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Wirtschaft: Andreas Meyer-Hanno Geb. 1932

(Sein)||halbes Leben lang musste er sich verstecken.

halbes Leben lang musste er sich verstecken. Wenn bei Schützens noch Licht brannte, wussten Walter und er, was zu tun war: Noch eine Runde um die Häuser drehen, noch ein Bier in der Kneipe trinken. Erst wenn die Hausbesitzer zu Bett gegangen waren und das Licht ausgeschaltet hatten, konnten sie es wagen: Leise schloss Andreas Meyer-Hanno die Tür auf, im gleichen Schritt schlich er mit Walter die knarrende Treppe hinauf. Sollten die Schützens trotz vorgerückter Stunde lauschen, sollten sie den Eindruck haben, da gehe nur einer nach oben. In der Mansardenwohnung angekommen, konnten die beiden endlich tun, wonach ihnen schon seit Stunden der Sinn stand.

Andreas Meyer-Hanno und sein Freund Walter liebten sich in den fünfziger Jahren. Damals war das, was sie in der Mansardenwohnung trieben, nicht nur tabu, es war verboten. Der Paragraf 175 stellte in der Bundesrepublik sämtliche homosexuellen Handlungen unter Strafe. Das war einer jener Paragrafen, die die Nazis verschärft hatten, und die in genau dieser Fassung in das Strafgesetzbuch des freiheitlichen Rechtsstaats übernommen worden waren. Zwar waren Homosexuelle nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr an Leib und Leben bedroht, aber eine Verurteilung nach dem Paragrafen 175 reichte aus, um ihre bürgerliche Existenz gründlich zu ruinieren.

So erklärte sich auch die Hektik an einem Sonntagmorgen im Herbst 1957. Die beiden Männer lagen noch im Bett, als Herr Schütze im Hausflur polterte und sich über das Laub aufregte, das ein Mieter mit ins Haus getragen haben musste. Walter sprang auf und stieg hastig in seine Sachen. Die Flucht über die Treppe war unmöglich, blieb nur das kleine Dachfenster. Walter hielt sich draußen am Fenstersims fest, während Andreas Meyer-Hanno die Tür öffnete, um sich die Beschwerde des Vermieters geduldig anzuhören. Fünf Minuten dauerte das, vielleicht länger. Danach half er seinem Freund wieder ins Zimmer.

Die Geschichten seines Versteckspiels hat Andreas Meyer-Hanno oft erzählt. Vor jungen Schwulen in ihren Coming-Out-Gruppen, vor interessierten Senioren beim Fortbildungskurs. Er konnte anschaulich erzählen, ohne Bitterkeit und Gram.

Dabei hatte er schon Erfahrungen im Verstecken sammeln müssen, bevor er wusste, dass er schwul war. Fast die gesamte Zeit des Dritten Reichs hatte er zusammen mit seiner jüdischen Mutter in Berlin im Untergrund verbracht. Sie überlebten die fürchterlichen Jahre – seinem Vater gelang das nicht. Hans Meyer-Hanno war Schauspieler und Kommunist. Er leistete Widerstand gegen die Nazis und wurde 1944 verhaftet. Kurz vor Ende des Krieges brachten sie ihn im Gefängnis Bautzen um.

Anfang der siebziger Jahren war Andreas Meyer-Hanno das Versteckspiel als Schwuler leid, er wollte dieses Leben nicht mehr, das bestimmt war von der Angst und der ständigen Bedrohung. Inzwischen arbeitete er als Opernregisseur, und endlich entschloss er sich zur Offensive. In den ersten Schwulengruppen in Braunschweig und Frankfurt (Main) engagierte er sich. 1991 gründete er aus seinem Privatvermögen die „Hannchen-Mehrzweck-Stiftung“. Hannchen – das war sein Spitzname. Die Stiftung unterstützte Gruppen, die sich für die Emanzipation Homosexueller einsetzten.

1994 wurde der – inzwischen abgeschwächte – Paragraf 175 ganz gestrichen. Natürlich hat ihn das gefreut. Der Homo-Ehe stand er aber bis zuletzt skeptisch gegenüber. Diesen staatlichen Segen, sagte er, hätten sie nicht gebraucht.

Seine Beziehung zu Walter endete, als Meyer-Hanno als Oberspielleiter an die Oper Karlsruhe wechselte. Ihre Zuneigung endete aber nie. Bis zuletzt besuchte er Walter in dessen Altersheim im Rheinland.

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