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Wirtschaft: Auch Akademiker brauchen Hilfe

Hochschulabsolventen haben eigentlich eine gute Ausbildung. Trotzdem fällt es manchen schwer, einen Job zu finden. Weiterbildungen können helfen – sowohl beim Berufseinstieg als auch bei einer Neuorientierung

Ein Jahr nach seinem Universitätsabschluss saß Michael Wagner in der Wartehalle des Jobcenters Berlin-Neukölln. Ein Jahr lang hatte er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, etwa als Möbelpacker oder Messehelfer. Im Jobcenter musste er nun nicht nur Unterstützung beantragen, sondern wollte vor allem wissen, wie er einen dauerhaften Arbeitsplatz findet. Wagner will seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen, schließlich hatte er mit dieser Situation nicht gerechnet. Fünf Jahre lang hatte er Soziologie studiert, seine Diplomarbeit und Prüfungen mit Bestnoten bestanden.

„Danach habe ich etliche Bewerbungen geschrieben, doch einen Job, der zu meinem Studium passt, habe ich nicht gefunden", sagt der 30-Jährige. Wagners Arbeitsberater im Jobcenter macht ihm schnell Hoffnung. Während seines Studiums hat der Sozialwissenschaftler bereits Webseiten gestaltet und mit Grafikprogrammen gearbeitet. Schnell und verständlich Texte zu formulieren, gehört sowieso zum Uni-Alltag. Wagners Arbeitsberater schlägt ihm daher eine Weiterbildung im Online-Marketing bei der Berliner Medienakademie Cimdata vor. Solche Spezialisten würden von vielen Firmen gesucht, sagt der Berater zu ihm. „An eine Fortbildung hätte ich gar nicht gedacht“, sagt Wagner. Schließlich hatte er ja schon eine gute Ausbildung.

Wie Michael Wagner geht es mehr als 70 Prozent aller Hochschulabsolventen: Nach dem Abschluss sind sie erstmal arbeitslos oder finanzieren sich über Nebenjobs. Einer Absolventenstudie des Instituts für Hochschulforschung (HIS) zufolge, hat auch ein Jahr nach dem Abschluss nur jeder zweite einen geregelten Job. Nur bei den Ingenieuren sieht es deutlich besser aus, dort liegt die Vermittlungsquote bei mehr als 90 Prozent.

Dass Akademiker keinen Job finden, liege häufig an theorielastigen Studiengängen, sagen Berater bei der Agentur für Arbeit. Speziell geschulte Hochschulteams raten deshalb zu Zusatzqualifikationen, die schnell fit für den Arbeitsmarkt machen. Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Marketing oder Projektmanagement: Welche Weiterbildung in Frage kommt, hängt von den persönlichen Fähigkeiten, vom Studiengang und vom Bedarf auf dem Arbeitsmarkt ab.

Aber nicht nur beim Berufseinstieg kann eine Weiterbildung Akademiker weiterbringen: Nach betriebsbedingten Kündigungen, Einsparungen oder dem Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familienphase fällt es Akademikern, die als Absolventen sofort den Job gefunden hatten, der ihren Qualifikationen entspricht, häufig schwer sich neu zu orientieren. Deutschlandweit sind immerhin laut der Bundesagentur für Arbeit rund 176 000 Akademiker arbeitslos gemeldet – auch wenn das nur einer Quote von gerade mal 2,5 Prozent entspricht. Die meisten von ihnen haben einen geisteswissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Hintergrund.

Wie der Soziologe Michael Wagner. Sechs Monate lang besuchte er den Online-Marketing-Kurs. Gebühren und Lebenshaltungskosten wurden vom Jobcenter bezahlt. Zunächst war Wagner skeptisch, was den Kurs anging: Er wollte nicht nur in eine „Maßnahme abgeschoben“ werden. Und die Fortbildung ist nicht nur für Akademiker gedacht. Danach zog Wagner aber ein positives Fazit: „Ich habe viel gelernt und Gleichgesinnte getroffen.“ Der Soziologe hatte also Glück, dass sein Arbeitsberater ein passende Angebot für ihn gefunden hatte, obwohl er nicht auf Akademiker spezialisiert war.

