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Wirtschaft: Auch der Bundesstaat Ohio profitiert vom Aufschwung

Zugleich wächst für viele Menschen die UnsicherheitTimothy Aeppel Und John Mckinnon In der amerikanischen Wirtschaft fließt nicht nur Milch und Honig. Der 33-jähriger Unternehmer Brad Sacks befürchtet, noch mehrere Monate warten zu müssen, bis er in sein Traumhaus ziehen kann: mit Ecktürmen, fünf Schlafzimmern - und einer Garage für vier Autos.

Zugleich wächst für viele Menschen die UnsicherheitTimothy Aeppel Und John Mckinnon

In der amerikanischen Wirtschaft fließt nicht nur Milch und Honig. Der 33-jähriger Unternehmer Brad Sacks befürchtet, noch mehrere Monate warten zu müssen, bis er in sein Traumhaus ziehen kann: mit Ecktürmen, fünf Schlafzimmern - und einer Garage für vier Autos. Das Problem? "Es gibt einen Engpass bei den Ziegelsteinen", sagt Sacks. Das sei die Folge des gegenwärtigen Baubooms, habe der Bauunternehmer gesagt. Die guten Zeiten sind eindeutig noch nicht vorbei. Der amerikanische Aufschwung wird der längste sein, den es je in den USA gab. Er ist im 107ten Monat und hat damit die 106 Monate anwährende Wachstumsphase in den 60er Jahren ausgestochen, die im Februar 1961 begann und im Dezember 1967 endete, als die Inflation wegen der Ausgaben für den Vietnamkrieg außer Kontrolle geriet.

Der jetzige Boom ist auffällig robust, bedenkt man, dass das vergangene Jahrzehnt mit einer Rezession und dem Golfkrieg begann. Die gegenwärtige Expansion, die im März 1991 begann, hat zudem eine Reihe potenzieller Katastrophen überlebt: die asiatische Finanzkrise, den wirtschaftlichen Niedergang Russlands, eine Anklage gegen den Präsidenten, Derivative, Dürrekatastrophen, Wirbelstürme und Rinderwahnsinn. Doch die Party ist noch nicht vorbei. Die Aktienkurse sind in höchste Höhen vorgestoßen, 20 Millionen neuer Arbeitsplätze wurden geschaffen und die Zahl der Handynutzer in den USA hat sich mehr als verzehnfacht. Und der Wohlstand hat nicht nur einigen Wenigen gedient, sondern sich auch positiv auf die Gesamtgesellschaft ausgewirkt. Er ist im Silicon Valley und Wall Street ausgebrochen, auf der Main Street, bei reichen und weniger reichen Familien, bei jungen High-Tech-Unternehmen und Kunststoffrecycling-Unternehmen. In den 80er Jahren, dem so genannten Jahrzehnt der Gier, haben nur einige Wenige profitiert. Hingegen war der Wohlstandszuwachs in den 90er Jahren, wenn nicht ganz demokratisch, so doch zumindest egalitärer.

Das Ausmaß und der Charakter dieses einmaligen Booms wird auf einer 15 Hektar großen Fläche in Akron/ Ohio, der Canal Place, sichtbar. Hier hat bis Ende der 80er Jahre das Unternehmen von B.F. Goodrich Gummibänder, Golfbälle und Raumanzüge hergestellt. Die mit 28 000 Angestellten einst größte Gummifabrik der Welt hatte mit ausländischem Konkurrenten und modernen Fabriken in der Region nicht Schritt halten können und musste schließen. Nicht zuletzt deswegen betrug die Arbeitslosenrate in Akron auf dem Höhepunkt der letzten Rezession 7,9 Prozent. Eine Investorengruppe, die auf Industrie-Modernisierung spezialisiert ist, witterte eine Geschäftschance und schnappte sich für 2,5 Millionen Dollar die 27 Gebäude, die die Abrissbirne überlebt hatten. Als erste Mieter zogen kleine Hersteller und zeitweilig ein Flohmarkt ein, die von niedrigen Mieten und Stadtkrediten zu geringen Zinsen angelockt worden waren. Nur ein Jahrzehnt später sind mehr als 90 Prozent der Fläche vermietet und hat der jährliche Umsatz fünf Millionen Dollar erreicht. Die 106 Mieter bilden die Mischung der alten und neuen Wirtschaft ab.

