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Wirtschaft: Angst vor einer Wirtschaftskrise

STOCKHOLM ."Schluß mit den Verrücktheiten oder tretet zurück!

STOCKHOLM ."Schluß mit den Verrücktheiten oder tretet zurück!" So reagierte eine norwegische Zeitung dieser Tage auf das Unvermögen der Minderheitsregierung in Oslo, die in den vergangenen Wochen immer deutlicher zu Tage getretene politische und wirtschaftliche Krise zu meistern.Dramatisch fallende Börsenkurse, Währungsschwäche und Überhitzungstendenzen konnte niemand übersehen.Doch die bürgerliche Regierung von Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik blieb tatenlos.Ausgelöst durch den rapiden Fall der Ölpreise hat die norwegische Krone ihren niedrigsten Stand seit Anfang der 90er Jahre erreicht.Als zweitgrößter Ölexporteur der Welt ist die Krone besonders anfällig für Schwankungen auf dem Ölmarkt.Aber es sind nicht nur die geringeren Einnahmen aus der Ölförderung, sondern vor allem die instabile politische Lage, die das Land nun an den Rand einer ernsten Krise geführt haben.Die Koalition, die gerade über ein Viertel aller Parlamentssitze verfügt, hat allergrößte Probleme, eine ernsthafte Finanz- und Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Deshalb mußte die Zentralbank einen Teil der Aufgaben übernehmen.Am Montag dieser Woche griff sie bereits zum siebten Mal in diesem Jahr ein und erhöhte den Leitzins.Jetzt liegt der Ausleihezins bei zehn, der Einlagensatz bei acht Prozent.Das sind gut 4,5 Prozent mehr als zu Beginn des Jahres.Blickten damals die europäischen Finanzminister noch neidvoll auf das skandinavische Land, in dem Arbeitslosigkeit ein Fremdwort war, so sehen sich die Norweger heute einer ganz anderen Realität gegenüber."Für viele Hausbesitzer ist jetzt die Grenze erreicht", meint Tor Arne Lorentzen von der Narvik Bank.Die Hypothekenzinsen, die im Januar bei knapp über fünf Prozent lagen, betragen jetzt nahezu zehn Prozent.Nun werden viele die monatlichen Raten nicht mehr aufbringen können.

Als der Christdemokrat Kjell Magne Bondevik im Herbst vergangenen Jahres den Sozialdemokraten Thorbjörn Jagland als Ministerpräsidenten ablöste, ging durch Norwegen ein Ruck.Der Pfarrer Bondevik ließ keine Gelegenheit aus, um über Moral und Ethik auch und vor allem in Politik und Wirtschaft zu predigen.Die Jagd nach dem schnöden Mammon müsse ein Ende haben, so der neue Premier.Viele Norweger empfanden das als ein erfrischendes, weil ungewohntes neues Moment in der Innenpolitik.Der neue Mann kam an.Zusammen mit den Liberalen und der bäuerlichen Zentrumspartei bildete Bondevik eine Minderheitsregierung.Den ersten Haushalt bekam er nach Verhandlungen mit den Konservativen und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei im Parlament durch.

Doch schon damals, im Herbst, zeigte sich, daß Bondeviks Kabinett auf Grund fehlender Mehrheit praktisch keine eigene Politik betreiben konnte.Forderungen des rechten Parteienspektrums oder der Sozialdemokraten mußten erfüllt werden, damit die Vorlagen auch abgezeichnet werden konnten.Die bürgerliche Koalition hatte die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, die Renten und das Kindergeld zu erhöhen, die Finanzierung schien über die Öleinnahmen gesichert.Das ging auch eine Weile gut.Mit einer Tagesförderung von 3,1 Mill.Barrel ist Norwegen nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Ölexporteur der Welt.Und bei einem relativ hohen Ölpreis sprudelten die Kronen in die norwegische Staatskasse.Bereits seit drei Jahren verzeichnet das Land einen Haushaltsüberschuß.Und um den Wohlstand für kommende Generationen auch nach dem Versiegen der Öl- und Gasquellen zu sichern, wurden bislang umgerechnet 27,7 Mrd.DM in einem Ölfonds gesammelt.

Allerdings warnten schon kurz nach dem Regierungswechsel Ökonomen vor den Gefahren einer Überhitzung der Wirtschaft.Sie behielten recht: Im Frühjahr lösten sich Streiks nahezu ab, Tarifabschlüsse von bis zu acht Prozent waren keine Seltenheit.Gleichzeitig meldeten Autohäuser Umsatzrekorde, die Immobilienpreise stiegen in schwindelerregende Höhen.Ein Bauboom führte dazu, daß Norwegen Arbeitskräfte aus den Nachbarländern anlockte.Auch Schulen und Krankenhäuser warben in Dänemark, Schweden und Polen um qualifiziertes Personal.Die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,6 Prozent, die Inflation ist mittlerweile aber auf 2,4 Prozent gestiegen.Noch wächst die Wirtschaft mit vier Prozent im zweiten Quartal kräftig, für das Gesamtjahr 1998 rechnet man mit 3,2 Prozent und für 1999 mit 3,1 Prozent.Obwohl Premier Bondevik einen "stabilen Kronenkurs" verspricht, muß sich die Regierung harsche Kritik anhören.Nicht nur die Opposition bemängelt, daß die Überhitzungstendenzen nicht ernst genommen worden seien.Im Oktober will das Kabinett den Haushalt präsentieren.Restad hat Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen als Dämpfungsmaßnahmen angekündigt.Angesichts der Mehrheitsverhältnisse werden bis dahin spannende Wochen vergehen.Ein Rücktritt der Regierung ist nicht ausgeschlossen.

HELMUT STEUER (HB)

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