Das ist keine Selbstverständlichkeit: Der Markt für Weiterbildungen erscheint vielen Arbeitslosen häufig unübersichtlich. Und auch so mancher Arbeitsberater im Jobcenter, der nicht auf akademische Laufbahnen spezialisiert ist, kann sich nicht vorstellen, welche Art Weiterbildung sich für Menschen eignen könnte, die schon eine so gute Ausbildung haben. Viele Akademiker fürchten, in den Kursen unterfordert und mit ihren Bedürfnissen nicht Ernst genommen zu werden. Wer eine Weiterbildung sucht, sollte sich deshalb bei der Agentur für Arbeit unbedingt an einen Berater vermitteln lassen, der sich mit Hochschulabschlüssen auskennt. Sie wissen, welche Kurse in Frage kommen, welche angeboten und bewilligt werden. Während der Zusatzausbildung besteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Hartz IV.

Auch Eigeninitiative ist gefragt, denn auch die Berater der Agentur für Arbeit kennen nicht immer alle Möglichkeiten. Wer selbst Vorschläge macht, hat bessere Karten. Die Industrie- und Handelskammern bieten etwa Weiterbildungen an, ebenso die Volkshochschulen. Arbeitslosentreffs oder die Mitarbeiter des „Berliner Arbeitskreises Information“ bringen die Akademiker häufig erst auf die Idee, sich um eine zusätzliche Qualifikation zu bemühen. Der Arbeitskreis ist eine Fachgemeinschaft für Mitarbeiter an Universitäten, in Archiven oder Bibliotheken und will Akademiker fördern und ihnen helfen, sich für die richtige Zusatzqualifikation zu entscheiden. Aber auch allein kann man fündig werden – etwa bei einer Suche über das Internet oder einer Anfrage in Online-Foren für Arbeitslose.

Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat sich der Problematik angenommen und fördert das Programm „Akademikerinnen und Akademiker qualifizieren sich für den Arbeitsmarkt“ (AQUA). Organisiert von der Otto Benecke Stiftung, richtet sich das Programm an Ingenieure, Mediziner oder Geisteswissenschaftler und will sowohl zugewanderten als auch deutschen Akademikern aus der Arbeitslosigkeit helfen. Bewerben kann sich jeder, unabhängig von Alter oder Nationalität, der einen Hochschulabschluss hat und Arbeitslosengeld I oder Hartz IV bezieht.

Im Durchschnitt sind die Bewerber zwischen 35 und 40 Jahre alt und bereits drei bis vier Jahre auf Jobsuche. „Alle, die zu uns kommen, sind hochqualifiziert“, sagt Regina Kahle von der Otto Benecke Stiftung. „Viele Arbeitgeber scheuen sich jedoch Bewerber anzustellen, die mehrere Jahre nicht im Job waren.“

Mehr als 30 Weiterbildungen bietet AQUA an, viele per Fernstudium. Ökonomen können sich für den Außenhandel spezialisieren, Mediziner auf Gesundheitsprävention oder Lehrer können sich Wissen im Bildungsmanagement aneignen. Neben der fachlichen Qualifikation werden Kommunikationsfähigkeit oder Präsentationstechniken geübt. „Vielen Akademikern fehlt es an Selbstbewusstsein, wenn sie zu uns kommen“, sagt Kahle. Anders als andere Angebote, ist das Programm mit seiner Qualifizierung an Hochschulen in Regel auf 13 Monate angelegt. Ein dreimonatiges Praktikum in einem Betrieb ist Bestandteil der Weiterbildung. Ob eine Zusatzqualifikation den Weg aus der Arbeitslosigkeit ebnet, lässt sich nicht vorhersagen. Schließlich hängt die Vermittlung auch von der aktuellen Wirtschaftslage ab. Allein AQUA zeigt: Im Anschluss an die Kurse bekommen mehr als 50 Prozent einen Job, die Hälfte davon dauerhaft.

Auch Michael Wagner hat nach seiner Online-Marketing-Weiterbildung gleich Arbeit gefunden: Ein Versicherungsverband stellte den Soziologen ein. Der Verband baut gerade eine neue Internetplattform auf und braucht einen Marketing-Spezialisten, der komplizierte Inhalte verständlich für das Web aufbereitet. Michael Wagner passt genau ins Profil. „Ob ich den Job für immer mache, weiß ich nicht, schließlich haben meine Aufgaben kaum mit meinem Studienfach zu tun“, sagt er. „Aber ich bekomme Berufspraxis.“

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