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Arbeitsmarkt: Zeitarbeit kommt unter die Räder

Die Hersteller schonen ihre Stammbelegschaften und sparen bei der Zeitarbeit. BMW streicht bis Ende des Jahres 5000 Verträge. Die Bundesagentur zahlt erstmals Kurzarbeitergeld.

Der scharfe Einbruch in der Autoindustrie bringt immer mehr Zeitarbeitsfirmen in Bedrängnis. Nachdem zwei Personaldienstleister in Leipzig bereits betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen haben, droht an weiteren Standorten ein massiver Stellenabbau, heißt es aus Unternehmenskreisen. Führende Vertreter der Branche wollen in dieser Woche mit dem Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, über das weitere Vorgehen beraten. Die BA wird erstmals Kurzarbeitergeld für Zeitarbeiter zahlen.

Noch Mitte des Jahres waren rund 100.000 Zeitarbeiter in der Autobranche beschäftigt. In den vergangenen Wochen haben BMW, MAN und Ford sowie wichtige Zulieferer wie Continental oder Knorr-Bremse ihre Kontingente gekündigt oder auslaufen lassen.

Für Politik und Wirtschaft steht mit der Zeitarbeit die Erfolgsgeschichte der Hartz-Reformen auf dem Spiel. 2003 lockerte der damalige Superminister Wolfgang Clement der Branche die Fesseln. Seitdem dürfen Leiharbeiter länger als ein Jahr in einem Unternehmen beschäftigt werden. Die Zahl der Zeitarbeiter hat sich seitdem auf knapp 700.000 mehr als verdoppelt. Der massive Abbau der Arbeitslosigkeit ist auch ein Verdienst der Personaldienstleister. Drei Viertel der Zeitarbeiter waren zuvor arbeitslos. Mit 60.000 Beschäftigten ist Randstad Marktführer in Deutschland vor Adecco.

"Wir sind derzeit in sehr intensiven Gesprächen mit der Autoindustrie", sagt eine Sprecherin von Adecco Deutschland. "Wir können nicht mehr alle freigesetzten Beschäftigten intern weitervermitteln", sagt Ingrid Hofmann. Die Inhaberin der gleichnamigen Personalagentur hat über 10.000 Zeitarbeiter unter Vertrag. "Wir haben in die Mitarbeiter investiert und wollen sie natürlich halten", fügt die Unternehmerin hinzu.

Vor allem schwach Qualifizierte könnten wieder arbeitslos werden

Um einen Flächenbrand zu vermeiden, weicht die Bundesagentur für Arbeit von ihren Grundsätzen ab. In einem Schreiben, das dem "Handelsblatt" vorliegt, sind die regionalen Arbeitsagenturen angewiesen, erstmals auch Personaldienstleistern Kurzarbeitergeld zu gewähren. Die BA rechtfertigt den Schritt mit einer "nicht vorhersehbaren krisenhaften Entwicklung", die, vom Finanzsektor ausgehend, nun die industrielle Produktion und damit die Nachfrage nach Leiharbeitnehmern "nachhaltig" beeinflusse.

Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) will das Kurzarbeitergeld generell von 12 auf 18 Monate verlängern. Eine Sprecherin der Bundesagentur sagte, die Maßnahme könne ein "wertvoller Beitrag" sein, Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Firmen sollten die Hilfe nutzen, um die Beschäftigten weiterzuqualifizieren. Die Weisung gilt bis Ende 2010 - Massenentlassungen vor der Bundestagswahl blieben damit aus. Offen ist, wie viele Firmen und ihre Beschäftigten vom Rettungsschirm Gebrauch machen werden. Viele Verträge könnten kurzfristig gekündigt werden, heißt es in der Branche. Drohen weitere Produktionskürzungen, dringen Betriebsräte auf den Abbau der Leiharbeiter, um die Stammbelegschaften zu schützen.

Noch bleibt der Einbruch aber auf die Autoindustrie beschränkt. So melden Anbieter wie Adecco, Randstad oder Manpower eine starke Nachfrage nach Fachkräften wie Ingenieuren - vor allem aus Branchen wie der Solar- und Lebensmittelindustrie. Dennoch erschüttert die Absatzkrise in der Autoindustrie die Branche tief. Mit neun Prozent liegt die Zeitarbeitsquote hier am höchsten, gefolgt vom Maschinenbau und der Elektroindustrie, deren Aussichten sich ebenfalls eintrüben.

"Es besteht die Gefahr, dass viele vor allem schwach Qualifizierte wieder in die Arbeitslosigkeit gehen", sagt Hartmut Lüerßen von der Unternehmensberatung Lünendonk. An den langfristig guten Aussichten der Branche habe sich aber nichts geändert. "Der strukturelle Facharbeitermangel wird auch in der Rezession bestehen bleiben", sagt der Experte. Zudem sei das Potenzial hierzulande noch lange nicht ausgereizt: Bezogen auf die Gesamtbeschäftigung sei die deutsche Zeitarbeitsquote von zwei Prozent nur halb so hoch wie in Großbritannien oder den Niederlanden.

Das bestätigt Ingrid Hoffmann. Sie glaubt, dass die Nachfrage in der Autoindustrie in der zweiten Jahreshälfte 2009 wieder anziehen wird. Die Krise zeige den Firmen, wie wichtig Zeitarbeit für die Flexibilisierung der Produktion sei. HB

M. Fasse, K. Stratmann

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