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Wirtschaft: Appell für einen Kurswechsel der IG Metall

DÜSSELDORF (huh/HB). Der Produktivitätsfortschritt hat nicht zwangsläufig den Sinn, die Einkommen zu erhöhen, sondern sollte im globalen Wettbewerb auch die Unternehmen konkurrenzfähig halten.

DÜSSELDORF (huh/HB). Der Produktivitätsfortschritt hat nicht zwangsläufig den Sinn, die Einkommen zu erhöhen, sondern sollte im globalen Wettbewerb auch die Unternehmen konkurrenzfähig halten. Mit diesem Appell hat sich Harald Schartau, Leiter des größten IG-Metall-Bezirks Nordrhein-Westfalen, in den Streit über eine beschäftigungsfördernde Tarifpolitik eingeschaltet. Werde der Produktivitätsgewinn eines Unternehmens ausschließlich zur Erhöhung der Einkommen verwendet, trage dies dazu bei, dass sich die Wettbewerbsposition des Unternehmens verschlechtere, sagte Schartau im Gespräch mit dem Handelsblatt. Welchen Anteil man für die Löhne verwende und welchen für den Konkurrenzvorteil, das müsse das Thema von Tarifverhandlungen sein. "Ich glaube, dass wir hier in der gewerkschaftlichen Doktrin ein Stück pragmatischer sein müssen", empfahl der Bezirkschef, der als Vorbild die niederländischen Gewerkschaften nannte.Zugleich wies er den Vorwurf des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall zurück, die IG Metall habe mit Lohnabschlüssen über der Produktivität den Beschäftigungsabbau in der Metallindustrie zu verantworten. Die Gewerkschaft orientiere sich bei ihren Tarifverhandlungen an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, die in der Regel unter derjenigen der Metallindustrie liege. "Wir haben uns konform verhalten", sagte Schartau mit Blick auf das Grundsatzpapier der Spitzenverbände von Arbeitgebern (BDA) und Gewerkschaften (DGB) zum Bündnis für Arbeit. Dort heißt es unter anderem: "Produktivitätssteigerungen sollen vorrangig der Beschäftigungsförderung dienen."Für den Aufbau zusätzlicher Stellen genüge es nicht, einen Teil des Produktivitätsfortschritts den Unternehmen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition zu belassen. Es gelte allenfalls: "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen, damit die verbliebenen Arbeitsplätze übermorgen überhaupt noch existieren", wandelte Schartau einen Slogan der Arbeitgeber ab. Deshalb sei es richtig, das Produktivitätsplus auch gezielt in zusätzliche Beschäftigung umzuwandeln. Schartau nannte als Beispiele den Abbau von Überstunden und die Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch vorzeitigen Ruhestand. Dies müssten zentrale Punkte der im September beginnenden Gespräche mit Gesamtmetall sein. Die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie hatten sich darauf verständigt, ab September über die tarifvertragliche Umsetzung des BDA/DGB-Papiers zu verhandeln.Schartau warnte, wer die Überstunden einer Branche nur zusammenzähle und daraus das Potenzial neuer Jobs ableite, der mache es sich zu leicht. "Erst müssen einige praktische Hindernisse überwunden werden, damit der erhoffte Beschäftigungsaufbau kein Phantom bleibt." So könnten die Überstunden mehrerer Mitarbeiter nicht einfach zu einer neuen Stelle addiert werden. Auch könne ein Unternehmen nicht irgendjemanden einstellen, sondern die Person müsse die erforderliche Qualifikation mitbringen. Schartau sprach sich dafür aus, bei schwankendem Anfall von Mehrarbeit auf Beschäftigte von Zeitarbeitsfirmen zurückzugreifen. "Überstunden sind in vielen Fällen nicht planbar, und sie können nicht immer durch dauerhafte Neueinstellungen ersetzt werden." Die IG Metall habe erkannt, dass Zeitarbeit nicht länger nur als unsoziale Beschäftigungsform disqualifiziert werden dürfe. Der Bezirksvorsitzende äußerte sich skeptisch, dass es gelingen werde, alle Überstunden in der Metall- und Elektroindustrie in Freizeit umzuwandeln. Die Haltung der Beschäftigten dazu sei sehr gespalten. Viele hätten ein großes Interesse an der Ausbezahlung und lehnten einen Freizeitausgleich ab. "Viele Leute haben die Überstunden fest bei ihren Ausgaben eingeplant."Beim vorzeitigen Ruhestand werde es in den Gesprächen mit den Metallarbeitgebern darauf ankommen, einen Finanzierungsweg für die riesigen Ausgleichsbeträge zu finden, die nötig seien, um die Rentenabschläge zumindest teilweise auszugleichen. Denkbar sei ein Fonds, der gespeist werde aus Geld, das sonst für eine Tariferhöhung zur Verfügung stehe. Kurzfristige Beschäftigungserfolge seien nur zu erreichen, wenn dieser Fonds wie die gesetzliche Rentenversicherung umlagefinanziert werde, so Schartau. Anders könne man den Arbeitnehmern mit 60 in absehbarer Zeit keine angemessene Rente garantieren. Über die Kosten müsse die IG Metall mit Gesamtmetall nüchtern sprechen. "Die Arbeitgeber werden uns da sicherlich einige unangenehme Rechnungen vorlegen", ahnt der Gewerkschafter.Viel verspricht sich Schartau vom Plan des Bundesarbeitsministers Walter Riester zu einer kapitalgedeckten Zusatzvorsorge. Sie sei dringend erforderlich, da die gesetzliche Rente in Zukunft immer weniger zur Finanzierung des Ruhestands ausreichen werde. Der Bezirkschef der IG Metall ist optimistisch, dass Riesters Vorhaben von den Tarifparteien im Bündnis für Arbeit umgesetzt wird: "Alle Sensoren der Tarifpolitik zeigen, dass das Problem erkannt ist."Schartau verwies in diesem Zusammenhang auf die Umwandlung von vermögenswirksamen Leistungen oder Einmalzahlungen wie Weihnachtsgeld in Beiträge zu einer zusätzlichen Altersversorgung, auf die Renaissance der Betriebsrente und auf die Diskussion um Arbeitszeitkonten für früheren Rentenbeginn. Im Forderungskatalog der Gewerkschaften werde die Alterssicherung eine zunehmende Rolle spielen. Riesters Modell sieht die zwangsweise Finanzierung der Zusatzrente allein durch die Arbeitnehmer vor, was von der IG Metall als unzumutbar zurückgewiesen wurde. Schartaus Einschätzung: Solange die Zusatzvorsorge freiwillig geschehe, sei gegen ihre alleinige Finanzierung durch die Arbeitnehmer nichts einzuwenden. "Wer sich mit Mitte 50 seine Rentenansprüche ausrechnen lässt, bekommt einen Schreck", so Schartau. Es gehe darum, den Beschäftigten einen attraktiven Weg aufzuzeigen, wie sie mit einem Teil ihres Einkommens eine zusätzliche Alterssicherung aufbauen könnten. "Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Großteil der Leute das macht."Die Forderung von Gesamtmetall, einen Teil der Einkommenserhöhung ertragsabhängig nach oben und unten schwanken zu lassen, lehnt Schartau dagegen entschieden ab. "Wir wollen unsere ökonomische Macht nutzen, um bei Tarifverhandlungen das Beste für unsere Mitglieder herauszuholen." Die IG Metall werde deshalb keinen Abschluss akzeptieren, der dann im Betrieb anders verarbeitet werden könne. "Beim Geld ist eine Differenzierung auf Betriebsebene nicht drin."

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