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Wirtschaft: Attacke auf die reformwilligen Genossen

Gewerkschaften und Arbeitnehmer erhöhen Druck auf die SPD/ Lange Übergangsfristen für Sozial-Kürzungen

Berlin (asi/brö). Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will den Widerstand gegen die Reformpläne des Bundeskanzlers verstärken. In den kommenden Wochen soll es Protestaktionen geben. Am Montag verabschiedet der DGBVorstand ein eigenes Reformkonzept „Für Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit“. Im Gewerkschaftsrat der SPD will die DGB-Führung am Dienstag Gerhard Schröder „in aller Härte“ klar machen, dass seine „Reformagenda 2010“ ein „absoluter Richtungswechsel in der sozialdemokratischen Politik“ bedeutet. Der DGB spricht sogar von „Wahlbetrug“. Um die Regierungspläne zu verhindern, will der DGB auch mit der CDU kooperieren.

Bei einem Treffen der DGB-Spitze mit dem CDU-Präsidium in dieser Woche sei vereinbart worden, die Kontakte der Gewerkschafter mit der Union zu intensivieren, hieß es in Gewerkschaftskreisen. Offenbar hoffen die Arbeitnehmervertreter auf ein Einlenken der SPD-Führung, wenn sich die Gewerkschaften demonstrativ von den Sozialdemokraten entfernen. Insbesondere mit SPD-Fraktionschef Franz Müntefering sei man im Gespräch über die negativen Folgen für die Partei, wenn die Regierung bei ihrem Reformkonzept bleibt. Ein Bruch von SPD und Gewerkschaften wird zwar auch innerhalb des DGB als „nicht ungefährlich“ eingeschätzt. Der Unmut an der Basis sei allerdings nach der Kanzlerrede am 14. März so groß, dass die DGB-Führung solche Risiken eingehen werde.

Vor allem mit dem Arbeitnehmerflügel der CDU ist sich der DGB weitgehend einig. So will der CDU-Parlamentarier Karl-Joseph Laumann „mit allen Mitteln“ verhindern, dass ältere Arbeitslose in Zukunft nur noch zwölf beziehungsweise 18 Monate Arbeitslosengeld beziehen können. Dem Tagesspiegel sagte Laumann, er habe mit DGB-Chef Michael Sommer in dieser Frage „eine sehr große Nähe“. Arbeitnehmer, die dreißig Jahre Versicherungsbeiträge gezahlt hätten, dürften nach einem Jahr oder 18 Monaten nicht in die Sozialhilfe abgeschoben werden. Vielmehr müssten Arbeitgeber bestraft werden, wenn sie ältere Arbeitnehmer aus den Betrieben drängten und in den Vorruhestand schickten. „Wer das auf Kosten der Sozialversicherung tut, muss in Regress genommen werden“, sagte Laumann.

Auf Grund der Widerstände gegen die geplante Kürzung des Arbeitslosengeldes, will die Bundesregierung diesen Teil der Reformpläne offenbar verschieben. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte am Freitag, aus verfassungsrechtlichen Gründen sei eine Übergangsfrist von zwei Jahren nach In-Kraft-Treten des Gesetzes notwendig. Dessen Einführung ist für den 1. Januar 2004 vorgesehen. Weitere Korrekturen an den Kanzler-Plänen erhoffen sich Gewerkschafter durch Einflussnahme auf die SPD-Fraktion. In der vergangenen Woche hat die DGB-Führung deshalb beschlossen, alle Fraktionsmitglieder persönlich anzusprechen. Dass es Unmut unter den Abgeordneten gibt, räumte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Wend, ein. Dennoch „müssen wir jetzt im Grundsatz Kurs halten“, forderte er die Fraktion auf.

An der Basis von Gewerkschaft und Partei mucken unterdessen immer mehr auf. Der IG Metall-Chef von Wolfsburg sagte jetzt auf einer Betriebsversammlung bei VW, „die SPD ist unter Kanzler Schröder auf einem völlig falschen Kurs“. Die IG Metall werde „mit allen Mitteln“ gegen die Regierungspläne vorgehen. Ob sich die Bundesregierung davon beeindrucken lässt, wird sich am Dienstag zeigen, wenn sich die Spitzen von DGB und SPD treffen. Bis dahin soll auch das gewerkschaftseigene Reformkonzept in Grundzügen stehen. Darin will der DGB auch für eine Senkung der Lohnnebenkosten plädieren. Im Gegenzug wird eine höhere Mehrwertsteuer vorgeschlagen, um eine stärkere Finanzierung von Sozialleistungen durch Steuern zu erreichen.

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel kritisierte die Reformen Schröders als „Pläne, die den Sozialstaat destabilisieren, aber keine neuen Stellen schaffen". Eine Deregulierung des Arbeitsmarktes sei eine rein defensive Strategie und eine „Kapitulation vor den Neoliberalen“. Die Lockerung des Kündigungsschutzes werde dazu führen, dass der Mittelstand schneller Leute entlasse. „Der Staat muss mit 15 bis 20 Milliarden Euro die Nachfrage stärken und den Kommunen unter die Arme greifen“, verlangte Hickel. Außerdem müsse es Impulse von der Europäischen Zentralbank geben. „Die EZB muss die Leitzinsen sofort um die Hälfte auf 1,25 Prozent senken, damit die Unternehmen mehr Liquidität bekommen“, regte Hickel an.

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