Es zeigt sich, dass die beiden friedlich nebeneinander existieren können. Ein florierender Gourmet-Lebensmittelhandel befindet sich Tür an Tür mit einem Hersteller von Plastikmöbeln. Time Warner und Cable & Wireless haben Büros eröffnet, fünf Internet-Provider sich angesiedelt. Und die Bank One hat ein Verwaltungsbüro aufgemacht.

Die Mischung am Canal Place spiegelt die moderne Welt angemessen wider, die nicht nur aus Gütern oder nur aus Dienstleistungen besteht, sondern aus einer gesunden Mischung von allem. Ein Grund für den Boom war, dass alle Arten von Unternehmen gewachsen und stärker geworden sind - nicht nur Dienstleistungen, sondern auch die Industrie. Das Bruttosozialprodukt von Ohio ist zwischen 1991 und 1998 (den jüngsten verfügbaren Daten) um 31,9 Prozent gewachsen. In dem Zeitraum ist der Anteil der herstellenden Industrie stabil bei etwa 27 Prozent geblieben (1998: 26,2 Prozent, 1991: 27 Prozent). Auch der Anteil der Dienstleistungen am Bruttosozialprodukt von Ohio hat sich kaum verändert (1998: 18 Prozent, 1991: 17 Prozent). Das eine hat das andere nicht ersetzt.

Der Boom hat nicht alle Lücken geschlossen. Ein Teil der Innenstadt, unweit vom Canal Place, ist trotz Sanierungsanstrengungen der Stadt weiter heruntergekommen. Und obwohl die Arbeitslosigkeit auf 3,8 Prozent gesunken ist und Gehälter gestiegen sind, haben große Teile der Bevölkerung noch zu kämpfen. Die Einkommensunterschiede zwischen Wohlhabenden und Armen haben sich während der 90er Jahre vergrößert. Doch hat der Boom auch Leuten genutzt, die früher übergangen wurden. Etwa John Hosbach. Er kann kaum glauben, dass sich sein Gehalt fast verdreifacht hat und dass er dem Management angehört. "Wenn mir jemand vor fünf Jahren erzählt hätte, dass ich mal hier stehen würde, hätte ich ihn für verrückt gehalten", sagt der 29-jährige Fabrikmanager des Unternehmens Plastic Lumber, das 1989 am Canal Place eröffnet wurde und unter anderem Picknick-Tische aus recyceltem Kunststoff herstellt.

Der Arbeitsmarkt war angespannt und damit gute Angestellte wie Hosbach umso wertvoller. Der 29-Jährige hat 1993 bei dem Unternehmen angefangen, nachdem er bei dem Vorstellungsgespräch auf der Stelle ein Angebot erhalten hatte. Zunächst hat er nachts in der Fabrik gearbeitet, doch wurde er schnell befördert.

Dennoch bedeutet für Hosbach und Tausende anderer, gering qualifizierter Arbeiter die lang anhaltende Wachstumsperiode nicht das Ende der Sorgen. Die Lohnzuwächse, wenn auch beeindruckend, bedeuten keine finanzielle Sicherheit, vor allem wenn die Ausgangsbasis mit 5,50 Dollar pro Stunde sehr niedrig war. Hosbach ist frustriert. Er hat die Schulden von sich und seiner Frau, unter anderem 20 000 Dollar an Kreditkartenrechnungen, nicht abbauen können. Und dabei lebt er nicht auf großem Fuß. Allerdings hat Hosbach - anders als die große Mehrheit seiner Landsleute - von den Aktienmarktgewinnen nicht richtig profitieren können, da er keine Aktien oder Investmentfonds-Anteile hält.

Übersetzt und gekürzt von Maira Meyer (Wettbewerb, Boom), Svenja Rothley (Deutschland) und Birte Heitmann (Iowa).

Timothy Aeppel, John Mckinnon

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