uns auf eine längere Auseinandersetzung ein“, sagt Verdi-Streikleiter Heiner Reimann. Bei Amazon heißt es: „In den vergangenen Monaten haben wir eine Reihe von informellen Gesprächen mit Verdi geführt. Obgleich wir bereit sind, diese Gespräche fortzusetzen, sehen wir im Moment keine gemeinsame Basis für Verhandlungen.“

Reimann sagt, dieses Verhalten sei typisch für Amazon. „Sie sind immer bereit, Gespräche zu führen, aber am Ende kommt nichts dabei rum.“

Bei dem Streik geht es deshalb um mehr als die Frage, welche Summe am Monatsende auf der Gehaltsabrechnung steht. Die Gewerkschaft will Macht demonstrieren, zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lässt – vor allem nicht die schlechten Arbeitsbedingungen.

Für die ist Amazon in der Vergangenheit mehrfach scharf kritisiert worden. Zuletzt hatte die ARD in einer Fernsehreportage aufgedeckt, dass der Versandhändler im großen Stil Leiharbeiter etwa aus Polen, Ungarn, Spanien und Rumänien eingesetzt hat. Einem Sicherheitsdienst, der die Wanderarbeiter bewusst schikaniert haben soll, hatte Amazon als Folge gekündigt.

Wenn man Gewerkschafter Reimann glaubt, ist das aber längst nicht alles. Die 9000 Mitarbeiter, die deutschlandweit in neun Amazon-Logistikzentren arbeiten, würden systematisch überwacht – und zwar mithilfe eines Scanners. Mit dem müssen die Angestellten jeden Karton und jedes Teil, dass sie einpacken, scannen. Allerdings erfasst das Gerät auch jeden Weg, den ein Mitarbeiter im Werk zurücklegt. Dadurch weiß Amazon sogar, wie viele Minuten sich ein Mitarbeiter in den Waschräumen aufhält, sagt Reimann. „Vor kurzem hat ein Abteilungsleiter die Ansage gemacht, seine Mitarbeiter dürften nur noch fünf Minuten auf der Toilette bleiben“, erzählt der Gewerkschaftler. Diese Vorgabe wurde mittlerweile aber wieder zurückgenommen.

Anders als Reimann hält es Thomas Roeb, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, nur für logisch, dass Amazon über jeden Schritt der Mitarbeiter wacht. „Es geht um Rationalisierung“, sagt er. Und die sei dringend nötig. Denn Amazons Hauptproblem seien die hohen Logistikkosten. Nur in wenigen Produktkategorien wie bei Büchern rechne es sich, die Produkte zu verschicken.

Zwar macht Amazon immense Umsätze – im vergangenen Jahr waren es allein in Deutschland 6,5 Milliarden Euro –, seine Marktmacht gründet er aber vor allem auf Kampfpreise. So ging der Gewinn im ersten Quartal 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 37 Prozent auf 63 Millionen Dollar zurück.

„Wenn jetzt die Gewerkschaft deutlich höhere Löhne fordert, wird das das Geschäftsmodell von Amazon weiter einschränken“, sagt Roeb. Der Verkauf und Versand von Waren wie niedrigpreisigen Elektrogeräten würde sich dann erst recht nicht mehr lohnen. „Diese Produkte könnte Amazon dann nicht mehr anbieten“, sagt Roeb. Die Alternative: Amazon baut die Automatisierung weiter aus. Dafür spricht, dass der Händler im vergangenen Jahr Kiva Systems gekauft hat, einen Hersteller von Lagerrobotern. Roboter statt Angestellte – das dürfte der Gewerkschaft allerdings noch weniger gefallen.

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