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Arbeitgeber fordern Tarifpolitik mit Augenmass

© ddp

Arbeitgeberpräsident Hundt: "Es muss nachhaltig gewirtschaftet werden"

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über Kritik am Kapitalismus, die Kreditklemme und schärfere Regeln für den Finanzmarkt.

UNTERNEHMER

Dieter Hundt, 1938 in Esslingen am Neckar geboren,  begann nach dem Maschinenbaustudium bei AEG Telefunken in Frankfurt am Main. 1975 wurde er geschäftsführender Gesellschafter des Autozulieferers Allgaier Werke in Uhingen. Erst Anfang 2003, also nach 33 Jahren an der Spitze, zog sich Hundt aus der Geschäftsleitung des inzwischen 1700 Mitarbeiter zählenden Unternehmens zurück und wechselte in den Aufsichtsrat.

FUNKTIONÄR

Seit Mitte der 80er Jahre engagiert sich Hundt im baden-württembergischen Metallarbeitgeberverband. An wegweisenden Tarifrunden, unter anderem zur Einführung der 35-Stunden-Woche, war er entscheidend beteiligt. 1996 wurde Hundt Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Im Herbst wird er voraussichtlich für weitere zwei Jahre im Amt bestätigt. Hundt nimmt zahlreiche Ehrenämter wahr, unter anderem ist er Aufsichtsratschef des VfB Stuttgart.

Herr Hundt, Sie haben die Befürchtung geäußert, dass „manche Gruppierungen in dieser Gesellschaft die Krise nutzen, um die Balance zwischen Staat und Wirtschaft zu verschieben“. Die Banken?

Nein, das war politisch gemeint. Es geht um links angesiedelte Gruppierungen in den Parteien oder linke Parteien. Aber die Befürworter einer Staatswirtschaft sind ja nicht sehr erfolgreich, wie die Europawahl gezeigt hat.

Dann geht es mit dem Turbokapitalismus nach der Krise weiter wie gehabt?

Nein. Die Menschen setzen offenbar auf wirtschaftliche Kompetenz und soziale Verantwortung.

Kritik am grenzenlosen Kapitalismus ist kaum zu hören. Liegt das daran, dass zu viele beteiligt waren – vom Kleinanleger über den Manager bis zum Politiker mit bankrotter Landesbank am Bein?

Ich nehme das anders wahr. An einem zügellosen, verantwortungslosen Kapitalismus wird deutlich Kritik geübt. Und es besteht Einigkeit darüber, dass es Grenzen innerhalb eines freiheitlichen Ordnungsrahmens geben und langfristig und nachhaltig gewirtschaftet werden muss.

Das war aber nicht das vorherrschende Modell der vergangenen 15 Jahre.

In der Finanzindustrie gab es zweifellos Fehlentwicklungen. Künftig muss das durch stärkere Regulierung und bessere Aufsicht verhindert werden. Aktuell ist aber vor allem bedrohlich, wie diese Fehlentwicklungen der Finanzindustrie auf die reale Wirtschaft durchschlagen, weil eine Kreditklemme droht.

Die Banken bestreiten das.

Kredite zu erhalten ist schwieriger geworden und teurer. Es gibt – zumindest derzeit – noch keine generelle Kreditklemme, aber es gibt eine massive Krediterschwernis.

Wie sieht die aus?

Banken, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten, wollen jetzt zusätzliche Informationen, Prognosen und Businesspläne. Bislang waren Jahresplanungen ausreichend, jetzt werden sogar Mehrjahrespläne verlangt. Das kann aber niemand derzeit seriös vorhersagen. Alles in allem gibt es sehr viel mehr Bürokratie und die Konditionen haben sich erheblich verteuert.

Geht es konkreter?

Kredite werden vor allem im längerfristigen Bereich trotz sinkender Leitzinsen immer teurer.

Wie passt das zusammen mit den historisch niedrigen Zinsen der Zentralbanken?

In der Tat gibt die Bundesbank Milliardenkredite mit einem Zinssatz von einem Prozent an die Banken. Die Banken geben das aber nicht weiter an die reale Wirtschaft. Stattdessen werden offenbar zum Teil bereits wieder in erheblichem Umfang Kreditersatzgeschäfte getätigt, um die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das darf nicht sein. Offenbar haben nicht alle aus der Krise gelernt.

Muss Vater Staat nachhelfen?

Ich bin grundsätzlich gegen staatliche Eingriffe, wenn es nicht unbedingt sein muss. Es ist auch fraglich, ob der Staat hier helfen kann.

Waren die Briten und Amerikaner nicht besser beraten, indem sie sich direkt an den in Not geratenen Banken beteiligten und dann auch Einfluss auf deren Geschäftspolitik nehmen können?

Ich halte das grundsätzlich nicht für richtig und wünschenswert. In der aktuellen Situation müssen möglicherweise aber neue Wege überlegt werden. Wenn sich die derzeitigen Krediterschwernisse in den nächsten Monaten zu einer breiten Kreditklemme entwickeln, muss über neue Möglichkeiten unter Einschaltung der Bundesbank und anderer staatlicher Einrichtungen diskutiert werden.

Bei dem neuen Großinstitut Commerzbank/Dresdner Bank, das sich als Mittelstandsbank definieren möchte, ist der Staat beteiligt. Wie läuft da die Kreditvergabe?

Nach meinem Kenntnisstand nicht nennenswert anders als bei den übrigen Instituten. Das Thema Kreditklemme wird mit Sicherheit in den kommenden Monaten an Bedeutung gewinnen – deshalb muss etwas geschehen.

Können die Bundesbank oder die Europäische Zentralbank am privaten Bankensystem vorbei den Unternehmen Kredite geben?

Ob und wie das realisierbar ist, vermag ich nicht zu sagen. Wenn aber der Bundesbankpräsident diese Möglichkeit ins Gespräch bringt, muss das ernsthaft bedacht werden. Die Notwendigkeit kann jedenfalls entstehen, und wenn ein entsprechender Grundsatzbeschluss erfolgt, wird die handwerkliche Umsetzung auch zu regeln sein.

Und was ist mit neuen Regeln, damit sich dieses Spekulationsdesaster nicht wiederholt?

Darauf warten wir. Notwendig sind internationale Regeln. Wir waren viel zu sehr auf Shareholder Value, Quartalsberichte, Ratingagenturen fixiert. Auf Kurzfristigkeit und schnelles Geld. Das hat mit dazu beigetragen, dass die Schwierigkeiten eingetreten sind. Bislang ist leider nicht erkennbar, in welchem Umfang nationale, europäische und globale Regeln geschaffen werden, die das künftig ausschließen.

Es gab Anfang April den großen Regulierungsgipfel in London, und Obama, Brown und Merkel betonen doch immer wieder die Notwendigkeit neuer Regeln für die Finanzindustrie.

Das begrüße ich und hoffe, dass konkrete Überlegungen und Veränderungen folgen. Bisher ist mir das noch zu wenig konkret.

Und das macht Ihnen Sorgen?

Ja. Ein Bankensystem, das die ausreichende Finanzierung des Wirtschaftskreislaufes gewährleistet, hat oberste Priorität.

Sie plädieren für mehr Bescheidenheit, weil „wir in der Vergangenheit überzogen haben“. Wen meinen Sie?

Ganz besonders die Investmentbanker. Auch einzelne Manager haben mit ihren Ansprüchen überzogen und in der Bevölkerung herrschte generell die Geiz-ist- geil-Mentalität: Der Rabatt musste immer höher werden, der Zinssatz für die Geldanlage auch. Das betraf unsere ganze Gesellschaft.

Und das ist jetzt anders?

Ich denke schon. Wir waren zwischen 2005 und 2008 auch wirtschaftlich sehr erfolgreich, die Arbeitslosigkeit sank von mehr als fünf Millionen zeitweise auf unter drei Millionen. Das muss für die nächsten Jahre wieder unser Ziel sein.

Inzwischen gibt es einen riesigen Billiglohnsektor mit mindestens sieben Millionen schlecht bezahlten Arbeitnehmern.

Wir waren vor einigen Jahren übereinstimmend der Meinung, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland stärker genutzt werden muss, weil es Tätigkeiten gibt, die aufgrund ihrer Wertschöpfung höhere Entgelte nicht zulassen und weil Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen der Einstieg in Arbeit ermöglicht werden sollte. Hierfür ist gegebenenfalls zusätzlich staatliche Unterstützung erforderlich. Es gibt in Deutschland ein Mindesteinkommen, wir benötigen keinen Mindestlohn.

Das ist ein permanenter Streitpunkt mit den Gewerkschaften. Wie ist das Verhältnis zu Huber, Bsirske und Sommer im Krisen- und Wahljahr 2009?

Wir haben in den letzten Jahren moderate Tarifabschlüsse vereinbart und dadurch zusätzliche Beschäftigung gesichert. Auch in der derzeitigen Krise bewährt sich die Sozialpartnerschaft. Aktuelle Tarifverträge zum Beispiel in der Textilbranche oder im Handel werden der wirtschaftlichen Situation gerecht. Ferner bemühen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in vielen Betrieben gemeinsam darum, durch betriebliche Vereinbarungen Arbeitsplätze zu halten.

Am stärksten betroffen von der Krise ist die exportorientierte Industrie. Wird die alte Stärke je wieder erreicht werden?

Mit Sicherheit erst in einigen Jahren. Auch langfristig wird die Industrie unsere deutsche Wirtschaft entscheidend prägen.

Wo stehen wir in einem Jahr?

Wir werden eine deutlich bessere Gesamtsituation haben. Allerdings werden einige Firmen nicht überleben.

Das Gespräch führte Alfons Frese

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